© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Grüße aus Bern
Effektvoll mißverstanden
Frank Liebermann

Aus Mangel an qualifizierten Arbeitskräften hat die Schweiz nicht nur Gestalten wie mich importiert, die der deutschen Sprache mächtig sind, sondern auch eine Vielzahl von anderen Ausländern. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, wenn im Beruf oder auch beim Feierabendbier englisch gesprochen wird.

Ist dies doch in einer Runde mit Finnen, Schweden, Briten, Russen und Portugiesen oft der kleinste gemeinsame Nenner, natürlich neben der Vorliebe für Bier. Diese Sprachverwirrung hat auch immer wieder lustige Effekte. So durfte ich nun beobachten, wie sich in einer geselligen Runde einer meiner Schweizer Kollegen auf englisch als „Active Schwinger“ bezeichnete. Der Brite lobte die vermeintliche Offenheit („swiss people are so open-minded“) und erklärte, in England gebe es das auch, aber er vermute, die wenigsten Menschen würden darüber so offen sprechen wie die Schweizer. Er fragte auch, ob er da mal mit zum „Swingen“ dürfe. Ich genoß das Mißverständnis, bis es sich nach einigen Minuten leider von selbst aufklärte.

Der Sieger bekommt keinen schnöden Mammon, sondern einen schönen Zuchtstier.

Wer aber die Schweiz verstehen will, muß sich mit dem Schwingen vertraut machen. Anfang September richtete die gesamte Schweiz ihren Blick auf das kleine Burgdorf. Die wunderschöne Stadt im beschaulichen Emmental durfte das alle drei Jahre an wechselnden Orten stattfindende „Eidgenössische Älpler- und Schwingerfest“ ausrichten. Kurz war Burgdorf die inoffizielle Hauptstadt der Schweiz. Nicht nur alle Bundesräte und andere Prominente zeigten sich, sondern auch jeder Schweizer, der etwas auf sich hielt. Mit 300.000 Besuchern war es größer als jedes andere Sport- oder kulturelle Ereignis in der Schweiz.

Beim Schwingen tragen sehr kräftige Männer eine kurze Hose über ihrem sonstigen Beinkleid, an der sie sich gegenseitig festhalten. Durch ziehende und schwingende Bewegung an der Hose – daher wird der Sport auch „Hosenlupf“ genannt – versuchen sie sich gegenseitig aus dem Gleichgewicht zu bringen und auf den Boden zu werfen, der mit Sägemehl ausgelegt ist. Aber auch Sportarten wie Hornussen – oft als Bauerngolf verspottet – oder das Steinstoßen werden zelebriert.

Bei diesem Fest lebt die Schweiz ihre großen Traditionen – urtümlich, wertverbunden, freundlich und ausgelassen. Das zeigt sich auch am Hauptpreis für den Sieger. Er bekommt keinen schnöden Mammon, sondern „Muni“ – einen besonders schönen Zuchtstier.

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