© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Gefesselte Frauen
Das Geheimnis eines „Mami-Pornos“: Eva Illouz präsentiert ein Soziogramm des literarischen Welterfolgs „Fifty Shades of Grey“
Ellen Kositza

Die Bücher und Thesen der 52jährigen Soziologin Eva Illouz erfahren seit einigen Jahren in Deutschland eine breite Rezeption. Illouz wurde in Marokko geboren, zog im Alter von zehn Jahren nach Frankreich und studierte in den USA. Nun lehrt die Israelin an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Bei uns wurde sie bekannt durch ihre Erkenntnisse über die Psychologisierung des Alltags.

In ihrem 2009 auf deutsch erschienenen klugen Verkaufsschlager „Die Errettung der modernen Seele. Therapien, Gefühle und die Kultur der Selbsthilfe“ beschrieb sie, inwiefern der „therapeutische Diskurs“, auf individuelle Selbstverbesserung angelegt, zur klassenübergreifenden Mode wurde. 2011 erschien ihre soziologische Erklärung „Warum Liebe weh tut“.

Liebe, Schmerzen, Psychogramme: Illouz könnte die Richtige sein, den Welterfolg der Porno-Trilogie „Fifty Shades of Grey“ zu erklären. Jene literarisch allenthalben für minderwertig gehaltene Sadomaso-Romanze aus der Feder einer E.L. James (dahinter steht die zweifache Mutter Erika Leonard) hat sich in über siebzig Millionen Exemplaren verkauft. Allein in Deutschland gingen knapp sechs Millionen Stücke dieses Titels über die Theke, die Sex-Geschichte wurde in 37 Sprachen übersetzt. In der gern als „Mami-Porno“ apostrophierten Geschichte geht es um die junge Anastasia, die in die Fänge eines steinreichen, unglaublich attraktiven und einflußreichen Mannes namens Christian Grey gerät. Grey ist ein „Dom“, der sich gern mit „Subs“ vergnügt. Heißt: Er liebt als auch sexuell Dominanter Fessel- und-Verhau-Spiele mit unterwürfigen jungen Frauen. Die Grenzen des „Spiels“ werden vertraglich festgelegt. Grey will sich außerhalb solcher Verträge nicht binden. Doch dann verfallen sich unsere Sparringspartner in jäher Liebe. Der omnipotente Grey wird in seinem Wahn, Ana beschützen zu müssen, zum Kontrollfreak. Sie genießt es, handelt sich gleichzeitig Freiräume aus, hält mit Bedacht ihre berufliche Karriere frei. Das alles ist Schund, natürlich.

Eva Illouz nimmt sich breiten und höchst umständlich geschriebenen Raum (der Essay umfaßt 70 Seiten, der Anhang 104 Fußnoten), um zu begründen, warum diese Geschichte dennoch höchst bedeutsam ist. Nicht jeder unerwartete Bestseller zieht Resultate nach sich. Wie war das mit Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“, das mit anderthalb Millionen verkauften Exemplaren allein der gebundenen Ausgabe zu den bestverkauften Büchern seit Gründung der Bundesrepublik gehörte? Hatte es Folgen? Nein.

Aber der zärtliche Gewaltporno einer Laienautorin: Findige Unternehmer offerieren mittlerweile spezielle Fifty-Shades-Sets, Workshops werden angeboten, in denen den – hauptsächlich weiblichen – Teilnehmern gezeigt wird, wie sie die „Spielzeuge“ zu verwenden haben. Sogar ein „Shades of Grey“-Klassikalbum mit Stücken von Bach und Chopin ist erhältlich. In sämtlichen Versandhäusern der einschlägigen Sorte ist der Absatz von plüschummäntelten Handschellen und Penetrierwerkzeugen in drastische Höhen geschnellt. Zigzehntausende Pärchen in Europa und Übersee haben in den vergangenen Monaten versucht, ihrem Liebesleben durch die Master&Servant-Variante einen Frischestoß zu versetzen. Was soll das bedeuten?

Bald nach Erscheinen des Werks haben Rezensenten in seriösen Blättern Zeter und Mordio gerufen. Nicht aufgrund der expliziten Sexszenen, sondern weil hier ein „typisch konservatives Weltbild“ (FAZ) abgefeiert würde. Die Frau als staunendes, willfähriges Wesen, das dem Begehr des Herrn und Gebieters („du bist so kompetent“) verzückt stattgibt. Ausgerechnet Alice Schwarzer betrachtete den Roman und seinen Erfolg gelassen. Er sei keinesfalls als Rückschlag gegen die Emanzipation zu werten. Die Titelheldin behalte ja bei aller Liebe einen klaren Kopf. Daß die Autorin ihrem Ehemann für dessen „göttliche Qualitäten im Haushalt“ dankte, fand die Schwarzer ausgesprochen „sexy“.

Was hält Eva Illouz von einem Sexmodephänomen, das Frauen in Unzahl dazu bringt, sich fesseln und schlagen zu lassen? Sie behauptet, die weibliche Sehnsucht nach sexueller Dominanz des Mannes dürfe nicht mit der Sehnsucht nach gesellschaftlicher Dominanz verwechselt werden. Illouz laviert dabei ordentlich zwischen den Argumenten, wie auch dem ganzen, in verquaster Sprache verfaßten Büchlein der rote Faden ständig reißt. Illouz erklärt sich Studienergebnisse, wonach zwischen 31 und 57 Prozent aller Frauen Phantasien von erzwungenem Sex haben, damit, daß die moderne Geschlechtergleichheit per se als weniger lustvoll erlebt wird als die Vorstellung einer traditionellen Männlichkeit. Männern, die die Lektionen des Feminismus gelernt hätten, gehe die sexuelle Direktheit ab.

Der Masochismus der Anastasia sei aber verbunden mit einer ansonsten autonomen Persönlichkeit und mit einer auch weiblicherseits „lustvollen und selbstzweckhaften“ Sexualität. Insofern folge die Geschichte durchaus „feministischen Darstellungskodes“. Die weibliche Sehnsucht nach und der Vollzug von Fesselspielen und Unterwerfungssex löse gleichheitsverursachte Probleme des zeitgenössischen Liebeslebens auf einer symbolischen Ebene. „Fifty Shades of Grey“ sei mithin als Ratgeberliteratur für Frauen zu werten. Und definitiv nicht als antifeministisch. Das Time Magazine zählte die Romanautorin unter die einhundert weltweit einflußreichsten Menschen.

Eva Illouz: Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, broschiert, 88 Seiten, 7,99 Euro

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