© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Keine Chance gegen die Datenschnüffler
Ausspähprogramme: Selbst anerkannte Verschlüsselungstechniken sind vor Geheimdiensten nicht sicher / Auch Einfallstor für Kriminelle?
Michael Wiesberg

Es handle sich „um völlig unbewiesene Behauptungen“, entgegnete ein Sprecher des Bundesinnenministeriums Informationen des „Whistleblowers“ Edward Snowden, nach denen Datenverschlüsselung kein Hindernis für anglo-amerikanische Geheimdienste ist. Was sollte er auch sagen, sieht doch sein Chef Hans-Peter Friedrich bei den Enthüllungen vor allem eine „Mischung aus Antiamerikanismus und Naivität“ am Werk. Sein CSU-Parteifreund Hans-Peter Uhl schob den Schwarzen Peter an Wirtschaft und Bürger weiter: „Wem Daten wichtig sind, der muß sie verschlüsseln und darf nicht auf den Nationalstaat hoffen“, so der Chef der Arbeitsgruppe Innenpolitik der Unionsfraktion.

Spätestens seit voriger Woche wäre zu konkretisieren: Wem Daten so wichtig sind, daß er sie verschlüsselt, der vertraut auf das Prinzip Hoffnung – nämlich darauf, daß „befreundete“ Dienste und die durch sie beauftragten IT-Firmen deutsches Datenschutzrecht beachten. Die der New York Times (NYT) und dem britischen Guardian zugespielten Dokumente lassen den Schluß zu, daß gerade jene Firmen oder Personen im Visier der amerikanischen NSA oder des britischen GCHQ stehen, die ihre Daten verschlüsseln. Bisher weitgehend als sicher geltende Netzverschlüsselungstechniken sind demnach obsolet. Mittels der Geheimdienstkontakte zu den Anbietern dieser Datenschlüssel sei es möglich, „Hintertüren“ in vermeintlich sichere Verbindungen einzubauen. Eine Variante kennt jeder, der Bankgeschäfte via Internet erledigt: Dort steht dann vor der Adresse nicht „http“ sondern „https“ für Hypertext Transfer Protocol Secure.

Doch dieses Übertragungsprotokoll ist nur bedingt sicher. Auch sind nicht nur einzelne Banken, sondern das gesamte Telekommunikationsnetzwerk für den Interbanken-Austausch (Swift) im Visier. James Robert Clapper, Nationaler Geheimdienstdirektor (DNI) der USA, bestreitet dies nicht. Das Sammeln von Wirtschafts- und Finanzdaten diene aber lediglich dazu, die Finanzströme von Terroristen zu überwachen oder drohende Finanzkrisen vorherzusagen. Die Glaubwürdigkeit des Snowden-Materials wird zudem dadurch gesteigert, daß NYT und Guardian der Geheimdienstforderung, auf „detaillierte Informationen“ zu verzichten, Folge leisteten. Die Frage nach beteiligten Firmen oder Personen bleibt unbeantwortet.

Die weitreichenden Konsequenzen der jüngsten Enthüllungen für die Privatsphäre mögen unangenehm sein – für die Unternehmen außerhalb der Five Eyes Alliance (Australien, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und USA) ist all dies der Daten-GAU – der größte anzunehmende Unfall. Wenn der brasilianische Ölriese Petrobras ausspioniert wurde, wie der Sender Rede Globo unter Berufung auf Snowden-Dokumente berichtete, warum sollten dann andere Firmen, die Geschäfte mit strategischen Rohstoffen oder Technologie machen, kein Ziel von NSA & Co. sein?

Daten von Industrieunternehmen waren schon vor George W. Bushs „War on terror“ Ziel privater wie auch staatlicher Spionage. Bereits im Juni 2001 konstatierte ein Bericht des Echelon-Ausschusses des EU-Parlaments, daß sich die Prioritäten der US-Geheimdienste nach Ende des Kalten Krieges signifikant verändert hätten: 40 Prozent der Informationssammlung der Amerikaner bezögen „sich entweder ganz oder teilweise auf Wirtschaftsbelange“.

Daß Wirtschaftsspionage eine exponierte Bedeutung für die USA hat, macht bereits die National Security Directives (NSD) vom 20. März 1992 klar. Die Bespitzelung ausländischer (auch europäischer) Konkurrenten von US-Firmen diene aber angeblich nur der Schaffung „fairer Ausgangsbedingungen“. Diese „erzieherische“ Position verteidigte Ex-CIA-Chef James Woolsey schon im März 2000 im Wall Street Journal: „Richtig, meine kontinentalen Freunde, wir haben euch ausspioniert, weil ihr mit Bestechung arbeitet.“ Und warum ist das so? Die Produkte europäischer Unternehmen seien „oftmals teurer oder technologisch weniger ausgereift“ als die der US-Konkurrenten. Deshalb griffen sie zum Mittel der Bestechung.

Echelon ist das vor 1990 entstandene „Five Eyes“-Überwachungsprogramm für den Daten- und Telefonverkehr über Satellit. Inwieweit es in die neuen Techniken integriert ist, ist unklar. Woolsey hatte seinerzeit darauf verwiesen, daß „rund 95 Prozent der amerikanischen Wirtschaftsinformationen aus frei zugänglichen Quellen“ stammten. Aber was heißt heute „frei zugänglich“? Was ist mit den Privatfirmen und ihren Angestellten, die den Geheimdiensten zuarbeiten? Warum sollte der nächste Edward Snowden statt nach Moskau nicht zur Mafia überlaufen? Wer garantiert, daß die gesammelten Informationen nicht doch US-Firmen Wettbewerbsvorteile verschaffen? Die NSA soll laut Guardian eine Abteilung haben, deren einzige Aufgabe es ist, die außenpolitischen und wirtschaftlichen Aktivitäten europäischer Staaten wie Frankreich, Deutschland oder Spanien zu überwachen. Welche Ziele hier verfolgt werden, verdeutlichte der Geheimdienstexperte James Bamford, Autor des Buches „NSA. Die Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der Welt“: „Bei Diskussionen um Handelsfragen zu wissen, was die anderen denken, ist das gleiche, wie beim Poker das Blatt des Gegenübers zu kennen.“

Anzunehmen, daß Erkenntnisse nicht gezielt eingesetzt werden – etwa bei den Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP, JF 28/13) – grenzt an Realitätsverweigerung. Die deutschen Verfassungsschutzbehörden warnen seit Jahren zwar eindringlich vor Spionage aus China oder Rußland, bezüglich westlicher Dienste ist es bislang merkwürdig still. Will man die „Partnerdienste“ nicht verstimmen oder nur davon ablenken, daß Paragraph 110 unseres Telekommunikationsgesetzes IT-Firmen in Deutschland verpflichtet, Überwachungsschnittstellen kostenlos einzubauen und vorzuhalten?

 

Cloud Computing – Daten in der Wolke

„Geben Sie Ihre Daten in die Hände eines internationalen Anbieters, der Ihre Daten lastenabhängig auf Server in der ganzen Welt verteilt (also auch USA, Pakistan, China), dann besteht außerhalb des Schutzraumes des Bundesdatenschutzgesetzes die Möglichkeit für den Betreiber, Ihre Daten an Dritte weiterzugeben“, warnt die Initiative „German Cloud“ vom Bundesverband Deutscher Rechenzentren. Unter dem Motto „Meine Firmendaten bleiben in Deutschland!“ wird versprochen, daß Daten am sichersten sind, „wenn sie verschlüsselt in Deutschland gespeichert und verarbeitet werden“. Anlaß für die Initiative ist der Trend, Daten nicht mehr auf Firmennetzwerken oder PCs zu speichern, sondern sie via Internet in der „Cloud“ abzulegen. Stehen die Cloud-Rechner im Ausland, können dortige Dienste zugreifen. Gefahr droht auch auf dem Übertragungsweg dorthin. Steve Wozniak, Mitgründer von Apple (Anbieter der iCloud), warnte schon 2012: „Je mehr wir in das Web übertragen, in die Wolke, desto weniger Kontrolle haben wir darüber.“

www.german-cloud.de

Foto: Kundgebung gegen Überwachungsprogramme: Schnittstellen müssen von Firmen bereitgestellt werden

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen