© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Geschlechterrollen im Umbruch?
Echte Männer brauchen wir
Birgit Kelle

Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist eine Frau eine Frau? Das grundsätzliche Problem im Umgang zwischen den Geschlechtern besteht inzwischen nicht mehr in ihrer Unterschiedlichkeit, sondern in unserer Unfähigkeit, diese zu akzeptieren. Nur eine aufgebrochene Geschlechterrolle ist heute noch eine gute Rolle. Das macht die Dinge kompliziert, denn die meisten Menschen leben nach wie vor innerhalb klassischer Rollenstereotypen. Schlimmer noch: Sie gefallen sich sogar darin! Damit sind sie höchst unmodern und gelten als überholungsbedürftig. Verhaftet in traditionellen Klischees, wo Männer Frauen noch die Tür aufhalten und Frauen Männer die Rechnung bezahlen lassen. Wie altmodisch!

Der gute Mann von heute arbeitet hingegen an seinen Soft Skills und seiner Teamfähigkeit. Er kann zuhören, seine Gefühle zeigen, senkt die Stimme und das Haupt, schleppt sein Kind im Wickeltuch vor dem Bauch herum und interessiert sich sehr für soziale Pflegeberufe. Typisch weiblich ist also nur noch dann akzeptabel, wenn Mann es ausführt, typisch männlich, wenn Frau es sich als Verhaltensweise aneignet. Während also eine Frau eine Heulsuse ist, wenn sie öffentlich weint, zeigt ein Mann endlich Gefühle, wenn er vor versammelter Mannschaft Tränen fließen läßt. Während eine Frau als stark gilt, wenn sie sich mit Ellenbogen durchsetzt, ist ein Mann unbelehrbar aggressiv, tut er das gleiche. Wenn eine Frau sich einen Mann für eine Nacht holt, ist sie selbstbewußt und sexy, wenn ein Mann einen One-Night-Stand hat, ist er ein Schwein.

Hat das Gender-Mainstreaming mit seiner Strategie der Angleichung der Geschlechter und der Nivellierung der Unterschiede etwa den Siegeszug durch die Institutionen geschafft und damit begonnen, die öffentliche Wahrnehmung zu dominieren?

Allerorten wird das Hohelied auf den „neuen Mann“ gesungen. Weil Frau angeblich auf ihn steht. Ursula von der Leyen gab sogar in einem Interview zum besten, die Geschichte habe gezeigt, daß jemand, der zu sehr an tradierten Rollenbildern klebe, heute Schwierigkeiten habe, einen Partner zu finden. Dennoch sind die Feuilletons seltsamerweise voll mit der immer wieder neu gestellten Frage, wo denn die Männer hin seien. Denn nachdem wir jahrelang gefordert haben, daß der Mann sich ändern soll, beschweren wir uns jetzt, daß der echte Kerl nur noch so schwer zu finden ist. Eine ganze Zunft von Frauenmagazinen beschäftigt sich nach wie vor mit Tips für die Suche nach dem einen zum Heiraten und Kinderkriegen.

Geändert haben sich zahlreiche Männer definitiv. Es hat seine Vorteile, wenn Rollen aufbrechen, das eröffnet neue Möglichkeiten, sowohl für Männer als auch für Frauen. Zum Problem wird es nur, wenn der „neue Mann“ zum neuen alleinherrschenden Modell erklärt wird, man also seine alte Rolle aufbrechen muß, um noch gesellschaftlich mithalten zu können. Dann haben wir auch an der Männerfront nicht mehr erreicht, als vom Regen in die Traufe zu kommen. Denn auch Männer haben unterschiedliche Rollenvorstellungen, Lebensvorstellungen und Wünsche an Frauen.

Ich will es ja nicht schlechtreden, der neue Mann hat seine Vorteile, er ist ja auch ganz nett. Er trägt diese metrosexuellen Schals, Ringelpullover und Retrobrillen. Er ist gebildet und wortgewandt. Aber ist er nun so, wie wir ihn haben wollten? Wissen wir überhaupt genau, wie der perfekte Mann sein soll? Und wenn wir es als Frauen nicht wissen, wie soll er wissen, wie er zu sein hat?

Es ist nicht die Schuld der Männer, daß wir uns zwar mit dem sensiblen Philosophen prächtig unterhalten, anschließend aber dennoch bei demjenigen mit dem schickeren Auto einsteigen. Geht es um die Paarung, sind wir nämlich trotz Gleichstellungsbeauftragten noch nicht ganz von den Bäumen runter.

Gern wird im Zusammenhang mit dem angeblich stoischen Dinosaurierverhalten unverbesserlicher Männer von der „verbalen Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ gesprochen. Der Soziologe Ulrich Beck hat diese Umschreibung geprägt für die Männer, die sich zwar vordergründig gegenüber emanzipierten und auch finanziell eigenständigen Frauen aufgeschlossen geben, aber letztlich dann real eine Frau als Partnerin wählen, die ihnen in Sachen Karriere, Bildung und Finanzen unterlegen ist. Also alles beim alten.

Wir sind also nicht wirklich weitergekommen in der Frage, wie der Mann nun sein soll, und wir können die Geschlechterfrage gar nicht ohne ihn lösen. Ohne daß er sich an dieser Debatte beteiligt, seine Standpunkte festlegt, Grenzen verteidigt. Männlich ist.

Zahlreiche Studien bestätigen jedoch, daß Frau genau das gleiche Verhalten an den Tag legt. So wird zwar der „neue Mann“ als einzig möglicher Partner diskutiert, real aber immer noch versucht, gesellschaftlich nach oben zu heiraten. Daß bei dieser Diskordanz zwischen Reden und Handeln die Partnersuche nicht gerade einfacher geworden ist, liegt auf der Hand. Man könnte auch böse hinzufügen: Wir Frauen haben es nicht anders verdient. Denn wir versuchen ja nichts Geringeres als die Quadratur des Kreises: Wir wollen immer noch zu ihm aufsehen können, er darf aber nicht auf uns herabblicken.

Wir sind also nicht wirklich weitergekommen in der Frage, wie der Mann nun sein soll, und ehrlicherweise können wir die Geschlechterfrage gar nicht lösen ohne den Mann. Ohne daß er sich an dieser Debatte beteiligt, seine Standpunkte festlegt, Grenzen verteidigt. Männlich ist. Das tun wir doch als Frauen auch. Wir wollen selbst definieren, was wir wollen, wie wir sein und wie wir leben wollen. Was weiblich ist. Wir würden es als anmaßend betrachten, würde Mann uns das vorschreiben. Wieso erlauben wir uns dann, die Männlichkeit definieren zu wollen? Wäre das nicht Sache der Männer?

Denn wenn wir es ernst meinen mit der Gleichberechtigung, dann muß sie auf Augenhöhe passieren. Theoretisch war es ja auch so gedacht. So steht es sogar im Amsterdamer Vertrag der EU in Sachen Gender-Mainstreaming. Demnach soll es „die unterschiedlichen Lebensbedingungen von Frauen und Männern und die Auswirkungen auf beide Geschlechter berücksichtigen“. 16 Jahre später ist klar: Das war nur rhetorisch gemeint. Wie eine heilige Kuh wird die alleinige Benachteiligung der Frau gehegt. Halten Frauen allein die Deutungshoheit darüber, was in der Geschlechterfrage genehm ist. Die „Es ist noch nicht genug“-Fraktion hat die Oberhand. Fakt ist, daß auch Männer Benachteiligungen erleben, jedoch andere als Frauen.

Denn Themen liegen genug auf der Straße. Was ist mit der steigenden Zahl von Vätern, die heute um das Sorge- und das Umgangsrecht für ihre Kinder kämpfen? Steigende Scheidungs- und Trennungszahlen bedeuten leider auch steigende Streitigkeiten unter Eltern. Nicht selten wird das Kind als Machtmittel mißbraucht. Mir kommt die Wut hoch bei all den Zuschriften, die ich in den vergangenen Jahren von Vätern bekommen habe, die verzweifelt um ihre Kinder kämpfen. Wie oft habe ich schon gehört: „Ich würde die Kinder ja gern häufiger nehmen, aber sie läßt mich nicht.“ Auch geteiltes Sorgerecht heißt in Deutschland noch lange nicht, daß Sie als Vater auch ein angemessenes Umgangsrecht mit dem Kind bekommen. Und selbst wenn Sie dieses juristisch bekommen, heißt es nicht, daß es nicht trotzdem und ständig unterlaufen werden kann.

Mir kommt die Wut hoch bei all den Zuschriften, die ich in den vergangenen Jahren von Vätern bekommen habe, die verzweifelt um ihre Kinder kämpfen. Wie oft habe ich schon gehört: „Ich würde die Kinder ja gern häufiger nehmen,  aber sie läßt mich nicht.“

Das Internet ist voll von Selbsthilfegruppen für Väter, von Vereinen und Protestinitiativen. Alles Väter, die gern erziehen würden, es aber nicht dürfen. Zahlen müssen sie allerdings schon, da sind wir hart. Sie alle beklagen, daß auch die deutschen Jugendämter nahezu immer auf der Seite der Mütter stehen. Wann geben wir diesen Vätern eine Chance? Nicht nur, daß sie keine Hilfe sind, die Justiz und die Jugendämter sind den Vätern dabei oft sogar ein zusätzliches Hindernis.

90 Prozent aller Kinder leben nach der Trennung ihrer Eltern bei der Mutter, schon nach einem Jahr haben 50 Prozent keinen regelmäßigen Kontakt mehr zum Vater. Zumindest ist inzwischen das neue Gesetz zur gemeinsamen Sorge seit 19. Mai 2013 in Kraft. Es soll die Rechte von getrennt lebenden Elternteilen bei der Kindererziehung angleichen und die bislang „mütternahe“ Gesetzeslage entschärfen. Väterverbände hatten sich positiv zur Einführung geäußert, wenn auch nicht alle Ungleichheiten beseitigt wurden, aber es war zumindest auf dem Papier ein Signal gegen die bisherige Willkür im Sorgerecht. Jetzt muß es sich in der Praxis bewähren. Natürlich gibt es die Väter, die kein Interesse haben, die leider nicht nur ihre Frauen, sondern oft auch ihre Kinder verlassen. Aber es gibt auch diejenigen, die wollen. Wer steht staatlicherseits für die Rechte dieser Männer ein? Die Gleichstellungsbeauftragten? Wohl eher nicht.

Auch wir Frauen müssen dazulernen und von den Vätern nicht nur mehr Engagement fordern, sondern es dann auch zulassen. Das Problem existiert nicht nur bei getrennten Paaren, sondern auch bei verheirateten, wo der Vater anwesend ist. Seien Sie ehrlich, liebe Mütter, wie oft haben Sie schon in bezug auf die Kinder etwas selbst erledigt, weil er es in Ihren Augen einfach „nicht richtig“ macht? Väter sind anders als Mütter, das sollen sie auch sein, das macht ihre Stärke aus.

Man kann die Männerfrage aus zwei Perspektiven betrachten: Die eine ist die feministische, die besagt, es braucht gar keine Männervertretung, denn die Männer haben ja sowieso überall das Sagen.

Man könnte die Männerfrage auch aus einem völlig anderen Blickwinkel betrachten, indem man sich die Faktenlage jenseits von politischen Ämtern und gezählten Dax-Sesseln ansieht. Aus dieser Perspektive sind Männer schon lange die Verlierer. Alle Attribute, die man als typisch männlich bezeichnet, sind negativ besetzt. Gleichzeitig sprechen wir Männern massenhaft und pauschal positive Eigenschaften ab, wie gerade die Frauenquotendiskussion immer wieder zeigt. Wir feiern geradezu, daß Mädchen heute so erfolgreich sind. Die Kehrseite ist, daß die Jungs immer weiter zurückfallen. Zahlreiche Statistiken belegen: Jungs bleiben häufiger sitzen, brechen häufiger die Schule ab, sie bleiben häufiger ohne Ausbildung, werden häufiger kriminell und verhaltensauffällig als Mädchen. Sie ecken häufiger durch ihr Verhalten an, bekommen entsprechend häufiger die Diagnose ADHS und schlucken das meiste Ritalin. Sieht irgend jemand Grund zum Handeln? Es ist die zukünftige Männergeneration, die hier heranwächst.

Später führen Männer die Statistiken an bei Obdachlosen, bei Selbstmördern, bei Straftätern, bei Gefängnisinsassen, bei der Sterblichkeitsrate in gefährlichen Berufen, und wenn sie nicht dort umkommen, sterben sie immer noch statistisch ein paar Jahre früher als Frauen. Sie werden öfter Opfer von Gewaltverbrechen und sterben häufiger am Herzinfarkt.

Stellt sich am Schluß die Frage: Wo seid ihr Männer? Wo bleibt euer Aufschrei? Der Bundespräsident läßt sich erklären, welche Worte er noch im Zusammenhang mit Frauen benutzen darf und welche nicht. Bei der Frauenquoten-Debatte seht ihr zu, wie das Leistungsprinzip für eure Söhne ausgehebelt wird, und stimmt in den Chor mit ein. Ihr seht zu, wie eure Söhne an den Schulen zurückfallen und vermehrt therapiebedürftig werden. Nicht einmal, als die Universität Leipzig beschlossen hat, euch fortan als Frauen anzusprechen, und euch somit verbal entmannt hat, war ein Aufschrei zu hören. Ihr solltet wenigstens Frauenparkplätze vor der Uni Leipzig dafür einfordern!

Es wird Zeit für eine parallele Männerbewegung, die klar artikuliert, was sie selbst will. Denn wir brauchen nicht nur neue Männer, sondern auch echte Männer.

 

Birgit Kelle, Jahrgang 1975, arbeitet als Journalistin und Publizistin. Die Mutter von vier Kindern ist Vorsitzende des Vereins „Frau 2000plus“ sowie Vizepräsidentin der „New Women for Europe“. Auf dem Forum schrieb sie zuletzt über Familienpolitik („Wir können besser ohne“, JF 27/13).

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