© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Grüße aus London
Irisches Kleinod
Derek Turner

Auf zum Urlaub nach Irland. Und welch Wunder – zwei Wochen war das Wetter typisch irisch: wolkig mit mildem Nieselregen. Doch dieser eine Morgen dämmerte klar und heiter. Ein perfekter Tag zum Erklimmen von Croagh Patrick, dem 764 Meter hohen kegelförmigen Berg, der lange bevor der Heilige Patrick dort im Jahre 441 n. Chr. vierzig Tage und Nächte lang gefastet haben soll, ein beliebtes Reiseziel für heidnische Pilger darstellte. Seither kommen vor allem christliche.

Selbst mir als erfahrenem Bergwanderer bereitet der Anstieg Schwierigkeiten. Manche Stellen sind extrem steil, und das obere Drittel des Berges besteht aus Geröll, das den Füßen wenig Halt bietet. Manche Pilger haben die Wanderung nicht überlebt – vor allem bei plötzlichen Nebeleinbrüchen, wie sie hier so häufig vorkommen.

Trotzdem ist auf dem Wanderweg viel los – ganz ungewohnt in diesem Land aus schwarzen Moorlandschaften, tückischen Küsten und engen Straßen. Menschen unterschiedlichsten Alters kämpfen sich Schritt für Schritt in Richtung Gipfel oder klettern vorsichtig wieder herab.

Ich treffe eine Frau, die den Berg zum 35. Mal besteigt, Besucher aus Europa, den USA, Australien. Nur wenige von ihnen sind offensichtlich als Pilger zu erkennen. Doch mir begegnen viele einsame Wanderer, und als ich schließlich mit meinem hundemüden Jack-Russell-Terrier den Gipfel erreiche, sehe ich dort viele nachdenklich in sich versunken sitzen. An der Aussicht, die sie genießen, dürfte sich seit Patricks Zeiten wenig geändert haben. Weiter unten fliegen Raben zwischen zarten Wolkenschleiern hin und her.

Im Norden liegt Clew Bay, Schlupfwinkel der „Piratenkönigin“ Grace O’Malley, die tapfer Königin Elisabeth I. entgegentrat, um ihre Beschwerden über das Verhalten der Engländer vorzutragen. Es ist eine weite, mit Inseln bestückte Wasserfläche in verschiedenen Blautönen, unter denen sich Sandbänke verbergen.

In weiterer Ferne die zerklüfteten Küsten, die der Spanischen Armada zum Verhängnis wurden. Im Süden noch mehr Berge, die sich bis nach Galway wellen. Im Osten die Stadt Westport und die „Ebene der Eibenbäume“ (Maigh Éo), die der Provinz Mayo ihren Namen gab. Und im Westen der Atlantik, der bis nach Amerika reicht. Dazwischen nichts als Wasser – und Tír na nóg („Land der Jugend“), das der keltischen Legende zufolge hinter der untergehenden Sonne liegt.

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