© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

CD: Krautrock
Felsen aus Kraut
Sebastian Hennig

Die Lübecker Plattenfirma Sireena betreut das Vermächtnis des Krautrocks. „Guru Guru“, „Mythos“, „Karthago“ oder „Nine Days Wonder“ heißen die Musikgruppen, von denen Kostproben ihrer Konzerttätigkeit gerade auf der Platte „Live Kraut“ zusammengefaßt wurden. Darin kommt jene Stimmung akustisch zum Ausdruck, die in den siebziger Jahren die Gasthöfe und Konzerthallen von Hamburg bis Schwäbisch Gmünd beherrschte.

„Grobschnitt“ sind fast zum Synonym der Musikrichtung geworden. Mit „Acym“ eröffnen sie das fiktive Konzert von dreizehn Bands. Eine heitere Stimmungsmusik, die kein bißchen dirty oder nasty ist, wie der anglophone Rock jener Zeit, aber auch fern der aseptischen Glätte heutiger Popproduktionen. „Rock’n’Roll is my Soul, Butterfly makes me high.“ Ein herrliches Kauderwelsch als lautstarker Ausdruck törichter Lebensfreude. Dazwischen röhren fröhliche Gitarrensolis und verbreiten Volksfestlaune. Es handelt sich eindeutig um die Belustigungen eines werktätigen Jungvolks.

Weniger eindeutig freilich ist der Anteil der Selbstironie zu bestimmen. Die Rockmusik wird zur musikalischen Dichtung, wenn „Guru Guru“ klangmalerisch den „Transsylvania Express“ vorbeisausen lassen. „Mythos“ aus Berlin entfaltet die instrumentale Suite „Dedicated to Wernher von Braun“ und brennt darin erst Stück für Stück die Treibstufen gitarristischer Fingerfertigkeit ab, um dann die leere Hülse langsam im All verschwinden zu lassen. Der Sänger von „Embryo“ hat den Blues. Seine bemüht afro-germanisch tremolierende Stimme verwertet sorgfältig erworbenes Schulenglisch. Diese Jugend ist harmlos.

Die wollen nur spielen. Erfolg bei den Zuhörern am Wochenende und nach Feierabend ist wichtiger als im Rundfunk hoch und runter gespielt zu werden. Und dennoch, geheime Ruhmsucht gab es auch. Was die Konzerte eingebracht haben mögen, wurde oft für teure Plattenpressungen in Eigenregie wieder ausgegeben.

Doch das vom Marketing inszenierte Mißverhältnis überkochenden Erfolgs gegenüber musikalisch-handwerklichen Leistungen wurde verabscheut. Wichtiger war das Gemeinschaftsgefühl. „Out of Focus“ fragen im Teatro Biondi in Palermo mit einer ausufernden Session nach der Herkunft „Where is Your Home Town“. Das Saxophon zelebriert vor dem treibenden Rhythmus eine quengelnde Litanei, zuletzt erst läßt sich ein Sänger noch vernehmen. „Karthago“ eröffnen ein „Rock’n’Roll Testament“. Avantgardistisch nimmt sich der immer schleppender und hypnotisch werdende „Long Distance Run“ von „Nine Days Wonder“ aus. Dem Läufer steigt das Blut in den Kopf, er schwankt und wankt weiter.

Gruppen wie „Virus“ und „Eulenspygel“ bemühen sich mit den Liedern „King Heroin“ und „Teufelskreis“ dann doch um pädagogische Botschaften. Die Folkrock-Gruppe „Ougenweide“ gibt ihren „Pferdesegen“ als eine magische Begehung. Der Durchbruch der deutschen Rockmusik ereignete sich bezeichnenderweise erst dann, als sie endlich die Anglizität aufgab. Die Krautrockszene war der Humus dafür und beweist wieder einmal die Fülle an guten Instrumentalisten in Deutschland, die lieber in Frieden an ihren Instrumenten fummeln als Ovationen anonymer Massen entgegenzunehmen.

Live Kraut Sireena (Broken Silence), 2013

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