© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Moskau und sein abgefahrener Reifen
Vor vierzig Jahren wurde der sowjetnahe chilenische Präsident Salvador Allende in Chile gestürzt / Hintergründe eines Opfermythos
Wolfgang Kaufmann

Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbeiter! Dies sind meine letzten Worte und ich bin sicher, daß mein Opfer nicht umsonst sein wird, ich bin sicher, daß es wenigstens ein symbolisches Zeichen ist gegen den Betrug, die Feigheit und den Verrat.“ Damit endete am 11. September 1973 eine improvisierte Radioansprache des sozialistischen chilenischen Präsidenten Salvador Allende Gossens – gehalten während der Belagerung des Regierungspalastes La Moneda durch die Putschistentruppen von General Augusto Pinochet sowie wenige Stunden bevor sich der Redner mit einer russischen AK-47 in den Kopf schoß.

Und tatsächlich hatte sein Tod etwas Symbolisches, aber anders als von Allende gedacht: Bei genauerer Betrachtung starb hier nämlich kein Märtyrer der Demokratie, sondern ein politischer Bankrotteur und fallengelassener Sowjetagent, der seinen einzigen Ausweg im Suizid sah, den er dann auch ganz folgerichtig mit einer Waffe verübte, die aufgrund seiner fatalen Kollaboration mit Moskau in den Andenstaat gelangt war.

Zerstört wurde der Mythos vom selbstlosen Patrioten Allende, dem eine von der CIA gesteuerte Junta das Grab geschaufelt habe, durch die Geheimdiensthistoriker Christopher Andrew und Kristian Gustafson, wobei diese sich maßgeblich auf die Unterlagen stützten, welche der KGB-Überläufer Wassili Mitrochin im November 1992 aus Rußland herausgeschmuggelt hatte. Aus diesen Papieren geht zweifelsfrei hervor, daß Allende, der seit 1943 als Generalsekretär der Sozialistischen Partei Chiles (PS) fungierte, mit dem sowjetischen Geheimdienst KGB kollaborierte. Diese Zusammenarbeit begann im Jahre 1953 nach einem ersten Treffen mit Swjatoslaw Fedorowitsch Kusnezow (Deckname „Leonid“) von der KGB-Gruppe PR (Politische Aufklärung).

Allende erhielt den Decknamen „Leader“ und wurde ab diesem Zeitpunkt als „Geheimkontakt“ des KGB geführt, womit er formell nicht als Agent galt und auch keine regelmäßigen Zahlungen aus Moskau erwarten konnte. Das hinderte den ambitionierten Sozialistenführer aber nicht daran, Kusnezows Hintermännern seine uneingeschränkte Bereitschaft zu signalisieren, „auf vertraulicher Basis zu kooperieren und jede erforderliche Hilfe zu leisten, da er sich als Freund der Sowjetunion betrachte“. Damit galt er in den Augen der Kremlführung als der geeignetste Kandidat, ein Linksbündnis in Chile zu schmieden, das die Regierung übernehmen und dem Prestige sowie dem Einfluß der Vereinigten Staaten in Südamerika schaden sollte. Das erschien den Sowjets deshalb so wichtig, weil „die lateinamerikanische Herde als Wahlmaschine für die USA in der Uno gesehen wurde“, wie ein weiterer Kontaktmann Allendes, der spätere KGB-Vizechef Nikolai Leonow, feststellte.

Allerdings scheiterten die gemeinsamen Versuche von Sozialisten und Kommunisten, in Santiago de Chile an die Macht zu kommen, 1958 und 1964. Erst 1970 schien ein Sieg von Allendes Linksbündnis Unidad Popular im Bereich des Möglichen zu liegen. Eine Ursache hierfür war die geheime sowjetische Wahlkampfunterstützung in Höhe von 518.000 US-Dollar. Diese Summe erscheint aus heutiger Sicht nachgerade lächerlich, jedoch gab die CIA im gleichen Zeitraum auch nur 425.000 Dollar aus, um den Sieg der Unidad Popular zu verhindern. Darüber hinaus flossen weitere 50.000 Dollar als „persönliche Subvention“ des KGB direkt in die Taschen von Allende. Der wiederum sicherte sich auch noch die Unterstützung Fidel Castros, mit dem er seit 1959 eine enge Freundschaft pflegte. Deutlichster Ausdruck dieses zweiten Bündnisses war die Heirat von Allendes Tochter Beatriz mit dem kubanischen Geheimdienstoffizier Luiz Fernandez de Oña, welcher als Verbindungsmann zu Allendes Leibwache, der Grupo de Amigos Personales (GAP), fungierte.

Am 4. September 1970 erreichte die Unidad Popular dann tatsächlich eine knappe Mehrheit, wofür die relative Untätigkeit der CIA mitverantwortlich war: Das Linksbündnis Allendes erhielt 36,3 Prozent der Stimmen, während die Nationalisten auf 35 und die Christdemokraten auf 27,8 Prozent kamen. Unter der somit möglich gewordenen Präsidentschaft des KGB-Geheimkontaktes „Leader“ geriet Chile dann massiv unter sowjetischen und kubanischen Einfluß: So unterwanderten die Kubaner neben der GAP nun auch die chilenischen Geheim- bzw. Nachrichtendienste Informacion y Chequeo und Servicio de Investigaciones, während sich der KGB auf die Streitkräfte des Landes konzentrierte. Dabei erreichte er unter anderem, daß die Investigaciones Anfang 1973 damit begannen, den chilenischen Generalstab abzuhören und die Ergebnisse weiterzuleiten. Das sowjetische Politbüro honorierte solche und andere „Leistungen“ mit einer weiteren privaten Zahlung an Allende in Höhe von 30.000 Dollar „zur Festigung des vertrauensvollen Verhältnisses“.

Andererseits freilich ruinierte die Unidad-Popular-Regierung die chilenische Wirtschaft: Zwei Jahre nach Allendes Wahlsieg lag die Inflationsrate bereits bei 500 Prozent und ein Massenstreik nach dem anderen erschütterte das Land. Aus der Sicht des damaligen KGB-Chefs Juri Andropow lag das daran, daß der sozialistische Präsident nicht bereit war, „eine gewisse Gewalt, eine gewisse eiserne Hand“ gegen das „Bürgertum“ anzuwenden. Deshalb entschied das Moskauer Politbüro Mitte 1973, Chile keine neuen Kredite und auch keine weiteren Waffenlieferungen mehr zu gewähren – man verzichtete erklärtermaßen darauf, einen „abgefahrenen Reifen notdürftig zu flicken“. Außerdem stolperten die Sowjets nun vermehrt über geopolitische Realitäten, welche zur Zurückhaltung gemahnten. So meinte Andropow: „Lateinamerika ist eine Sphäre speziell US-amerikanischer Interessen. Die USA haben uns in Polen und in der Tschechoslowakei handeln lassen. Unsere Politik in Lateinamerika muß von Behutsamkeit geprägt sein.“

Damit war der KGB-Kontaktmann „Leader“ in Santiago de Chile zum Abschuß freigegeben – und mit ihm Tausende seiner Anhänger, um die der Kreml dann ebenso fleißig Krokodilstränen vergoß, wie um das nunmehrige „CIA-Opfer“ Allende.

Fotos: Das Militär kurz vor Erstürmung des Präsidentenpalastes in Santiago de Chile am 11. September 1973: Krokodilstränen in der sozialistischen Welt für einen zum Abschuß freigegebenen Genossen; Salvador Allende (r.) ernennt den späteren Putschisten Augusto Pinochet zum Armeechef, 23. August 1973: Gegenseitiger Verrat

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