© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Das Kalifat als ewige Verheißung
Die Geschichte der Muslimbruderschaft und die Forderung nach der Rückkehr zum traditionellen Ur-Islam
Wolfgang Kaufmann

Im Jahre 1928 gründete der Volksschullehrer Hasan al-Banna in der ägyptischen Kleinstadt Ismailia die Dschamiyyat al-Ichwan al-Muslimun (Gemeinschaft der Muslimbrüder). Ziel derselben war anfänglich vor allem die Verbreitung islamischer Moralvorstellungen, welche deshalb angezeigt schien, weil in Ägypten der Säkularismus an Boden gewann. Nachfolgend kam es dann aber auch sehr bald zu einer Politisierung der Gemeinschaft, ausgehend von al-Bannas unmißverständlichem Credo: „O ihr Brüder! Sagt mir, ob der Islam etwas anderes ist als Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Recht und Kultur? Wenn nicht, was wäre er denn sonst?“

Von hier ab war es nicht mehr weit bis zur Forderung nach der Rückkehr zum traditionellen Ur-Islam beziehungsweise zum Kalifat. Zugleich entwickelten die Muslimbrüder einen überbordenden Antisemitismus. So rief al-Banna 1936 zum Dschihad gegen die Juden in Palästina auf. Wenig später initiierte seine Gemeinschaft gewalttätige Proteste und Boykottmaßnahmen gegen ägyptische Juden. Finanziert wurden diese Aktionen in wesentlichem Maße durch die Nationalsozialisten in Deutschland.

Außerdem unterstützte das Dritte Reich den Aufbau des geheimen paramilitärischen Armes der Muslimbrüder, dem zum Schluß immerhin an die 40.000 Mann angehörten. Als Vermittler fungierten dabei unter anderem der Direktor des Deutschen Nachrichtenbüros in Kairo, Wilhelm Stellbogen, der Bruder des „Stellvertreters des Führers“, Alfred Heß (seines Zeichens Leiter der NSDAP-Auslandsorganisation in Ägypten) sowie Amin al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem, welcher später nach Deutschland emigrierte und dort bei Hitler und Himmler antichambrierte und auf eine „Endlösung der Judenfrage“ auch und gerade in Palästina drängte.

Bis 1948 mutierte die Bruderschaft zu einer schlagkräftigen Massenorganisation mit rund 500.000 Mitgliedern, die immer öfter den ägyptischen Staat herausforderte und dabei auch vor tödlicher Gewalt nicht zurückschreckte, weswegen es schließlich zu einem Verbot und zur Liquidierung al-Bannas durch von der Regierung angeheuerte Mörder kam.

Neuer Vordenker der Gemeinschaft der Muslimbrüder wurde der ehemalige Staatsbeamte Sayyid Qutb. Dieser hatte ab 1949 während seines Studienaufenthaltes in den USA zum Islam gefunden und war dann zum Leiter der Propagandaabteilung der Bruderschaft avanciert. Qutb griff al-Bannas alte Forderung nach einem globalen Heiligen Krieg gegen alle Nichtmuslime sowie „Abtrünnige“ in den eigenen Reihen wieder auf.

So schrieb er in seinem Buch „Zeichen auf dem Weg“, das inzwischen zu den wichtigsten Manifesten des modernen Islamismus zählt: „Es ist kein Dschihad, um das Königreich eines Dieners Gottes zu errichten, sondern ein Dschihad, um Gottes Königreich auf Erden zu errichten! Daher muß er auf der ganzen Erde einsetzen, um alle Menschen zu befreien. Dabei wird zwischen dem, was innerhalb der Grenzen des Islam liegt, und dem, was außerhalb davon liegt, kein Unterschied gemacht!“

Ebenso dezidiert kam Qutbs Antisemitismus daher, den er insbesondere in dem gleichfalls weithin bekannten Aufsatz „Unser Kampf mit den Juden“ artikulierte. Hierin unterstellte der Muslimbruder den Juden eine immerwährende Feindschaft gegenüber den Muslimen und bemerkte dann ebenso schaden- wie hoffnungsfroh: „Allah hat Hitler gebracht, um über sie zu herrschen; und Allah möge wieder Leute schicken, um den Juden die schlimmste Art der Strafe zu verpassen; damit wird er sein eindeutiges Versprechen erfüllen.“

Auch wenn Sayyid Qutb nach einem gescheiterten Attentat der Gemeinschaft auf Präsident Nasser 1966 am Galgen endete – seine Ideen sind nach wie vor hochvirulent, wofür nicht zuletzt Qutbs Bruder Mohammed verantwortlich zeichnet, der die Schriften des „Märtyrers“ nun schon seit Jahrzehnten vertreibt. Deshalb liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, daß sich die Muslimbrüder im neuen gesellschaftlichen Klima Ägyptens verstärkt auf ihre geistigen Wurzeln besinnen und den Heiligen Krieg nach der Entmachtung Mohammed Mursis nun erst recht entfachen, was die Situation im Nahen Osten noch weiter verkomplizieren würde.

Ob eine neue „europäisch-muslimische Identität“, für die der Schweizer Islamwissenschaftler Tarq Ramadan, Enkel von Muslimbruder-Gründer Hassan al-Banna, eintritt, einen anderen Weg weisen kann, dürfte für diese Region jedenfalls fraglich sein. Kritiker Ramadans wie die französische Publizistin Caroline Fourest bezweifeln sogar, daß Ramadans Konzept überhaupt anwendbar ist und unterstellen ihm bloße Mimikry.

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