© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Die Schlacht verloren und die Krone gewonnen
Obwohl vor 500 Jahren England den nördlichen Erbfeind spektakulär besiegt, erobern im selben Jahr die schottischen Stuarts den Londoner Thron
Klaus Bruske

Das Jahr 1513 wird für Schottland und England zu einem Schicksalsjahr. Denn im Herbst jenes Jahres rettet eine englische Königstochter aus dem Hause Tudor dem schottischen Familien-Clan der Stuarts den Thron. Das hilft damals, die englisch-schottische „Erbfeindschaft“ auf relativ friedlichem Wege beizulegen. 1603 schließlich erbt das Haus Stuart auch noch in Personalunion die Krone Englands. Wiederum ein gutes Jahrhundert darauf, 1707, verschmelzen die beiden alten Königreiche staatsrechtlich ganz und gar, und es entsteht das „Vereinigte Königreich von Großbritannien“.

September 1513: Der schottische König Jacob IV. Stuart ist im Kampfgetümmel gefallen. Die Hälfte seiner 30.000 wackeren High- und Lowlander, die der König über den Grenzfluß Tweed gegen den „Erbfeind“ England führt, liegen gefallen auf dem Schlachtfeld. Am 9. September 1513 bricht auf dem „Flodden Field“ in der nordostenglischen Grafschaft Northumberland die Katastrophe über die Schotten herein. Das widerspenstige und freiheitsliebende Volk hat gegen die von Thomas Howard, dem Herzog von Norfolk, kommandierten Regimenter der Engländer eine vernichtende Niederlage erlitten.

Diese nachbarliche Feindschaft hat Tradition. Sie reichte auch vor 500 Jahren bereits viele Generationen zurück bis ins 13. Jahrhundert, bis in die Zeit der Unabhängigkeitskriege und ihrer Führungsfiguren William Wallace und Robert the Bruce, deren Schlachten von Stirling Bridge (1297) und Falkirk (1298) in dem Hollywood-Film „Braveheart“ 1995 gewürdigt wurden. Damals wollen sich die Schotten aus dem englischen Würgegriff wieder befreien, was ihnen nach dem entscheidenden Sieg von Bannockburn (1314) schließlich 1328 im Vertrag von Edinburgh auch gelingt. Zuvor gehen sie nach der alten Weisheit „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ auf Frankreich zu. Denn auch die gallischen entfernten Verwandten an Seine und Loire fühlen sich von der englischen Königsdynastie Plantagenet und ihrem aggressiven Expansionsstreben auf dem Kontinent bedroht. Diese Koalition wurde bereits am 23. Oktober 1295 in Paris mit der „Auld Alliance“ geschmiedet.

Katastrophale Niederlage für die schottischen Clans

Mit diesem „Alten Bündnis“, wie es sich aus der angelsächsisch-normannisch beeinflußten Sprache der schottischen Lowlands (in den Highland-Clans hingegen wird damals noch reines Gälisch gesprochen), aus dem „Scots“, übersetzt, verpflichten sich Frankreich und Schottland, sich im Kampf gegen England stets gegenseitig beizustehen. Der Vertrag bleibt kein leeres Wortgeklingel. Er bewährt sich ein ums andere Mal. Etwa im Mai 1429, als der „Hundertjährige Krieg“ zwischen London und Paris um die Vorherrschaft in Frankreich in seine letzte Phase tritt. Damals eilen die Schotten Frankreichs Nationalheldin Jeanne d’Arc während ihrer Belagerung von Orléans zu Hilfe. Viele bleiben und bilden die „Schottische Garde“, die Leibwache des französischen Königs Karl VII.

Auch vor der Schlacht auf dem „Flodden Field“ sieht sich Jakob IV. an die „Auld Alliance“ gebunden. Er läßt sich von der angeheirateten Verwandtschaft des aus den „Rosenkriegen“ siegreich hervorgegangenen neuen englischen Königshauses der Tudor nicht davon abhalten, einen Entlastungsangriff als Hilfe für den französischen Verbündeten zu wagen. Denn wieder einmal führt England Krieg auf dem Kontinent. Diesmal ist es sein Schwager, der Bruder seiner Gattin Margaret Tudor, König Heinrich VIII. Tudor von England, der in der Picardie das Schwert gegen Frankreichs König Ludwig XII. schwingt.

Die Katastrophe von „Flodden Field“ 1513 wiegt schwer. Sie löscht in dem wirtschaftlich schwachen, mit nicht viel mehr als einer Million Menschen selbst für spätmittelalterliche Verhältnisse dünn besiedelten Land „am Ende der Welt“ beinahe eine ganze Kriegergeneration aus. Kaum einer der noch als vorfeudale Stammesgemeinschaft lebenden, von Whisky, Haferbrot und Rinderzucht sich nährenden Hochland- und Insel-Clans entgeht dem Aderlaß, seien es die MacKenzies oder die MacDonalds. Hohen Blutzoll müssen auch die anglisierten und feudalisierten, mit ihren Pächtern modernen Ackerbau betreibenden Adelssippen in Zentralschottland zwischen Glasgow und Edinburgh oder die Barone in den Borders und in den Lowlands entrichten.

Einer Engländerin ist es zu danken, daß das jetzt kraft- und mutlos gewordene Schottland sich wieder aufrichtet, nicht die 1328 mühsam errungene Unabhängigkeit wieder verliert und erneut zur englischen Kolonie herabsinkt. Die verwitwete Margaret Tudor beweist „männlichen Mut“. Ohne zu zögern nimmt sie ihren erst eineinhalb Jahre alten Sohn bei der Hand und läßt ihn am 21. September 1513, keine zwei Wochen nach dem Schlachtentod seines Vaters, als Schottlands neuen König Jakob V. krönen. Für sich selbst aber bittet sie sich die Vormundschaft und Regentschaft bis zur Volljährigkeit aus.

Margaret Tudor, die legitime Tochter des ersten Tudor-Königs Heinrich VII. von England, ist die Stammutter aller nachfolgenden Stuart-Regenten. Ihr verdankt es der schottische Familienclan, daß er nach Queen Elizabeths I. Tudor Tod 1603 auch noch den Thron Englands erbt. In aufsteigender Linie ist Margaret so die Ahnin: von Maria I. Stuart (regiert 1542–1567); von Jakob VI. (1567–1625 König von Schottland, 1603–1625 in Personalunion auch König Jakob I. von England); von Karl I. (1625–1649); der Brüder Karl II. (1660–1685) und Jakob VII./Jakob II. (1685–1688); der Schwestern Maria II. Stuart (1688–1694) und Anna (1702–1714).

Trotz Hinrichtungen von Königen hält die Dynastie

Mit „Queen Anne“, die ohne Erben stirbt, nimmt die knapp 350jährige Königsherrschaft des Hauses Stuart ihr Ende. Zuvor aber unterzeichnet Anna eine historische Urkunde, den „Act of Union“. Darin werden am 16. Januar 1707 die beiden alten Königreiche Schottland und England staatsrechtlich unter einer Krone vereinigt. Damals wächst das heute oft allein als Synonym für England gebrauchte „Vereinigte Königreich Großbritannien“ zusammen. So gesehen hat letztlich der schottische Kilt über den englischen Kittel triumphiert.

Doch willkommen sind die Stuarts dem englischen „Erbfeind“ nie gewesen. Zwei der Regenten, Maria Stuart I. und König Karl I., fallen gar dem englischen Henkerbeil zum Opfer. Maria Stuart, Queen of Scots, wird am 8. Dezember 1542 im Linlithgow-Palace bei Edinburgh als Erbtochter König Jakobs V. und der französischen Prinzessin Maria Guise geboren. Sie ist sieben Tage alt, als ihr Vater stirbt und sie zur neuen Königin von Schottland proklamiert wird. Maria festigt die „Auld Alliance“ und verlebt lange Jahre ihrer Kindheit und Jugend als Braut des Thronfolgers Franz (II.) am französischen Königshof. Sie heiratet mit 15 Jahren ihren Bräutigam und ist bald darauf schon wieder eine blutjunge Witwe.

Maria kehrt nach Edinburgh zurück, wo sich um die Königin der Schotten ein Mordkomplott und ein wüstes Intrigenspiel entspinnt. Schließlich wird sie von ihren Clanchefs und Baronen in die Enge getrieben und muß zugunsten ihres einjährigen Sohnes Jakob VI. abdanken. Maria Stuart flieht über den Tweed, um bei ihrer Cousine zweiten Grades, bei Englands Königin Elizabeth I. Tudor, Rat und Beistand zu suchen. Doch Elizabeth denkt nicht daran zu helfen. Im Gegenteil, sie sieht in der Katholikin Maria eine Gefahr für ihre Herrschaft und die Anglikanische Staatskirche. Elizabeth hält die Rivalin fast zwei Jahrzehnte in Gefangenschaft und übergibt Maria Stuart am 8. Februar 1587 nach einem konstruierten Hochverratsprozeß dem Henker.

Allerdings gelingt es der unverheirateten und kinderlosen Queen Elizabeth I. Tudor nicht, die legitime dynastische Erbfolge außer Kraft zu setzen. Maria Stuarts Sohn Jakob VI. als Urenkel der englischen Königstochter Margaret Tudor besteigt nach Elizabeths Tod am 23. März 1603 als King James I. auch Englands Thron. Sein Sohn Karl I. kommt am 30. Januar 1649 während der von Oliver Cromwell dominierten „Englischen Revolution“ unters Henkerbeil. Nach dieser Bluttat sowie bis zur „Stuart-Restauration“ 1660 ist England zum ersten und zum einzigen Mal in seiner Geschichte für ein Jahrzehnt eine Republik ganz ohne einen König.

Der schottische König James IV.; sein Schlachtentod auf den Flodden Fields im September 1513; Margaret Tudor ergreift die englische Regentschaft: Der lange Weg zum Vereinigten Königreich

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