© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Die zaudernde Supermacht
Schluß mit der Leisetreterei: Ein amerikanischer Beobachter über Deutschlands Rolle im zukünftigen Europa
Peter Michael Seidel

In Berlin residiert wieder ein ausländischer Gouverneur. Nicht vier, wie von 1945 bis 1990. Er repräsentiert auch nicht die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, sondern die EU-Kommission in Brüssel. Glaubt man Eric Hansen, dann ist dies die glänzende Zukunft, die auf Deutschland in den „Vereinigten Staaten von Europa“ zukommt.

In seinem Buch „Die ängstliche Supermacht. Warum Deutschland endlich erwachsen werden muß“ stellt der US-Amerikaner, der seit dreißig Jahren als Journalist und Buchautor in Deutschland lebt, dies als die Zukunft dar, die auf Deutschland in Europa wartet. Damit steht er in diesem Lande nicht allein da. Auf einem Wahlplakat hieß es einmal: „Europa muß man richtig machen!“ Doch auch in Europa geht es wie immer in der internationalen Politik nicht darum, was „richtig“ ist, sondern was eine Mehrheit findet. Sonst, um im Bereich der Politphantasie zu bleiben, müßte es in Brüssel einen EU-Sicherheitsrat mit Veto-Recht geben, in dem alle Nettozahler, unabhängig von ihrer Größe, sitzen, verbunden mit einer EU-Staateninsolvenzordnung, um die größten Zahlungsautomatismen auszuschalten.

Aber das hat selbstverständlich keine Aussicht auf Realisierung. Die Realität zeigt sich im EZB-Führungsgremium, wo die einen zahlen und die anderen sich bedienen: Zwei Rücktritte der deutschen Vertreter sprechen hier eine deutliche Sprache. Hansen hat ein lesenswertes Buch geschrieben, allerdings nicht wegen seiner europapolitischen Vorstellungen, die einen kleinen, jedoch zentralen Teil ausmachen. Den Hauptteil des Buches nehmen vor allem die Kapitel zum deutschen Medien- und Kulturbetrieb ein, in dem sich der Autor auch aufgrund privater Beziehungen gut auskennt. Hier werden deutsche Zustände unterhaltsam gegen den Strich gebürstet, die er zu Recht als „neues Biedermeier“ bezeichnet.

Der Titel handelt von deutscher Angst und davon, daß das Land über zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung endlich erwachsen werden sollte. Was das mit dem behaupteten „Supermacht-Status“ zu tun haben soll, erschließt sich jedoch nicht. Es ist ein Widerspruch in sich, denn Supermächte drängen nicht auf ihre Abschaffung in einer Staatenunion, in der sie nach Lage der Dinge immer in der Minderheit sein und überstimmt würden.

Es mag sein, daß Deutschland in der Tat Europas letzte Chance ist, aber diese Rolle dürfte nicht dadurch realisiert werden, daß deutsche Standortvorteile und Gelder lediglich dafür genutzt werden, Anpassungsschwierigkeiten in EU-Nehmerländern abzumildern. Der Mezzogiorno zeigt dies noch nach über 150 Jahren italienischer Einheit. Deshalb dürften auch die finanzpolitischen Automatismen, auf die die Politik derzeit zunehmend auf ihrem Weg zu „Vereinigten Staaten von Europa“ setzt, kaum funktionieren. Abgesehen davon, daß diese Strategie fast schon ein Offenbarungseid der traditionellen Europapolitiker ist.

Das Buch von der ängstlichen Supermacht geht an den wesentlichen Realitäten in Europa vorbei. In seinen anderen Teilen, mit Ausnahme einiger historisch-politischer Patzer, insbesondere zur deutschen Einigung im 19. Jahrhundert, ist es durchaus zu empfehlen. Auch wenn Hansen die entscheidende Frage nicht stellt: Wer hat eigentlich ein Interesse daran, daß die von ihm geschilderten deutschen Zustände so bleiben und warum. Dies wäre den Schweiß der Recherche wert gewesen, weitaus mehr als unausgegorene EU-Phantasien. Davon gibt es schon genug auf dem Markt.

Eric T. Hansen: Die ängstliche Supermacht. Warum Deutschland endlich erwachsen werden muß. Lübbe Verlag, Köln 2013, gebunden, 256 Seiten, 18,99 Euro

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