© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

CD: Kammermusik
Musikalische Zuckerbäcker
Andreas Zöllner

Gabriel Pierné (1863–1937) ist in die Musikgeschichte eingegangen als der Uraufführungsdirigent von Strawinskys „Feuervogel“. Was er Eigenes schuf, bleibt weitestgehend versunken. Zu groß war das Aufgebot an Fertigkeit und Erfindungsgabe unter den Tonsetzern jener Jahre. Inzwischen hat sich der Überblick geklärt und ein wenig Licht fällt gelegentlich auch auf die schattigeren Winkel des musikalischen Parnaß.

Zwei junge Musiker haben zum 150. Geburtstag des Verschollenen die deutsche Ersteinspielung seiner Violinsonate op. 36 vorgelegt. Der erste Satz ist von äußerlichem Pathos beschwingt. Danach wird es etwas sachter und lieblicher. Der Virtuosenstolz läßt sich zu verträumtem Singsang herab. Wer kernige Kost braucht, der wird sich den Gaumen verderben an der harmlosen Süßigkeit dieses Musizierens. Wem aber nach Patisseriewaren gelüstet, dem tut sich hier eine feine Konditorei auf.

Zum Schluß wird noch einmal alles aufgeboten. Die Geige klettert in die höchsten Höhen und mit graziler Überschwenglichkeit schließt das narzißtische Rendezvous zwischen Tasten und Saiten.

Philippe Gauberts (1879–1941) vier Skizzen „Quatre Esquisses“ sind etwas spröder. Die freie Form lädt zu lautmalerischen Versuchen ein. Zudem ist das Werklein 1927 entstanden, also après Fin de siècle. Die Befreiung von der inszenierten und dekorativen Schönheit brachte die Freiheit zu kühneren Pinselschwüngen mit.

Jedes der vier Stücke ist einem französischen Geiger gewidmet und wurde hier von der Violinistin Anna Sophie Dauenhauer mit Lukas Maria Kuen am Klavier zum ersten Mal überhaupt eingespielt. Der Name der ersten Miniatur „Extase“ wurde zugleich zum Titel der CD gewählt. Es handelt sich um die Aufnahme eines Konzerts vom vergangenen Dezember aus Schloß Engers in Neuwied. Die rheinland-pfälzische Landesstiftung Villa Musica unterhält dort eine Kammermusikakademie und präsentiert diese Produktion.

Gaubert ist als komponierender Flötenvirtuose bekannt geworden. Er hat eine bis heute verwendete Schule für sein Instrument verfaßt. Seine Skizzen sind nicht nur romantisches Kokettieren mit dem Entwurf und dem Fragment. Die letzte Skizze hat er einige Zeit später im Finale seines Orchesterwerks „Les chants de la mer“ im großen Maßstab ausgeführt.

Abgerundet wird die Platte durch ein Werk von Gabriel Fauré (1845–1924). Mit der Violinsonate A-Dur erlangte der 30jährige seinen Durchbruch. Camille Saint-Saens sah seinen vormaligen Schüler mit diesem Werk an die Seite der Großen seiner Zeit rücken. Das Scherzo mit seinem Wechsel von flinkem Rhythmus und liedhafter Melodik begeisterte das Publikum am Uraufführungsabend so, daß es sogleich wiederholt werden mußte.

In die Entstehungszeit der Sonate fällt Faurés Liebeswerben um Marianne Viardot. Im Salon der Sängerin Pauline Viardot, die später auch Gottfried Benn eine Gedichtzeile wert war, fiel das Auge des Komponisten auf die Tochter. Sie gab widerstrebend dem Drängen nach. Doch die Verlobung wurde alsbald wieder aufgelöst. Geblieben ist diese Musik, in der sich Schwermut und Zuversicht mischen. Die am Leben gescheiterte Leidenschaft siegte in der Kunst.

Extase, Komponisten: Pierné, Gaubert, Fauré; Violine: Anna Sophie Dauenhauer, Klavier: Lukas Maria Kuen Thorofon (Bella Musica), 2013

www.bella-musica-edition.de

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