© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

„Wir können sehr stolz auf uns sein"
Bundestagswahl: Nach dem knappen Scheitern an der Fünfprozenthürde sucht die AfD nach den Ursachen und plant ihre Zukunft
Marcus Schmidt

Am Tag danach wirkt Bernd Lucke gefaßt. Ja, es geht weiter, verkündet der Sprecher der Alternative für Deutschland (AfD) am Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin. Und: „Das ist ein starkes Ergebnis, wir können sehr stolz auf uns sein.“ Aus dem Stand hatte die erst im Februar gegründete Partei
bei der Bundestagswahl 4,7 Prozent der Stimmen geholt. Für den angestrebten Einzug in den Bundestag reichte es jedoch nicht. Daher mische sich der Stolz mit Enttäuschung, bekennt Lucke.

Doch nun gelte es, die Partei auf die bevorstehenden Aufgaben vorzubereiten: „Wir treten 2014 zur Europawahl und zu den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen an“, kündigt Lucke an. Auch wenn er die Frage, ob er bei der Europawahl als Spitzenkandidat antritt, offenließ, gilt es in der Partei als ausgeschlossen, daß die als unersetzlich angesehene Führungsfigur nach Brüssel geht. Damit, so fürchten viele, würde Lucke von der politischen Bildfläche in Deutschland verschwinden.

Auch sonst blieb offen, wie es für ihn persönlich weitergeht. Für den Wahlkampf hatte sich der Wirtschaftsprofessor von der Universität Hamburg beurlauben lassen. Nun deutete er an, daß ein erneutes Urlaubssemester nicht ohne weiteres möglich sei. „Ich muß das mit meinem Arbeitgeber klären“, sagte Lucke. Für die Partei ist diese Frage entscheidend. Eine AfD ohne Bernd Lucke ist kaum vorstellbar; ebenso, daß der Parteichef den 2014 anstehenden Europawahlkampf neben seinen Lehrverpflichtungen in der Freizeit bestreitet. Gleichzeitig heißt es aus der Partei auch, daß der fünffache Familienvater seine Stellung als Beamter auf Lebenszeit nicht für die Partei aufgeben werde. Einen hauptamtlichen AfD-Chef Bernd Lucke wird es nicht geben.

Am Wahlabend hatte er lange tapfer in die Kameras gelächelt und sich auf der Wahlparty seiner Partei in einem Berliner Hotel feiern lassen. Zusammen mit seinen Anhängern hoffte er, daß es doch noch reicht. Dafür gab es ja auch allen Grund. Lange sahen die Prognosen die AfD am Wahlabend bei 4,9 Prozent und damit unmittelbar vor der Fünfprozenthürde. Jeder neuen Prognose wurde mit Spannung entgegengefiebert; es folgte jedesmal ein Aufschrei der Enttäuschung.

Kritik an einzelnen Landesverbänden

Dann war Lucke in das Fernsehstudio der Talkshow von Günther Jauch gefahren. Vielleicht wurde ihm dort bewußt, daß er das große Ziel knapp verpaßt hatte. Anders als der FDP-Politiker Gerhart Baum, dessen Partei ebenfalls an der Fünfprozenthürde scheiterte, durfte Lucke nicht auf der Bühne Platz nehmen. Er mußte sich mit einem Platz im Publikum begnügen. Auf Druck von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), wie im Umfeld Luckes gemutmaßt wurde. Als Schäuble in der Sendung dann das Aufkommen der AfD in eine Reihe mit Erfolgen von NPD und Republikanern stellt und der Partei einen demagogischen Wahlkampf unterstellt, reagiert Lucke für seine Verhältnisse ziemlich gereizt. Bei seinen Anhängern auf der Berliner Wahlparty wird Luckes deutliche Entgegnung bejubelt, er selbst wird sich später über sich selbst ärgern.

Später dann, als alle Kameras längst abgebaut sind, rückt auf der Wahlparty die Zukunft der AfD in den Mittelpunkt. „Ich mache mir große Sorgen um die Partei“, ist immer wieder zu hören. Dahinter steht die Furcht, daß nach dem rauschhaften Aufstieg der Partei und den Anstrengungen des improvisierten, aber äußerst engagiert geführten Wahlkampfes der große Kater kommt. Viele Parteimitglieder haben Urlaub genommen und ihre Freizeit für die AfD geopfert. Wahlkampfplakate wurden oft aus der eigenen Tasche gezahlt. Nun, so fürchten manche, könnte die große Ernüchterung einsetzen und die Partei wieder auseinanderbrechen. „Die kommenden sechs Monate werden nicht schön“, sagt ein Funktionär und warnt: „Die Revolution frißt ihre Kinder.“

Die Angst vor Richtungskämpfen ist nicht aus der Luft gegriffen. Programmatisch ist jenseits der Kritik an der Euro-Rettung, die den Markenkern ausmacht, vieles noch unbestimmt. Die AfD dient daher als Projektionsfläche für die unterschiedlichsten politischen Ziele. Laut Lucke ist die Programmdiskussion zwar schon fortgeschritten, Beschlüsse wird ein Parteitag aber erst im Dezember oder Januar treffen. Dann wird es Enttäuschungen geben. Denn die Partei ist äußerst heterogen zusammengesetzt. Neben der liberalen Strömung aus enttäuschten FDP-Anhängern gibt es einen starken Flügel von CDU-Dissidenten sowie Mitglieder, die sich politisch rechts von der Union einordnen. Und wie bei allen Parteineugründungen, die einen schnellen politischen Aufstieg verheißen, finden sich zahlreiche Glücksritter, die auf eine sichere politische Karriere hoffen.

Zumindest finanziell kann die Partei demnächst etwas durchatmen. Im Zuge der Wahlkampfkostenerstattung stehen der AfD gut 1,7 Millionen Euro zu. Hinzu kommen staatliche Zuschüsse für jeden Euro, der durch Spenden oder Mitgliedsbeiträge eingenommen wird. Schon wird in der Partei überlegt,wie das Geld sinnvoll eingesetzt werden kann. Ein Ziel ist dabei, die Strukturen weiter zu professionalisieren.

Obwohl das Ergebnis der AfD in der Partei wie auch in der Öffentlichkeit trotz des Scheiterns als Achtungserfolg angesehen wird, machen sich viele AfD-Mitglieder und natürlich die Parteiführung Gedanken darüber, woran es gelegen hat. Vermutlich, so lautet ein Erklärungsansatz, hat die Zeit nicht gereicht, um die AfD mit den begrenzten Möglichkeiten im Wahlkampf über den engen Kreis der hochgradig politisch interessierten Bürger bekannt zu machen. Doch auch organisatorische Gründe werden ins Feld geführt. Dabei gerieten Anfang der Woche einige westdeutsche Landesverbände in die Kritik. Allen voran Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, wo die AfD ihre schlechtesten Ergebnisse einfuhr. Dort kam die Partei auf 3,9 beziehungsweise 3,7 Prozent (siehe Karte oben). Vor allem das schwache Ergebnis im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen erwies sich als verhängnisvoll. Hinter vorgehaltener Hand wurde Kritik an der Wahlkampfführung der beiden Landesverbände geübt. Diese hätten sich teilweise nicht an die Vorgaben der Bundespartei gehalten. Eine Atempause dürfte der AfD daher auch in den kommenden Monaten kaum vergönnt sein.

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