© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Der Flaneur
Mit Spiderman auf der Bank
Bente Holling

Das war’s wohl mit den warmen Tagen für dieses Jahr. Es wird einer der letzten Abende sein, an dem ich mein Märzen noch auf der Gartenbank trinken kann. Ich liebe diese Bank. Sie ist ein Rückzugsort, an dem sich die Wellen des Tages brechen. Ich sitze, also bin ich.

Plötzlich sehe ich aus dem Augenwinkel, daß ich nicht allein bin. Eine fast handtellergroße Kellerspinne sitzt zwei Handbreit neben mir. Der Anblick startet in mir ein Hunderttausende Jahre altes Programm im Kopf. Doch ich unterdrücke den Reflex aufzuspringen oder draufzuhauen.

Ich krabble nicht über dein Gesicht, also krabble du nicht über meines.

Ich weiß, Spinnen sind Nützlinge. Ich habe mal gelesen, alle Spinnen Deutschlands fressen jedes Jahr soviel Ungeziefer, wie das Gewicht aller Deutschen aufwiegen würde. Doch ihr unglückliches Schicksal ist, daß sie alles andere als niedlich wie ein Marienkäfer aussehen. Außerdem kann man ihnen beim besten Willen nicht begreiflich machen, daß man keinerlei Körperkontakt wünscht.

Früher war ich Arachnophobiker. So heißen die Leute, die Angst vor Spinnen haben. Sah ich vor dem Zubettgehen acht behaarte Beine im Schlafzimmer, konnte ich nicht ruhen, bis ich das Untier mit Zeitung, Pantoffel oder Staubsauger erlegt hatte. Heute schließe ich einfach ein stilles Abkommen zur friedlichen Koexistenz: Ich krabble nicht über dein Gesicht, also krabble du nicht über meines. Außerdem hab’ ich Feierabend und du noch Arbeit – also laß mich in Ruh’ und fang Mücken.

So auch jetzt. Wir führen sozusagen ein Zehn-Augen-Gespräch – meine zwei und die acht der Spinne. Ich sage: Ich will einfach nur hier sitzen, also sitz still und geh mir nicht auf den Keks. Und vor allem: Laß deine Beine bei dir!

Sie versteht und trollt sich. Wie man mit acht Beinen bloß so schnell laufen kann. Als ich aufstehe, fällt es mir schon mit zweien schwer. Das Bier. Ich sage: Gute Nacht, Spiderman.

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