© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Statistische Lügen
Zentralbankpolitik: Die Geldmengenausweitung führt zu Scheinwachstum, Preisblasen und Vermögensverlust
Christoph Braunschweig

Jedem flattern sie in den Briefkasten, die Blättchen von Aldi, Edeka, Netto, Penny & Co. Mit Äpfeln für 1,99 Euro, Kaffee für 3,29 Euro, Saft für 66 Cent oder dem Kasten Bier für 8,88 Euro. Doch nach dem Wochenendeinkauf bleibt immer weniger im Portemonnaie. Das Gefühl trügt nicht: Die Nahrungsmittelpreise zogen im Sommer um 5,7 Prozent an – so stark wie seit vier Jahren nicht mehr. 15,4 Prozent mehr kosteten laut Statistischem Bundesamt Fette und Speiseöle. Butter war 30,8 Prozent teurer als vor einem Jahr, Kartoffeln 44,4 Prozent, Gemüse 11,7 Prozent. Dennoch betrug die offizielle Inflationsrate nur 1,9 Prozent. Lag das vielleicht an der Bundestagswahl? Denn bei niedriger Inflation können Wirtschaftsleistung oder Reallohnwachstum höher ausgewiesen werden.

Ganz so einfach ist es nicht. Der kreative Spielraum der deutschen Statistiker ist längst nicht so groß wie der ihrer Kollegen in den USA. Und die „gefühlte Inflation“ wird in erster Linie durch alltägliche Dinge bestimmt. Die Differenz zwischen der offiziellen und der wahrgenommenen Inflation ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß alltägliche Ausgaben für Lebensmittel, Strom oder Benzin meist einen höheren Preisanstieg verzeichnen als teure Güter wie Autos, Computer, Mieten oder Pauschalreisen. Je nachdem wie die prozentuale Gewichtung dieser Güter von den Statistikern bei der Zusammensetzung des standardisierten Warenkorbes vorgenommen wird, errechnet sich entsprechend eine unterschiedlich hohe Inflationsrate.

Statistiker können darüber hinaus die Lebenshaltungskosten leicht mit ein paar Tricks nach unten rechnen. Wie soll man etwa die Preisentwicklung eines Laptops ansetzen, der bei gleichem Preis eine wesentlich höhere Leistung gegenüber dem Vorjahresmodell aufweist? In der Statistik wird jedenfalls so getan, als habe sich der Preis halbiert, mit entsprechend dämpfender Wirkung auf die Inflationsrate. Die verkürzte und verbilligte Abwicklung einer Blinddarmoperation aufgrund des medizinischen Fortschritts und engerer Vorgaben durch die Krankenkassen wird ebenfalls als Preisrückgang gewertet – ebenso wie es als Preisrückgang von Bildungskosten gewertet wird, wenn Hochschuldozenten vor mehr Studenten lehren, so daß rechnerisch weniger Lehrpersonal pro Uniabschluß notwendig ist. Vermögenspreise – etwa für Eigentumswohnungen oder Aktien – werden vom Warenkorb gar nicht erfaßt. Dabei wohnen zwei von fünf Deutschen in den eigenen vier Wänden. Und zur privaten Altersvorsorge werden Aktienfonds staatlich angepriesen (Stichwort: Riester). Das erinnert an das Bonmot: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!“

Inflation, Währungsschnitt und Währungsreform

Doch bei der Ermittlung der Inflationsrate durch Institute und Behörden in Deutschland wird aber keineswegs gelogen oder falsch gerechnet, doch statistische Gestaltungs- und Interpretationsspielräume gibt es reichlich. Und jede Regierung ist an einer möglichst niedrig ausgewiesenen Inflationsrate interessiert. Denn Hauptursache der Inflation ist die überbordende Staatsverschuldung sowie deren indirekte Finanzierung per Notenpresse. Das staatliche Geldmonopol – früher der Bundesbank, jetzt der Europäischen Zentralbank (EZB) – ermöglicht der Politik im Rahmen ihrer „Wählerbestechungsdemokratie“ diese hemmungslose Schuldenmacherei.

Die Folgen sind – trotz aller Schönrechnerei – klar erkennbar: 2002 ersetzte der Euro die D-Mark. Anstatt 1.000 Mark in etwa 500 Euro zu tauschen, hätte man damals 125 Gramm Gold kaufen können. Der 500-Euro-Schein wäre zwar heute immer noch 500 Euro wert, aber man kann nur noch halb soviel kaufen. Die 125 Gramm Gold wären heute rund 3.500 Euro wert.

Laut Berechnungen der Postbank verlieren die deutschen Sparer durch die EZB-Politik alleine in diesem Jahr 14 Milliarden Euro. 2014 werden es bereits 21 Milliarden sein, weil die künstlich niedrigen Zinsen unterhalb der Inflationsrate liegen. Diese finanzielle Repression (JF 33/13) führt zur Entwertung der Sparguthaben und gefährdet die private Altersvorsorge.

Europaweit stieg seit 2002 die Geldmenge um 160 Prozent, der Wert der produzierten Güter und Dienstleistungen aber nur um gut zehn Prozent. Die Schulden in Europa wachsen im Tempo von 100 Millionen Euro – pro Stunde. So entsteht die größte Finanzblase aller Zeiten. Die Lehman-Pleite 2008 war nur ein temporäres Innehalten. Im Rahmen der notwendigen und ausausweichlichen Bereinigung dieser Scheinblüte wird der Lebensstandard sinken, weil das Scheinwachstum alleine auf dem zunehmenden Verhältnis zwischen Schulden und Sozialprodukt beruht. Dies läßt sich nicht grenzenlos ausweiten.

Die Geldschwemme führt zu immer neuen, immer größeren Vermögenspreisblasen (Aktien, Rohstoffe, Immobilien). Irgendwann greift dieser Prozeß zwangsläufig auch auf den Konsumgüterbereich über. Dann wird die Inflation als „Taschendieb des kleinen Mannes“ für jeden Bürger deutlich spürbar. Die gigantischen Schuldenberge bedürfen einer Bereinigung, bei der letztlich das Privatvermögen der Bürger gegen die Staatsschulden „verrechnet“ wird – entweder schleichend durch Inflation und/oder durch Währungsschnitt beziehungsweise Währungsreform.

Spätestens dann wird jedem offenbar, daß Staatsschulden seine eigenen Schulden sind – und daß staatliches Papiergeld oder elektronische Guthaben irgendwann immer zu seinem inneren Wert zurückkehrt: Null! Ludwig Erhard nannte Inflation „Volksbetrug“. Staatsverschuldung lehnte er grundsätzlich ab. Für ihn war klar, daß der Wohlfahrtsstaat durch seine unsolide Finanzierung sein eigenes Ende herbeiführt.

 

Christoph Braunschweig, Professor der Staatlichen Wirtschaftsuniversität Jekaterinburg, war mehrere Jahre als Geschäftsführer in der Privatwirtschaft tätig. Er vertritt die klassisch-liberale „Hayek-Schule“.

Inflationsrate in Deutschland

Die Inflationsrate wird in Prozent angegeben und anhand eines standardisierten Warenkorbes gemessen. Es handelt sich um einen Verbraucherpreisindex, der die durchschnittliche Preisentwicklung des Warenkorbes ermittelt, der typischerweise von einem privaten Haushalt für Konsumzwecke gekauft wird. Für die Ökonomen ist allerdings nicht die Höhe der Verbraucherpreise, sondern die Veränderung von Bedeutung, denn diese entspricht der Inflationsrate. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gibt monatlich die Veränderung der Verbraucherpreise bekannt. Die aktuelle Inflationsrate für den Monat August 2013 wird mit 1,5 Prozent angegeben, der Mittelwert der Inflationsrate für das Jahr 2013 bisher mit 1,56 Prozent. Die Jahresinflation für 2012 wurde mit 2,0 Prozent, für 2011 mit 2,3 Prozent angegeben. Für EU-Zwecke wird der harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) berechnet. Für Deutschland ist der HVPI im Jahresvergleich 2012 gegenüber 2011 um 2,1 Prozent gestiegen.

Zahlen des Statistischen Bundesamtes

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