© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

„Bitte stellen Sie das Luftholen ein!“
Gute Gesinnung kann uns – folgerichtig zu Ende gedacht – ganz schön in die Bredouille bringen. Bevor auch Sie Ihren persönlichen CO2-Ausstoß der Umwelt zuliebe auf Null senken, lesen Sie, warum der Publizist Sebastian Moll davor warnt – und bleiben Sie am Leben.
Moritz Schwarz

Herr Dr. Moll, wir sollen nicht mehr atmen?

Moll: Am besten nicht, nein.

Warum?

Moll: Ich bitte Sie: Aus Verantwortungsbewußtsein natürlich!

„Du sollst nicht atmen“ ist nur ein griffiger Buchtitel – selbstverständlich scherzen Sie.

Moll: Meinen Sie? Mir scheint, Sie als Kohlenstoffdioxidproduzent sind sich Ihrer globalen Verantwortung nicht bewußt. Jeder von uns hinterläßt bekanntlich einen „CO2- Fußabdruck“. Dieser Begriff bezeichnet die Menge Kohlendioxid, die ein Mensch direkt und indirekt produziert. Die ethische Konsequenz ist einfach: Je kleiner mein CO2-Fußabdruck, desto besser bin ich! Sie lachen?

Äh ...

Moll: Nehmen Sie das bitte ernst! Man hat sogar schon versucht, das Pupsen und Rülpsen von Kühen zu besteuern.

Wirklich?

Moll: Ja, das hat etwa die internationale Umweltschutzorganisation WWF vorgeschlagen. Immerhin produziert die Herstellung eines Kilogramms Rindfleisch etwa 36 kg CO2, ungefähr soviel wie ein durchschnittliches Auto auf 250 Kilometer verbraucht, so nachzulesen auf der offiziellen Homepage des Veggie-Day. Dessen eigentliche Begründung ist übrigens ja der Klimaschutz – nicht etwa der Tierschutz. Da aber auch Milchkühe CO2 produzieren, wird wohl irgendwann der Vegan-Day kommen. Das wäre dann auch ganz im Sinne des Umweltbundesamtes, das schon mal ausgerechnet hat, daß es am einfachsten wäre, wenn wir alle vegan leben würden. Nur gut, daß ich bereits Veganer der 5. Stufe bin! Das heißt, ich esse nichts, was einen Schatten wirft. – Nein, das war jetzt wirklich ein Scherz.

Die ökologischen Probleme sind real, die Kümmernis darum also keineswegs falsch.

Moll: Auf gar keinen Fall, da haben Sie völlig recht! Mein Thema aber ist der Exzeß sowie der Mißbrauch, der mit dem schlechten Gewissen getrieben wird. Nehmen Sie das Beispiel Wasserverbrauch. Deutschland, so hat etwa die Umweltorganisation Waterfootprint Network errechnet, hat einen überdurchschnittlichen Pro-Kopf-Wasserverbrauch – und dafür sollte es sich schämen, so die unterschwellige Botschaft. Nun gilt Deutschland allgemein als ein ressourcenarmes Land. Ich sage, das stimmt nicht! Deutschland verfügt über hervorragendes Ackerland und über großen Wasserreichtum. Dieses Wasser haben wir niemandem weggenommen, und es gibt auch keinen realistischen Weg, unser Wasser per Leitung in die Sahelzone zu transportieren. Wir haben folglich keinen Grund, uns wegen unseres erhöhten Pro-Kopf-Wasserverbrauchs zu schämen.

Warum will man uns Ihrer Ansicht nach ein schlechtes Gewissen machen?

Moll: Ich sehe dahinter weniger Interessen als eine Fehlentwicklung unserer Kultur – die sich freilich gewisse Leute zunutze machen. Grundsätzlich aber haben wir es mit einer Art kultureller Verirrung zu tun.

Inwiefern?

Moll: Nehmen Sie das Wort „Umwelt“. Daß der Mensch das größte Problem der Umwelt sei, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Mit so einem Satz riskieren Sie nichts, meist ernten Sie Zustimmung. Tatsächlich aber fußt das Konzept des Wortes auf dem Menschen als Mittelpunkt, denn „Umwelt“, das ist die Welt um ihn herum. Das Wort hat ohne ihn also gar keinen Sinn. Das aber haben wir vergessen. „Umwelt“ hat sich verselbständigt, und diese Entwicklung halte ich für ebenso schädlich wie die Zerstörung der Umwelt.

Die Frage aber war: Was steckt dahinter?

Moll: Ich meine, das Entstehen einer grundsätzlichen Verachtung für das Eigene, die inzwischen im Begriff des „Speziesismus“ gipfelt. Sagt Ihnen das etwas?

Nun ...

Moll: Trösten Sie sich, Sie haben nicht viel verpaßt. Speziesismus meint in Anlehnung an Rassismus oder Sexismus die „überhebliche“ Haltung einer Spezies gegenüber einer anderen. Wenn Sie sich also als Mensch gegenüber einem Wurm für etwas Besseres halten, dann sind Sie Speziesist. Und das heißt, sie sind – da speziesistisch zu denken biologistisch zu denken bedeutet – auch nicht besser als ein Rassist, so jedenfalls die Argumentation der Antispeziesistischen Aktion. Kein Scherz, die gibt es wirklich!

Das Eigene herabzuwürdigen und für schuldig zu erklären, diagnostizieren Sie in Ihrem Buch als eine generelle Tendenz.

Moll: Das finden Sie ständig. Nehmen Sie etwa die angebliche Ausbeutung der Dritten Welt durch den Westen: Statistisch müßten – damit von Ausbeutung die Rede sein kann – die jeweiligen Länder einen Leistungsbilanzüberschuß haben. Es müßten also mehr Ressourcen aus diesen Ländern abfließen als hineinströmen. Ein kurzer Blick auf die Statistik widerlegt die These jedoch, die dennoch ständig verbreitet wird. Oder die Euro-Krise: Daniel Cohn-Bendit etwa erklärt die Misere Griechenlands damit, daß wir Deutschen den Griechen über lange Zeit einfach Waren geliefert haben, die diese sich eigentlich gar nicht leisten konnten. Aha! Wenn ich mir also einen Mercedes bestelle, den ich nicht bezahlen kann, ist Daimler schuld. Man kann es drehen und wenden, wie man will, schuld sind immer wir.

Wie entkommen wir dem?

Moll: Das Schlimme ist, einige Menschen wollen dem gar nicht entkommen, sondern suhlen sich regelrecht in ihrem Schuldbewußtsein. Es ist schon ironisch, daß ausgerechnet die „Anti-Imperialisten“ aufs neue die „Bürde des weißen Mannes“ entdeckt haben, nur eben nicht als Bürde der Herrschaft über andere Völker, sondern als Bürde der „Verantwortung“ für diese, was aber letztlich genauso unberechtigt ist. Und als Höhepunkt glauben wir auch noch, wir könnten kosmische Prozesse wie das Klima dadurch beeinflussen, daß wir unsere Gefriertruhe abtauen.

Allerdings sind Sie kein Klimaforscher, woher nehmen Sie also bitte die Selbstsicherheit bei dem Thema?

Moll: Ich verfüge in der Tat – wie übrigens die meisten Menschen – nicht über die meteorologischen Kenntnisse, um ein angemessenes Urteil abzugeben. Allerdings werde ich mißtrauisch, wenn ich sehe, daß Forscher, die an den Klimawandel glauben, staatlich gefördert werden, während auf die Skeptiker Druck ausgeübt wird. Letztlich geht es ja auch in der Forschung immer um Geld. Wenn ich Mittel für eine Studie zur Überprüfung gängiger Klimamodelle beantrage, werde ich abgeschmettert. Wenn ich aber die Auswirkungen des Klimawandels auf das Paarungsverhalten von Eichhörnchen untersuchen will, dann fließt das Geld in Strömen.

In Ihrem Buch machen Sie die „Gutmenschen“ für diese Entwicklung verantwortlich.

Moll: Gutmenschen sind, frei nach Goethe, ein Teil von jener Brut, die stets das Gute denkt und nie das Gute tut. Ihnen liegt nur daran, ihre reine Gesinnung zu wahren, für die Konsequenzen interessieren sie sich nicht.

Zum Beispiel?

Moll: Beispiel Mindestlohn. Konfrontieren Sie doch einmal einen Vertreter des Mindestlohns mit der Tatsache, daß bei dessen Einführung die Arbeitslosigkeit steigt. Sie werden sehen, die meisten zeigen sich da völlig desinteressiert. Ein anständiger Mensch ist natürlich für Mindestlohn – alle anderen reden der Ausbeutung das Wort. Die Folgen aber werden ignoriert, da fühlt man sich nicht verantwortlich. Auch die Aufforderung „Du sollst nicht atmen!“ verdeutlicht diese Haltung: Verbote zur Demonstration guter Gesinnung, ohne Interesse für die Folgen für den Menschen. Dieser Konflikt begegnet uns schon in der Bibel.

In der Bibel?

Moll: Auch dort gibt es Leute, die sich nicht um ihre Mitmenschen scheren, sondern deren moralisches Gesetz darin besteht, Dinge nicht zu tun, die Pharisäer: Sie nehmen keine unreinen Speisen zu sich, pflegen keinen Umgang mit unreinen Menschen etc. Und es gibt jemanden, der sie auf die Fragwürdigkeit ihrer Haltung hinweist: Jesus. Als die Pharisäer ihm etwa vorwerfen, am Sabbat Kranke zu heilen, entgegnet er: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, nicht der Mensch um des Sabbat willen.“ Jesus war das Schicksal der Kranken wichtiger als die akribische Befolgung von Verboten. Übrigens heißt es in der Bibel weiter: „Da berieten die Pharisäer, wie sie ihn töten könnten.“ Das also ist eine der Lehren des Evangeliums: Der Macher landet am Kreuz.

Manche betrachten allerdings gerade Jesus als ersten Gutmenschen.

Moll: Jesus ist ganz sicher kein Gutmensch, er interessiert sich nicht für Ideologie, sondern für den einzelnen. Insofern ist er eher ein Liberaler.

Jesus hätte FDP gewählt?

Moll: Die Frage nach der Parteizugehörigkeit Jesu überlasse ich Experten wie Herrn Geißler. Ich kann nur sagen, daß für Jesus der einzelne im Mittelpunkt steht, nicht das Kollektiv. Als er Petrus am See Genezareth traf, sagte er nicht: „Komm’, laß uns eine Fischergewerkschaft gründen“, sondern: „Du aber, folge mir nach!“

Müssen Sie als evangelischer Theologe aber nicht einräumen, daß das Gutmenschentum Produkt des Protestantismus ist?

Moll: Die Gutmenschenkultur ist in der Tat in protestantisch geprägten Ländern besonders verwurzelt. Und richtig ist auch, daß Martin Luther wohl unfreiwillig zu ihrem Entstehen beigetragen hat, indem er stets die Bedeutung der inneren Haltung betonte.

Eben, der ethische Wert einer Handlung entscheidet sich bei Luther an der Gesinnung, nicht an deren Resultat.

Moll: So ist es, aber natürlich muß man das fairerweise vor dem Hintergrund des Ablaßstreits sehen, als den Leuten vorgegaukelt wurde, daß allein eine äußere Handlung, der Kauf eines Ablaßbriefs, zur Sündenvergebung führe. Grundsätzlich ist ja auch nichts dagegen einzuwenden, auf die Gesinnung eines Menschen zu achten. Aber für Luther war selbstverständlich, daß aus guter Gesinnung auch gute Taten folgen. Eben dieser Zusammenhang wird aber im modernen Gutmenschentum durchbrochen, insbesondere unter Linken. Simone de Beauvoir schreibt, sozialistische Gesinnung habe „nichts mehr mit christlicher Moral zu tun, sie verlangt vom Individuum weder Askese noch Armut, das Privatleben ist ihr egal“. Früher habe ich immer geglaubt, es sei Pflicht, seine Lebensanschauung zuerst in seinem eigenen Leben umzusetzen. Aber seit ich Beauvoir gelesen habe, verstehe ich, warum der Vorsitzende der Linkspartei einen Porsche fährt und ein großzügiges Landhaus bewohnt, oder warum Andrea Ypsilanti die Förderung der Gesamtschule propagiert, ihren Sohn aber auf eine Privatschule schickt. Das Privatleben ist egal, Hauptsache die Ideologie stimmt.

Also ist gut zu sein heute nichts anderes als Heuchelei?

Moll: Ganz und gar nicht. Und ich möchte mein Buch nicht als Freibrief für Zyniker verstanden wissen. Das Problem aber ist, daß wir Idealismus automatisch als gut interpretieren, dabei ist der Begriff erst einmal neutral. Auch Kommunismus und Faschismus waren beziehungsweise sind idealistische Systeme, die den Menschen ihre Vorstellung einer idealen Gesellschaft aufzwingen wollen und dabei im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehen. Deswegen sind, so paradox es klingt, Idealisten oft gefährlicher als Realpolitiker. Dabei meinen es die meisten Gutmenschen ja tatsächlich gut. Aber wie schon Tucholsky wußte: Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint. Ich bin der festen Überzeugung, daß Dummheit auf dieser Welt mehr Schaden anrichtet als Bosheit. Daher erhebe ich in meinem Buch auch nicht den moralischen Zeigefinger, sondern versuche, Mut zum selbständigen Denken zu wecken.

 

Dr. Sebastian Moll, der Publizist und Theologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der evangelischen Fakultät der Universität Mainz. Bekanntheit erlangte Sebastian Moll mit seiner 2011 veröffentlichten „furiosen Streitschrift“ (Christ & Welt) „Jesus war kein Vegetarier“, in der er die moderne Inanspruchname Jesu Christi als Vegetarier, Feminist oder Antidiskriminierungsbeauftragter zurückweist. „Die evangelische Theologie“, kritisiert Moll, „will vor allem politisch korrekt sein, der Glaube stört da nur“. Wissenschaftlich publizierte der 1980 in Köln geborene „vielversprechende Nachwuchstheologe“ (Katholische Sonntagszeitung) über die Geschichte des frühen Christentums und die Ursachen des christlichen Antijudaismus. Mit seinem neuen Bändchen „Du sollst nicht atmen! Warum wir am besten das Atmen einstellen und andere Erkenntnisse aus dem Jetzt“, erschienen bei Adeo/Random House, setzt er nun die satirische Gesellschaftsaufklärung seines Publikumserfolgs „Jesus war kein Vegetarier“ fort.

www.welt-in-moll.de

Foto: Konsequente Gutmenschen: „Am besten wäre, sich in einen unbeheizten, dunklen Raum einzusperren und gar nichts zu tun!“

 

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