© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Juckpulver auf dem Rasen
Grasmilben erobern Haushalte und Kleingärten in deutschen Großstädten / Rückkehr der Bettwanzen / Viel Arbeit für Kammerjäger
Christian Schreiber

Wer von ihr gebissen wird, braucht verdammt viel Selbstbeherrschung. In einer Ratgebersendung des Bayerischen Rundfunks wurden sie treffend „Juckpulver auf acht Beinen“ genannt. Die Rede ist von der Herbstgrasmilbe (Neotrombicula autumnalis), einem nur zwei Millimeter großen Spinnentier, das auch als Erntemilbe oder Herbstlaus bekannt ist.

Bislang waren Grasmilben eher ein Thema für ländliche Gegenden oder Hunde- und Katzenfreunde. Bauern ist die Problematik als Erntekrätze nach dem Einbringen von Heu oder Stroh bekannt. Doch inzwischen sind diese Parasiten – neben der Zecke – auch in gepflegten Gärten der Großstädte auf dem Vormarsch. Im Frühjahr kriechen sie aus dem Boden und bleiben bis zum Spätherbst aktiv. Den Höhepunkt ihres Wirkens erleben Hausärzte seit einigen Wochen. Kommen zu starken Hautschwellungen und heftigem Juckreiz auch allergische Reaktionen hinzu, ist der Gang zur Hautklinik angesagt.

Dabei beißen nur die 0,2 bis 0,3 Millimeter kleinen Grasmilbenlarven. Wegen ihrer blaß-orangen Farbe fallen sie erst auf, wenn es schon zu spät ist. Bekannte Hauptverbreitungsgebiete waren Südosteuropa, Frankreich und die Alpenländer. In Deutschland wandern sie immer weiter nach Norden über die Linie Ruhrgebiet-Thüringen hinaus.

Beim Biß geben die Larven ein Speichelsekret in die Haut ab, das nach etwa 24 Stunden einen starken Juckreiz auslöst. Den Biß selbst bemerkt das Opfer nicht, denn die Mundwerkzeuge dringen nur Bruchteile von Millimetern in die oberste Hautschicht ein. Die Tiere ernähren sich – anders als Zecken – nicht von Blut, sondern von Lymphflüssigkeit und Zellsaft. Typisch ist dabei, daß man die Attacke nicht sofort bemerkt, bis zu fünf Tage kann es dauern, bis die Larven gesättigt sind und dann abfallen.

Beliebt sind dünnhäutige und feuchte Körperstellen wie Achselhöhlen, Kniekehlen oder Leistenbeugen. Sogar im Bauchnabel nisten sich die Larven ein. Die Reaktionen auf einen Biß sind nicht mit einem herkömmlichen Insektenstich zu vergleichen. Die zahlreichen Einstiche, die gehäuft an einer oder vereinzelt an mehreren Körperstellen auftreten, beginnen stark zu jucken und können auch zu Quaddeln führen. Der Grund dafür sind Substanzen im Speichel der Milbe, die immer häufiger allergische Reaktionen hervorrufen. Zuweilen dauert es sogar 14 Tage, bis die Symptome wieder verschwinden.

Gegen die Milbeninvasion läßt sich relativ wenig ausrichten. Die Wirksamkeit spezieller Milbenbekämpfungsmittel für den Rasen ist umstritten. Geschlossene Kleidung hilft nur, wenn sie nach dem Gartenbesuch gewechselt wird. Mit Wasser und Seife ist den Milbenlarven nicht beizukommen, reiner Alkohol oder Desinfektionsmittel sind das mindeste. Wer den Juckreiz mit Kratzen bekämpft, provoziert oft zusätzliche Infektionen. Die Frage, warum es zu der starken Ausbreitung der Grasmilben kam, ist unbeantwortet. Manche Experten sehen den Klimawandel am Werk, denn Grasmilben lieben feuchtwarmes Wetter. Aber verändertes Freizeitverhalten, sei es bei Spaziergängen in Feld und Wald, sei es bei der Gartenarbeit, machten es dem Parasiten leicht. Ob sie vielleicht auch durch Blumen- oder Baumarkterde auf den Rasen oder in Gartenbepflanzung gekommen sind, ist ebenfalls strittig.

Neben den Grasmilben breiten sich derzeit auch Bettwanzen (Cimex lectularius) wieder als ungebetene Gäste in deutschen Haushalten aus. Dank des Einsatzes von Giften wie DDT oder anderen Insektiziden galten sie hierzulande als weitgehend ausgerottet. Doch als unangenehmer Nebeneffekt der globalisierten Welt werden die Schädlinge aus fremden Ländern erneut eingeschleppt, als ungewolltes Mitbringsel im Reisegepäck oder in Kartons und Verpackungen von Importgütern. Auch aus Nord­amerika, Australien, Dänemark oder der Schweiz wird zunehmender Befall gemeldet. In New York und Vancouver gelten sie schon als Plage. Vor allem in Studentenwohnheimen, Krankenhäusern und billigen Hotels sind sie Stammgäste. Vor zwei Jahren gab es in New York schon eine regelrechte Bettwanzenepidemie, zahlreiche Hotels und Kaufhäuser mußten schließen.

„In Deutschland kann man zwar noch nicht von einer Invasion reden, aber auch hierzulande ist die Zahl der Bettwanzen in den vergangenen Jahren immens gestiegen“, sagt Rainer Gsell, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verbandes (DSV). „Da kommt ein Problem auf uns zu.“ Vor allem die Ballungszentren seien betroffen, meist Herbergen und Hotels, „egal, ob sie fünf oder zwei Sterne haben“, warnt Gsell. Sind die Bettwanzen einmal in der Wohnung, ist ihnen ohne Kammerjäger kaum beizukommen.

Die fünf Millimeter großen Parasiten kommen nachts aus Ritzen und anderen Verstecken ins Bett, spüren die Wärme des menschlichen Körpers, krabbeln auf die Haut und stechen zu. Bei empfindlichen Personen können sie großflächige Hautinfektionen, starke allergische Reaktionen und Asthmaanfälle auslösen. Immerhin: Lebensbedrohliche Auswirkungen konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Und das, obwohl Forscher in den Wanzen verschiedene Erreger wie Hepatitis B, C oder HIV nachgewiesen haben. Eine Übertragung auf den Menschen sei aber unwahrscheinlich.

Informationen zur Bettwanzeninvasion: www.uba.de

Foto: Bettwanze: Vor allem Fernreisende bringen das Ungeziefer unbemerkt wieder nach Deutschland zurück

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen