© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Wolken über Orgonon
Lebensenergie: „Der Fall Wilhelm Reich“ mit einem tollen Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle
Sebastian Hennig

Der Film „Der Fall Wilhelm Reich“ ist vor allem ein weiterer Prunkrahmen für die Galerie des schauspielerischen Lebenswerkes von Klaus Maria Brandauer. Dessen quadratisches Gesichtspanorama schiebt sich vor alle anderen Wahrnehmungen. Gegen seine Mimik und die einnehmende Wirkung seiner österreichischen Sprachfärbung verdorren die hölzernen Dialoge der anderen Darsteller.

An die unerschütterliche Filmbiographik über manische Exzentriker wie Gustaf Gründgens, Oberst Redl, Hanussen und Georg Elser reiht sich nun Wilhelm Reich. Das leuchtet soweit ein. Für einen Film über die anderen Renegaten aus der Psychoanalytischen Schule, wie C. G. Jung, Otto Gross oder gar Otto Weininger hat Brandauer nämlich nicht mehr die passende Statur. In der entsprechenden Lebensphase ging er 1981 in Klaus Manns Haßprojektion von Gustaf Gründgens in „Mephisto“ über.

Nun dienen als Anregung für das Filmmärchen die letzten Jahre, die der in Galizien geborene Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897–1957) in den USA mit einer besonderen Art von erneuerbarer Energie experimentierte und mit seinem „Cloudbuster“ für schönes Wetter sorgte. Zunächst aber sehen wir seinen Vortrag vor dem Psychoanalytischen Kongreß von 1924. Auf den kargen Bänken des Hörsaals verwandeln sich die Herren Berufsgenossen in den korrekten Anzügen in eine Horde wirr-nervöser Pennäler, die mit Schnittenpaketen rascheln und unkontrollierte Bewegungen machen, als der Referent mit seinen Einlassungen zur Bedeutung eines enthemmten genitalen Orgasmus anhebt. Schnitt.

„Dreißig Jahre später“ sehen wir den alten Mann im Holzfällerhemd mit seinem jungen Sohn Peter beim Wettermachen in der Wüste von Arizona. Sie campieren im Zelt, über ihnen breitet sich ein klarer Sternenhimmel. Die Plattheit des Filmes wird so immer wieder von schönen Bildern und einzelnen gelungenen Gestaltungseinfällen veredelt.

So einnehmend farbig wie die Geschichte vom Kameramann Martin Gschlacht fotografiert wurde, so holzschnittartig schwarzweiß verläuft die Handlung. Hier der hemdsärmelige Kämpfer für die lichte sinnliche Wahrheit und dort die verdrucksten Dunkelmänner eines repressiven Staates. Mit Hut und Mantel werfen sie einen einheitlichen Schattenriß. Ohne Individualität duplizieren sie sich, wie der programmierte Agent Smith aus den „Matrix“-Filmen oder die grauen Männer aus Michael Endes „Momo“.

Einzig Birgit Minichmayr in der Nebenrolle der verräterischen Laborgehilfin Aurora setzt mühelos ein auratisches Gegengewicht zu Brandauer, wie es einst Rolf Hoppe als Göring in „Mephisto“ vermochte. Hier wäre das Potential gewesen für eine echte Dramatik. Doch von der onkelhaften Dämonie der Gestalt, die auf den Fotos und Filmbildern des echten Reich ahnbar wird, wenn er mit dem Lastkraftwagen seinen sperrigen Wolkenerzeuger durch die Wüste karrt, bleibt hier nur die gütige Beharrlichkeit des erfahrenen Onkels.

Bald nachdem ihm die Ausübung seiner Orgon-Therapie von Behörden und Geheimdiensten untersagt wurde und seine Bücher in den USA verbrannt wurden, ballen sich dunkle Wolken über dem idyllisch gelegenen Forschungslabor „Orgonon“ zusammen. Mittels eines großen Geräts, das wie ein Mehrfach-Geschoßwerfer aussieht, will er die tödlich stockende Lebensenergie am Himmel auflösen. Einem Farmerehepaar verhilft er dann mit dem Orgon-Akkumulator zum lang ersehnten Nachwuchs und mit dem Cloudbuster zu einer saftigeren Blaubeerernte.

Die Vorgeschichte von Reichs Besessenheit vom Nachweis der verstofflichten Lebensenergie liegt im Kriegsgeschehen der Isonzofront, wo er zu den wenigen gehört, die aus seinem Bataillon überleben. Die Erfahrung der Materialschlacht und des Stellungskriegs mündete bei ihm in der Vorstellung von der „Charakterpanzerung“, welche die Lebensenergie zerstörerisch hemmt.

Die emotionale Repression bezeichnet er als eine Seuche. Therapie einzelner ist ohnmächtig gegen die Millionen von verspannten und angstgetriebenen Menschen. Pulsatorische Anregung des natürlichen Lebensstroms wurde das Ziel seines Lebens. Im Film fällt der bezeichnende Vergleich mit einer Qualle, womit zugleich das Problem aufscheint.

Der dynamische Neurotiker auf seinen Selbstverwirklichungsfeldzügen hat inzwischen viele rein menschliche Züge eingebüßt. Jede Bemühung, den Druck nach außen zu sublimieren, gerät somit schnell in den Verdacht des Pathologischen. Dabei erweist sich der kreativ pulsierende Fantasiemensch in den meisten Fällen als mindestens ebenso arm an Vorstellungskraft und trotz der ausgestellten Coolness so prüde, wie sein durchschnittlicher Vorgänger. Ob er überhaupt noch zu vergleichbaren Einsichten über seinen Zustand fähig ist, wie die Denker und Forscher sie hatten, die ihre Lehren dem Kaiserreich entrungen haben, ist fraglich.

Doch solche Gedanken regt der Film nicht an. Er ist eine säuberlich abgeschlossene Geschichte zwischen Wissenschaftlerbiographie und Gerichtsfilm. An vielen Stellen wirkt er mit der sentimental-pathetischen Klaviermusik wie die Spielfilm-Überdehnung, eine extended version jenes witzigen Popmusik-Filmchens „Cloudbusting“ der US-amerikanischen Sängerin Kate Bush von 1985, in dem Donald Sutherland den Wilhelm Reich mimte. Die bösen Männer mit breitkrempigen Hüten schreiten dort eine Treppe hinab, wie die Soldateska in Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“. Regisseur Svoboda trug sich lange mit seiner Verfilmung von Reichs amerikanischen Jahren. Als Prolog entstand 2009 bereits die Fernsehdokumentation „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“. Darin wurde erst einmal das rein Stoffliche des historischen Geschehens abgetan, um so zur spielerischen Freiheit für jenes Filmmärchen vorzustoßen.

Aufgrund eigener Verfügung war Reichs Nachlaß bis 2007 gesperrt. Wenn es etwas damit auf sich hat, werden wir es vielleicht in den nächsten Jahren erfahren. Der Produzent des Films ist sich sicher: „Ein schnelles Urteil ist unmöglich, wer sich einmal mit Reich eingelassen hat, den läßt dieser Mensch nicht kalt, egal wie man zu seinen Thesen steht.“ Und so fischt dieser Film zwar nicht im Trüben, wohl aber im Bunten und Unverbindlichen einer facettenreich schillernden Hinterlassenschaft.

Foto: Wilhelm Reich (Klaus Maria Brandauer) wird vor Auroras Augen (Birgit Minichmayr) verhaftet

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