© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Immer so durchgemogelt
Theodor Eschenburg und die späte NS-Bewältigung
Oliver Busch

Der Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg (1904–1999), ein Zwei-Meter-Mann, behornte Glasbausteine auf der Nase, selten ohne Pfeife, staatstragend knarzend, könnte heute nur noch in Satiresendungen auftreten. Ein Schicksal, das er mit seiner besten Freundin und Altersgenossin, der ewig desorientierten Zeit-Journalistin Marion Gräfin Dönhoff, auf sich zu nehmen hätte.

In der Bonner Republik freilich galten beide als telegene „Menschen, die wissen worauf es ankommt“ (Dönhoff), der betuliche Hüne Eschenburg, seit 1957 Kolumnist des Hamburger Wochenblatts und Dauergast im Polit-TV, gar als Erzieher der Deutschen zur Demokratie, als ein mit Ehrungen überhäufter Praeceptor Germaniae.

Mit einem seit 2002 verliehenen Preis „für das wissenschaftliche Lebenswerk“ wollte die Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) ihre Verbundenheit mit diesem Gründervater ihrer Disziplin betonen. 2012 erhielt ihn Claus Offe, ein Habermas-Apostel. Offe nahm „gern“ den Preis an, um dann den Namensgeber wegen seines wenig „widerständigen“ Verhaltens im Dritten Reich zu schurigeln. Gestützt hatte er sich auf Sondierungen des Alt-68er-Kollegen Rainer Eisfeld, der schon 1991 in staatsanwaltlichem Eifer 1933 emigrierte jüdische Sozial- und Politikwissenschaftler mit der postumen Anklage konfrontierte, „ausgebürgert und doch angebräunt“ gewesen zu sein. Den nationalliberalen Lübecker Patriziersohn Eschenburg, der nie verhehlt hatte, sich in der NS-Zeit „durchgemogelt“ zu haben, bezichtigte Eisfeld der Beteiligung an der „Arisierung“ eines jüdischen Betriebes. Ein dazu im Auftrag der DVPW erstelltes Gutachten kam zwar zu einer vielschichtigeren Beurteilung, tobte sich indes dafür moralisch darüber aus, daß Eschenburg „reibungslos funktioniert“ habe und nach 1945 nicht „selbstkritisch“ mit sich ins Gericht gegangen sei. Folglich wäre er kein würdiger Namenspatron mehr.

Für Udo Wengst, bis 2012 stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, zeigt der „Fall Eschenburg“ lediglich pathologische Verkrampfungen bundesdeutscher Geschichtspolitik. (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3/2013). Diesen zunehmenden „Schwierigkeiten der historischen Urteilsbildung“ über Menschen im NS-Staat möchte er daher mit seiner für 2014 angekündigten Eschenburg-Biographie entgegenwirken.

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