© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Bernd Lucke will nicht auf die Bahamas
Bundestagswahl: Der anhaltende Rummel um die Alternative für Deutschland macht die Partei zum Gegenstand von Koalitionsüberlegungen
Marcus Schmidt

Kritiker werfen Angela Merkel häufig vor, sie lasse wichtige Entwicklungen oft schleifen. Sie entschließe sich erst zum Handeln, wenn die Situation so ernst ist, daß sich ihr Eingreifen als Bundeskanzlerin oder CDU-Chefin nicht mehr vermeiden lasse, soll größerer Schaden vermieden werden. Wenn diese Beobachtung zutrifft, ist am vergangenen Wochenende etwas Bemerkenswertes geschehen. In der Bild am Sonntag schloß Merkel eine Koalition mit der Alternative für Deutschland (AfD) explizit aus. Damit verließ die Parteichefin die bisherige Linie der Union, den neuen bürgerlichen Konkurenten im Wahlkampf zu ignorieren. Erst in der vergangenen Woche hatte der CDU-Konservative Wolfgang Bosbach diesen Kurs seiner Partei kritisiert. „Wir müssen die AfD als neue politische Kraft ernst nehmen. Der Versuch, sie im Wahlkampf komplett zu ignorieren, wird nicht erfolgreich sein. Wir müssen uns mit ihren Argumenten auseinandersetzen“, sagte er der Bild-Zeitung.

Dabei wäre es auch jetzt noch ein leichtes für Merkel, die Frage nach einer Zusammenarbeit mit der neuen Partei mit einem Verweis auf die Umfragen, in denen die AfD zumeist bei drei Prozent liegt, abzubügeln. Doch die Kanzlerin und mit ihr die Wahlkampfstrategen der CDU haben sich anders entschieden. Denn sie halten es nicht mehr für ausgeschlossen, daß die AfD tatsächlich in den Bundestag einzieht. Daher schaltet die Union nun auf Angriff um.

Und so ging zeitgleich mit Merkel auch CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) die Euro-kritische Partei in einem Interview hart an. „Ich bin aber zuversichtlich, daß die Bürger klug wählen werden. Die Menschen wissen, daß die Partei nur ein Thema hat“, sagte er dem Tagesspiegel. Kauder warf der AfD zudem vor, kein richtiges Programm zu haben und bei ihrem Nein zur Euro-Rettungspolitik nicht die Folgen für Deutschland und seine Bürger zu bedenken. Auch er ließ durchblicken, daß in Berlin mittlerweile mit dem Einzug der AfD in den Bundestag gerechnet wird. „Die Menschen wissen auch, daß viele Parteien im Bundestag dessen Handlungsfähigkeit erschweren“, warnte Kauder daher die Wähler, die AfD über die Fünfprozenthürde zu heben.

Spätestens seit den Interview-Äußerungen der Kanzlerin und ihres Fraktionschefs ist die politische Diskussion vor der Bundestagswahl um den Begriff der „Bahamas-Koalition“ erweitert worden. Die schwarz-gelb-blaue Flagge des Inselstaates im Atlantik steht dabei für eine mögliche Koalition aus CDU/CSU, FDP und AfD für den Fall, daß es nach dem 22. September für Schwarz-Gelb alleine nicht reicht – und die AfD tatsächlich in den Bundestag einzieht.

Die AfD-Spitze um Bernd Lucke reagierte umgehend auf die nervösen Angriffe der Union. Denn die Führung der jungen Partei weiß, wie gefährlich die Bahamas-Diskussion für sie werden könnte. Politische Beobachter in Berlin gehen davon aus, daß die Diskussion von Unions-Strategen gezielt angestoßen wurde, um die Anhänger der neuen Partei zu verunsichern. Unter ihnen sind viele, die eine tiefe Abneigung gegen die etablierten Parteien haben und daher eine Zusammenarbeit – unabhängig von einem möglichen Umdenken in der Euro-Rettungspolitik – grundsätzlich ablehnen.

„Es gibt von uns keinerlei Koalitionsangebote“, stellte Lucke denn auch am Wochenende klar. Zwar sei die AfD zur Zusammenarbeit mit allen demokratischen Parteien bereit, aber nur, wenn diese sich grundlegend von der jetzigen Euro-Rettungspolitik abwenden. Diese klare Aussage als ein Koalitionsangebot an eine bestimmte Partei zu interpretieren, sei unangemessen, fügte er hinzu. Grundsätzlich führe die AfD vor ihrem Einzug in den Bundestag keinerlei Gespräche mit anderen Parteien und mache auch keine Angebote, machte der Parteichef deutlich. Es bleibe vielmehr den Altparteien überlassen, ob sie sich nach der Bundestagswahl in der gescheiterten Euro-Rettungspolitik auf die AfD zubewegen wollten. Darauf deute derzeit allerdings nichts hin. Lucke ließ nebenbei erkennen, daß ihm der Hintergrund der von der Unions-Spitze mutwillig angestoßenen Diskussion natürlich bewußt ist. „Allerdings freut uns die Aussage der Kanzlerin, denn sie bestätigt damit unsere Erwartungen: Die Alternative für Deutschland wird am 22. September in den Bundestag einziehen“, sagte er.

Unterstützung bekommt Lucke mit seiner Einschätzung mittlerweile von den meisten Umfrageinstituten. Zwar lag die AfD Anfang der Woche in keiner Umfrage der großen Institute über der magischen Fünfprozenthürde. Doch sowohl Forsa-Chef Manfred Güllner als auch Hans-Peter Schöppner von TNS Emnid halten es für möglich, daß die Partei in den Bundestag einzieht. Einzig das sogenannte „Wahl-Radar“ der Düsseldorfer Agentur Osicom, für das neben Umfragen auch die sozialen Netzwerke wie etwa Facebook und Twitter sowie sogenannte Wahlbörsen ausgewertet werden, sieht die AfD bereits seit Wochen deutlich über fünf Prozent.

Güllner sagte dem Focus mit Blick auf AfD-Sympathisanten, es gebe eine „gewisse Dunkelziffer“, die in Umfragen nicht zugeben wollten, eine Euro-kritische Partei zu wählen. Er erinnerte an die Landtagswahl in Baden-Württemberg im Jahr 1996, als die Republikaner in Umfragen auf vier bis fünf Prozent der Stimmen kamen, am Wahlabend aber knapp zehn Prozent erreichten. „Ein Teil der Anhänger wollte sich nicht befragen lassen, weil sie den Meinungsforschern grundsätzlich mißtraut haben“, sagte Güllner. Bei vielen potentiellen AfD-Wählern sei das heute ähnlich. Schöppner hält es zudem für denkbar, daß die AfD in der Schlußphase zulegt und den Sprung in den Bundestag schafft. Manche Wähler hätten den Impuls, schlicht die Partei zu wählen, „mit der man die Etablierten am meisten ärgern kann“, sagte er dem Focus. Viele Meinungsforscher vermuten, daß es der neuen Partei gelingen kann, viele Nichtwähler zu mobilisieren.

Die Alternative für Deutschland bereitet sich unterdessen auf den Schlußspurt ihres Wahlkampfes vor. Für diesen Sonnabend sind in Frankfurt am Main eine Demonstration und eine Kundgebung auf dem Römerberg geplant, für die deutschlandweit mobilisiert wird.

Stargast ist der ehemalige Präsident des slowakischen Parlamentes Richard Sulik. Daneben treten die Parteisprecher Lucke, Konrad Adam und Frauke Petry sowie der AfD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Hessen, Christian Gleissner, und der frühere hessische Staatssekretär Alexander Gauland auf.

Für den kommenden Montag plant die Partei dann in Berlin vor dem Brandenburger Tor eine medienwirksame Wahlkampfaktion mit Bernd Lucke. „Etwas für das Auge“, wie es aus der Partei heißt. Dagegen ist der geplante Auftritt des früheren tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus in der Hauptstadt abgesagt worden. Zu stark waren in der Partei offenbar die Vorbehalte gege den Politiker, der mehrfach die Benesch-Dekrete, die Grundlage für die Vertreibung und Enteignung der Deutschen aus der Tschechoslowakei waren, verteidigt hatte.

Welcher Stellenwert der Partei bei der Bundestagswahl mittlerweile in Berlin zugeschrieben wird, zeigt der erzwungene Wechsel des Veranstaltungsorts für die Wahlparty am Abend des 22. September. Das zunächst ins Auge gefaßte Hotel in Rufweite des Konrad-Adenauer-Hauses erwies sich schnell als viel zu klein für den erwarteten Ansturm von Parteimitgliedern und Medienvertretern.

 

Kleine Flaggenkunde der Koalitionsarithmetik

Die Bahamas sind nicht der erste Inselstaat, dessen Flagge dafür herhalten muß, die Koalitionsmöglichkeiten deutscher Parteien zu veranschaulichen. Bevor die schwarz-gelb-blauen Farben der Bahamas zum Symbol für ein mögliches Bündnis aus CDU/CSU, FDP und AfD erklärt wurden, segelte bereits ab 2009 eine Koalition im Saarland unter der Flagge Jamaikas. Der Regierung aus CDU, Grünen und FDP war indes kein langes Leben beschieden. Sie wurde bereits 2012 wieder abgelöst. Ursprünglich wurde die Jamaika-Koalition auch als schwarze Ampel bezeichnet. Denn die Ampelkoalition ist seit den neunziger Jahren das wichtigste Symbol für politische Farbenspiele. Sie steht für ein Bündnis aus SPD, FDP und Grünen. Eine Ampelkoalition auf Landesebene regierte von 1991 bis 1995 in Bremen. Auch hier wäre übrigens eine Flagge als Symbol möglich: die grün-gelb-rote Flagge Senegals.

Flaggen der Bahamas (l.) und Jamaikas als Symbol von Koalitionen: Mit der Ampelkoalition fing alles an

Foto: Bernd Lucke auf einer Wahlkampfveranstaltung in Leipzig: Ansturm auf die Wahlparty am 22. September in Berlin

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