© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

CD: Darkwood
Sehnsucht und Freiheit
Nils Wegner

Die Figur des Fliegers als Sinnbild der absoluten Freiheit von irdischen Zwängen ist seit Ikarus, spätestens seit Anbeginn des Industriezeitalters schlechthin ein Topos geworden. Trotz der Eroberung des Himmels im 20. Jahrhundert strahlt das Ideal des „über allem“ Schwebenden bis in unsere heutigen Zeiten hinein und beflügelt alte Sehnsüchte nach dem Bei-sich-Sein. Wem dabei zur sinnlichen Garnitur Reinhard Meys „Über den Wolken“ unpassend erscheint, der wird im neuen Album „Schicksalsfahrt“ von Darkwood finden, was er sucht.

Vier Jahre nach dem letzten Album „Ins dunkle Land“ (JF 6/10) blickt dem Betrachter vom Einband nun ein graviertes Gesicht mit Fliegerkappe und leicht trübsinnigen Augen entgegen. Schnell stellt sich heraus: Es handelt sich um das Antlitz von der Gedenktafel am Geburtshaus Amelie Hedwig Beeses, genannt Melli, der ersten deutschen Privatpilotin. Ihr und dem deutlich bekannteren Antoine de Saint-Exupéry ist das Album gewidmet, das mit seiner Darkwood-charakteristischen Schwermut so gar nicht an die Leichtigkeit des Fluges gemahnen will.

Im Vergleich zum bereits ruhigen Vorgänger wurden die elektronischen Klanglandschaften noch weiter zurückgefahren, so daß „Schicksalsfahrt“ beinahe intim und beschwörend wirkt. Sänger Hendryk Vogel scheint sich förmlich am Lagerfeuer zum Hörer hinüberzulehnen, um ihm einige Geschichten zu erzählen. Den Anfang macht, vom einsamen Weg in die Wüste berichtend, „Secret Places“ mit Gitarre und verhaltenen Trommeln. Weiter geht es im Schutze des „Nightshade“ zur Lyrikvertonung „Fliegergedicht“, das nicht allein mit Streichern zu beeindrucken weiß – „Wir wachsen durch Kampf mit Sturm und Braus / Und selbst über Kleinmut und Schwächen hinaus“ rührt wohl an die abenteuerlichen Herzen in so manchem jungen Menschen.

Von hier geht die Reise durch von hypnotischem Baß getragene „Scattered Clouds“, um in „Der letzte Flug“ zu münden. „Der letzte Weg, den ich gehen muß / Ich gehe ihn hart und stumm“, zitiert Vogel leise aus Westermanns Versen „Einer geht wohl ins Sterben ...“, und sachte Gitarrenakkorde unterstreichen den heroischen „Sturmwind, der Eure Banner bauscht“.

Die „Flughymne“ betont zurückhaltend die Vieldeutigkeit des Sich-Aufschwingens im Angesicht der „Weltenferne“, während „Silence at Night“ in die Tiefen des nächtlichen Halbwachens vorstößt und dem Frieden des Unbewußten beinahe meditative Klänge verleiht. „Nightwind“ vertont zu sanften Saitenklängen zwei Gedichte der in deutschen Neofolkkreisen, so auch bei Leger des Heils (JF 4/13), offenbar sehr beliebten Emily Brontë in ihrem Einklang der einsamen Gedankengefangenschaft.

So muß denn auch trotz stählerner Schwingen der Flug in „Broken Wings“ zu Ende gehen – mit beschwingterem Klang und einer zarten Frauenstimme im Hintergrund wird der Abschluß des Werks eingeleitet. Zuletzt erklingt ruhig ein „Dream of Flowers“, der schwerelose Unbewußtheit zwischen Dunkelheit und Morgensonne besingt.

Mit dieser Veröffentlichung behaupten Darkwood ihren Spitzenplatz unter den deutschen Neofolkprojekten, und mehr Kritikpunkte als die kurze Spieldauer sowie die lange Zeit zwischen den einzelnen Alben fallen dem Hörer zu Recht nicht mehr ein.

Darkwood, Schicksalsfahrt HV, 2013

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