© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Der Ruf des Geheimen Deutschlands
Bedeutender Jünger Stefan Georges: Vor fünfzig Jahren starb der deutsch-amerikanische Historiker Ernst Kantorowicz
Felix Dirsch

Zu den wirkmächtigsten Metaphern des 20. Jahrhunderts zählt die vom Geheimen Deutschland. Sie zieht sich vom legendenumwobenen Kreis um den Dichter Stefan George über den Widerstand der Männer des 20. Juli bis zu einer der letzten Abhandlungen des Erlanger Philosophen Manfred Riedel. Heute wird dieses Bild zumeist nur noch als Ausdruck eines Kotaus vor dem nationalistischen Zeitgeist verstanden.

Ernst Kantorowicz, neben Karl Wolfskehl, Kurt Hildebrandt, Max Kommerell und Friedrich Gundolf eines der bedeutenden Mitglieder des George-Kreises, hat eine solche Sicht in seiner späteren Zeit wohl geteilt. Folgerichtig ließ er aus den Neuauflagen seines Standardwerkes über Friedrich II. von Hohenstaufen die Widmung an das Geheime Deutschland und die Symbolik dieses hermetischen Zirkels entfernen. Das gefeierte Buch aus den 1920er Jahren, das seinen biographischen Gegenstand als emphatische Führergestalt und Heros darstellt, hat zweifellos wichtige Impulse aus der Umgebung des charismatischen Meisters empfangen.

Noch heute ist umstritten, warum eine männerbündlerische, teilweise homoerotische Gruppe, als deren Mittelpunkt eine eher kommunikationsarm-mystifizierte Persönlichkeit mit einem nur schmalen Werk fungierte, derartige Einflüsse entfalten konnte, die weit über Georges Lebenszeit, der 1933 verstarb, hinausgeht. Solche geistes- und realgeschichtlichen Verästelungen faszinieren bis in die unmittelbare Gegenwart, wie auch die 2009 veröffentlichte Studie von Ulrich Raulff („Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben“) verdeutlicht.

Kantorowicz, 1895 geboren, wächst als Sohn einer wohlhabenden Posener Kaufmannsfamilie jüdischer Herkunft auf. Wäre nicht der Erste Weltkrieg dazwischengekommen, hätte er wohl den elterlichen Betrieb übernommen. Stattdessen diente er dem Vaterland an verschiedenen Fronten, unter anderem in der Türkei und in der Ukraine, wurde verwundet und schied als dekorierter Offizier aus. Unmittelbar nach Kriegsende kämpfte er gegen räterepublikanische Bestrebungen, was zur Ausprägung einer dezidiert konservativen Gesinnung beigetragen haben dürfte. Danach studierte er in München und Heidelberg Volkswirtschaft und Geschichte. Im Anschluß an die Promotion und den Erfolg seiner Abhandlung über Friedrich II. erhält er zuerst eine Honorarprofessur in Frankfurt, später an derselben Universität ein Ordinariat.

1933 aus dem akademischen Dienst ausgeschieden, emigrierte Kantorowicz 1938 über England in die USA. Vorher mußte er die Spaltung des George-Kreises erleben. So bekannte sich der Philosoph Hildebrandt zu den neuen Machthabern, während das jüdische Mitglied Wolfskehl Deutschland verlassen mußte. Kantorowicz’ Mutter und seine Cousine, die Kunsthistorikerin Gertrud Kantorowicz, die möglicherweise den Kontakt zu George hergestellt hatte, verloren im Konzentrationslager ihr Leben.

In seinem Exil in Princeton veröffentlichte der Mediävist in den fünfziger Jahren seine zweite vielbeachtete Untersuchung, die im Original unter dem Titel „The King’s Two Bodies“ erschien. Die Publikation, die die politische Theologie des Mittelalters herausarbeitet, differenziert zwischen einem sterblichen Leib des Königs und einem unsterblichen, der im Fortgang der Dynastie besteht. Der Verfasser belegt akribisch-quellengesättigt, wie auf theologischer Grundlage der Zusammenhalt der Gemeinschaft ermöglicht worden war. Er beantwortete auf diese Weise die Frage: Was hielt die mittelalterliche Gesellschaft zusammen?

Nicht nur die positive Rezeption der „Zwei Körper“ erhöhte das Ansehen des Gelehrten an seiner amerikanischen Wirkungsstätte, sondern auch seine Weigerung, den Loyalitätseid zu leisten. In der McCarthy-Ära beabsichtigte man so, die Universitäten gegen kommunistische Umtriebe zu immunisieren.

Daß Kantorowicz auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Ableben nicht vergessen ist, zeigte zuletzt die Mannheimer Staufer-Ausstellung 2010/11. Bei etlichen der Führungen wurde seine Friedrich-Schrift (trotz einiger obsoleter Details) als nach wie vor grundlegend hervorgehoben. Sie ist also in der unmittelbaren Gegenwart nicht bloß ein Geheimtip, wie man angesichts der geistigen Herkunft des Verfassers meinen könnte.

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