© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Vom Heimkind zur Verräterin
Schuld und Sühne: Der Kinofilm „Zwei Leben“ gibt wertvolle Denkanstöße
Andreas Zöllner

Der Spielfilm „Zwei Leben“ handelt vom Schicksal jener Kinder, die von deutschen Soldaten während der Besatzungszeit in Norwegen gezeugt wurden. Viele der Väter sind in den letzten Kriegsmonaten noch gefallen und verschollen, die Mütter wurden während des Krieges dazu gedrängt, einer Adoption ihrer Kinder zuzustimmen, die darauf in ein Kinderheim nach Sachsen („Lebensborn“) gebracht wurden.

Nach Kriegsende wurden diese Frauen in Norwegen geächtet und in Lager gesperrt. Die DDR mißbrauchte später die Kinder, um auf ihren unklaren Identitäten die Existenz von Auslandsagenten zu installieren. Die Hörfunk- und Krimiautorin Hannelore Hippe hat dem Roman „Eiszeiten“ diese verzweifelten Lebensgeschichten zugrunde gelegt. Noch vor einer Bucherscheinung wurde die Geschichte zum Drehbuch der deutsch-norwegischen Koproduktion „Zwei Leben“.

Wie läßt sich eine völlig abstruse Wirklichkeit in eine filmische Geschichte verwandeln? Die Konvention des Spielfilms ist ein Prokrustesbett für solche Realität, die bizarrer ist, als jede Fiktion sein kann. Einerseits soll sich die Wahrheit ausdrücken und gleichzeitig aus ihren Merkmalen eine fesselnde Handlung entstehen.

Dem Regisseur Georg Maas (Jahrgang 1960) ist hier tatsächlich dieses Meisterstück gelungen. Er zügelt die filmischen Mittel, die naturgemäß immer auf eine emotional bestimmte Einseitigkeit hinstreben, welche oft genug an Propaganda grenzt. Sein Film bleibt gerecht, den Menschen gegenüber, und er wird der bestürzenden Wirklichkeit des Lebens gerecht, ohne die Verantwortlichkeit zu leugnen.

Vorgeführt wird ein überzeitliches Drama von menschlicher Schuld, die gefolgt wird von irdischer Sühne. Wir spüren das Wirken „himmlischer Mächte“, wie es im Lied des Harfenspielers aus „Wilhelm Meister“ beschrieben ist: „Ihr führt ins Leben uns hinein, / Ihr laßt den Armen schuldig werden, / Dann überlaßt ihr ihn der Pein; / Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.“

Peter Handke hat es einmal als Kennzeichen echter Tragik beschrieben, daß alle Beteiligten recht haben. Andernfalls würde das Drama zum Horrorstück ausarten. Da wo uns als Betrachter die lebendigen Menschen entgegentreten, erleben wir eine Tragödie von antiker Großartigkeit.

Abgründe in den reinen Schrecken tun sich dort auf, wo kalkulierende Funktionäre an den Strippen ziehen. Ein luziferischer Rainer Bock mit seinem ungerührten und doch anrührenden Gesicht zeigt sich nach seinem eindrucksvollen Auftritt als Stasi-Führungsoffizier in Christan Petzolds „Barbara“ (JF 11/12) ein weiteres Mal als Instrukteur der dunklen Firma. Er muß sich nun bald vorsehen, daß er nicht, wie weiland Klaus Kinski oder Gert Fröbe, zum Schurken vom Dienst wird.

Wie bei Bock besteht auch Liv Ullmanns überzeugende Leistung vor allem in einer stummen Präsenz. Zwischen diesen ruhenden Polen verlaufen die Handlungen der anderen Personen wie vorbestimmt. Zu Beginn des Films ist Juliane Köhler als falsche Katrine Evensen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fieberhaft damit beschäftigt, die Spuren zu verwischen, die zu den Abgründen ihrer Vergangenheit weisen können. Ihr Mann Bjarte Myrdal (Sven Nordin), ein Seemann und rauher Kerl, begegnet seinem Weib mit einer gesunden Begierde, die in hilflose blinde Eifersucht umschlagen kann. Es stimmt nicht, daß Liebe nicht blind machen darf. Denn die Liebe kann nur den wirklich bewahren, der an ihr völlig erblindet ist.

Die unverminderte Liebe zwischen dem Offizier und der Spionin hat ihren Grund wohl gerade in dem lastenden Umstand ihres professionellen Verrats. Dieser Verrat wiederum wurde einem hilflosen Heimkind abgepreßt, das beide Eltern bei einem Bombenangriff verloren hatte. In gelegentlichen Rückblenden, mit der verfremdeten Optik alter Aufnahmegeräte, enthüllt sich nach und nach die Vorgeschichte, die zugleich immer weiter die Fundamente der Gegenwart unterspült, bis zu deren Einbruch.

Georg Maas betont, daß das Politische dieses Films, außer in den historischen Quellen, vor allem in seiner Erzählweise liege. „Während man im Kino der Handlung folgt, fragt man sich auch immer wieder: Was würde ich wohl in dieser Situation machen?“

Der Vorab-Erfolg beim Publikum diverser Filmfestivals hat den Regisseur darin bestätigt, daß eine solche Zumutung nicht nur ertragen werden kann, sondern dringend geboten ist. Denn der Film schärft den Blick für das hochaktuelle Thema geheimdienstlicher Machenschaften. So könnte die Beschäftigung mit dem wohl nur vermeintlich abgeschlossenen Stasi-Thema, statt zur unterhaltsamen Ablenkung davon, zum Hinweis dienen auf die unablässigen Sauereien einer Branche, über die üblicherweise nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird.

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