© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Sahra Wagenknecht könnte nun der Durchbruch an die Spitze der Linkspartei gelingen
Die rote Prophetin
Thorsten Hinz

Aus ihrer dekorativen Rolle als Bürgerschreck-Ikone ist Sahra Wagenknecht längst herausgetreten. Jetzt hat die Bundestagswahl die 44jährige zu einer zentralen Figur der Linkspartei gemacht. Das gilt unabhängig davon, ob die Fraktion sie zur Co-Vorsitzenden bestimmt oder ob sie sich aus taktischen Gründen – um die Chance auf eine rot-rot-grüne Koalition zu wahren – mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügen muß.

Ihr gewachsener Einfluß ergibt sich aus dem Wahlergebnis, das für die Linkspartei alles andere als berauschend ist. Zwar stellt sie im Bundestag die drittgrößte Fraktion, doch ihre Wählerschaft ist rückläufig und die Abgeordnetenzahl um ein Sechstel geschrumpft. Das erzeugt Unzufriedenheit mit der alten Führung. Auch hat sich die Zusammensetzung der Fraktion verschoben. Bisher hatte die Linke sich als pragmatische Ost-Partei mit radikalem West-Appendix dargestellt. Das hatte es Gregor Gysi und dem kürzlich verstorbenen Lothar Bisky leicht gemacht, den Durchmarsch der früheren Sprecherin der Kommunistischen Plattform zu bremsen.

Jetzt sind Ost und West gleich stark vertreten, und Wagenknecht, die aus der DDR stammt, aber auf der Landesliste von Nordrhein-Westfalen gewählt wurde, konkurriert als Frontfrau der radikalen Westler mit den Machtpragmatikern um Gysi. Dessen Zugkraft ist bei den diesjährigen Wahlen an ihre Grenze gestoßen. Mit dem Ruf nach „Umfairteilung“ allein lassen sich die sozialen Fragen nicht mehr beantworten. Auch unter Anhängern der Linken herrschen Zweifel an der europäischen Einheitswährung. Wagenknecht hat darauf hingewiesen, daß die Linkspartei rund 430.000 Stimmen an die Alternative für Deutschland verloren hat. Da die ehemalige Philosophie- und Literaturstudentin inzwischen als Volkswirtschaftlerin promoviert wurde, traut man ihr in der Partei mehr denn je Problemlösungs- und Führungskompetenz zu.

2010 hatte sie sich formal von der Kommunistischen Plattform zurückgezogen. Politisch und gesellschaftlich ist sie weithin akzeptiert. Sämtliche Foren und Medien, bis hin zum Handelsblatt und zur FAZ, stehen ihr offen. Was neben der allgemeinen Linksverschiebung damit zusammenhängt, daß die Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre ihr scheinbar recht gegeben haben. Der Kapitalismus war in der Systemkonkurrenz im Kalten Krieg gezwungen gewesen, sich soziale Fesseln anzulegen. Seit 1989 streift er sie ab und benimmt sich in der Finanzkrise so häßlich, wie Marx und Wagenknecht das stets behauptet haben.

Weil sie den Euro dennoch mit Argumenten aus dem Arsenal des proletarischen Internationalismus verteidigt, stiftet ihre Kritik aus Sicht der internationalen Finanzindustrie mehr Nutzen als Schaden. Würde sie die Einheitswährung in Frage stellen, wäre es mit der Akzeptanz für sie und die Linkspartei vorbei. Das wird sie nicht riskieren.

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