© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Zu Gast bei den Herzlosen
Getrübter Zugriff auf die Realität: Hans Pleschinskis mißlungener Thomas-Mann-Roman „Königsallee“
Jan Hauschild

Im August 1954 machte Thomas Mann auf einer Lesereise in Düsseldorf Station. Nur wenig später, als der Nobelpreisträger weitergezogen war, besuchte Klaus Heuser seine Heimatstadt. Die beiden Herren verfehlten sich also nur knapp. Aus dieser biographischen Möglichkeit wird bei dem Münchner Schriftsteller Hans Pleschinski eine literarische Wirklichkeit.

In seinem von der Kritik enthusiastisch als „virtuos“ gefeierten Roman „Königsallee“ arrangiert er ein Treffen zwischen dem gern homosexuellen Phantasien nachhängenden sechsfachen Familienvater und seiner „großen Liebe“ und „letzten Leidenschaft“, dem schönen Jüngling Heuser, den er 1927 am Sylter Strand angehimmelt hatte und mit dem er bis 1937 in losem Kontakt geblieben war.

Ort des fiktiven Wiedersehens ist das vom alten Glanz kriegsbedingt noch etwas entfernte Luxushotel Breidenbacher Hof an der Königsallee. Aber die Begegnung gibt erzählerisch wenig her, weil der platonische Homosexuelle Thomas Mann und der intellektuell unbedarfte schwule Exportkaufmann, der seit 1936 in Ostasien lebte, nur elegische Belanglosigkeiten austauschen können. Pleschinski versetzt sie daher in das Panorama der erwachenden Bonner Wirtschaftswunder-Republik. So verschafft er sich zwar reichlich Stoff, um über die banale Episode hinaus zu einem Sittengemälde der Adenauer-Ära vorzustoßen. Doch dessen künstlerische Gestaltung überfordert den Autor. Entstanden ist nur ein schlechter Roman.

Untrügliches Indiz für schlechte Literatur ist die Dominanz sprachlicher wie gedanklicher Konvention bei der Beschreibung von Wirklichkeit. Der Dichter ist dann nicht mehr „Bewahrer des Konkreten“ (Wilhelm Lehmann), sondern ein Produzent von Kitsch, der die Wahrnehmung seiner Leser reduziert, sie auf das Hergebrachte verpflichtet und „Verblendungszusammenhänge“ (Horkheimer/Adorno) stabilisiert.

Pleschinskis Version der frühen fünfziger Jahre entspricht dieser Negativdefinition von Poesie in geradezu abschreckend perfekter Form. Kein Klischee ist zu billig, keine Schablone zu abgegriffen, um verschmäht zu werden. So kolportiert er das handelsübliche Zerrbild der ersten Nachkriegszeit, eine Mixtur aus Bundeszentrale für politische Bildung und Guido Knopp. Der Ungeist der „Nazis“ prägt bei ihm selbstredend weiterhin die Mentalitäten, der „Faschismus“ steckt den „restaurativen“ Westdeutschen in den Knochen. Routiniert läßt der im Lippendienst nach „68“ brav umerzogene Autor des Jahrgangs 1956 seinen Helden Heuser hoffen, die „großdeutsch-faschistisch-herzlose Generation“ möge – „ein langwieriger biologischer Vorgang“ – wegsterben, damit „das Land zivil“ werde.

Als Repräsentant der „Herzlosen“ irrlichtert Generalfeldmarschall a. D. Albert Kesselring durch die Romankapitel. Der ebenfalls im Breidenbacher Hof logierende „blutumwallte Großpensionär“ fungiert als Kontrastfigur zu Thomas Mann, dem aus US-Exil zurückgekehrten „weltberühmten Humanisten“. Beide „in einem Raum zum Gabelfrühstück“, so der Alptraum des Hoteldirektors, das wäre eine Karambolage, mit der sich der von Manns Anwesenheit erwartete internationale Prestigegewinn für Düsseldorf in Luft auflösen würde. Mithin gilt es, den ehemaligen Oberbefehlshaber Süd und „Geiselmörder“ hinauszuekeln, bevor der „hochdekorierte Totengräber des Vaterlands“ den Emigranten provoziert.

Mit diesem Popanz und den auf seinen Auszug zielenden Schikanen des Hotelpersonals füllt Pleschinski Seiten. Und wieder ist Verlaß auf seinen von reichlich „Vergangenheitsbewältigung“ getrübten Zugriff auf Realität, der sich kaum über das Niveau erhebt, das Hollywood oder die britische Krawallpresse für die Wehrmacht und ihre „Hunnen“-Generale vorgeben: Kesselring habe die „Focke-Wulf-Bomber“ kommandiert, die „Warschau, Rotterdam und London teils flächendeckend in Schutt und Asche gelegt hatten“. Das ist nun schieres Künstlerpech, denn weder war die Focke-Wulf „Condor“ ein Bomber, noch wurden die genannten Hauptstädte „flächendeckend“ getroffen, noch trug Kesselring für diese Einsätze 1939/40 die Verantwortung.

Schludrigkeiten dieser Güte sind jedoch die Regel und sie resultieren zwangsläufig aus der ideologisch verengten Froschperspektive eines Autors, der lieber nachplappert als selbst denkt. Wie Tilman Krause dazu kommt (Die Welt vom 18. Juli 2013), Pleschinski zu den „wirklich gebildeten Schriftstellern bei uns“ zu rechnen, der durch seinen „historischen Sinn“ besteche, ist angesichts zahlloser Peinlichkeiten wohl nur mit den allerbescheidensten Ansprüchen zu erklären, die heute zu erfüllen sind, um solches Lob einzuheimsen.

Das Haberfeldtreiben gegen Kesselring ist indes nur die Probe aufs Exempel, das auf Pleschinkis Abschmieren in zentralen Kapiteln dieses vermeintlich „großen“ (Tilman Krause) Romans einstimmt. Bevor Klaus Heuser auf den „Zauberer“ trifft, konfrontiert er ihn mit Erika und Golo Mann sowie mit dem Germanisten und George-Anhänger Ernst Bertram, dem engen Freund und Berater aus der Schaffensperiode zwischen den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ und dem „Zauberberg“, der 1933 für Adolf Hitler Partei ergriffen und in Köln die „Flammenrede“ zur Bücherverbrennung gehalten hatte.

Die notorisch nervige Erika Mann, die „Stalinorgel der Demokratie“, wenigstens in Ansätzen gut charakterisiert, möchte ein Wiedersehen Heusers mit ihrem Vater verhindern, um ihm unnötige Aufwallungen zu ersparen, die eine sich nach Abschluß des „Felix Krull“ abzeichnende Schaffenskrise verschärfen könnten. Der im Zuge der „Entnazifizierung“ amtsenthobene Professor Bertram wünscht sich Heuser als Vermittler, damit Thomas Mann ihm die Rehabilitierung erleichtere. Und der unter Minderwertigkeitskomplexen leidende Golo Mann nötigt ihm ein Manuskript „Vom Geist Amerikas“ auf, das ihm dank Heusers Protektion endlich die Anerkennung des erdrückend erfolgreichen Übervaters bescheren soll.

Die endlosen Dialoge, die in diesen Treffen abrollen, belegen immerhin, daß Pleschinski die Forschung zu „der Deutschen spannendsten Familie“ zu nutzen und zu repetieren weiß. Mehr nicht, denn den Kenner ödet diese redundante Faktenhuberei an, und potentielle Thomas-Mann-Einsteiger sind mit derartig proseminaristisch-ledernen Referaten kaum zu ködern. Durch diesen „Hirsebrei“ (Ernst Osterkamp, FAZ vom 19. Juli) muß sich niemand quälen. Stattdessen sollte sich Pleschinki entschließen, aus dem in Privatbesitz befindlichen, „wohlgeordneten Nachlaß“ des 1994 verstorbenen Klaus Heuser die bedeutsamsten Dokumente für eine solide Edition auszuwählen.

Alexander Cammann schrieb der „Königsallee“ eine Favoritenrolle im Rennen um den Deutschen Buchpreis in diesem Herbst zu (Die Zeit vom 25. Juli). Mittlerweile ist die Vorschlagsliste veröffentlicht worden, auf der Pleschinskis „Sommerroman“ aber fehlt. Tröstlich zu wissen, daß ein Restgespür für Qualität der einen oder anderen Jury noch nicht abhanden gekommen ist.

Hans Pleschinski: Königsallee. Roman. C. H. Beck Verlag, München 2013, gebunden, 390 Seiten, zwei Abbildungen, 19,95 Euro

Foto: Thomas Mann, seine Frau Katia, und Hans-Otto Mayer (verdeckt) betrachten am 26. August 1954 in der Buchhandlung Schrobsdorff in Düsseldorf die Ausstellung von Novitäten: Der Romanautor Hans Pleschinski kolportiert das handelsübliche Zerrbild der ersten Nachkriegszeit

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