© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

„Die Wahrheit hat mich frei gemacht“
Martin Hohmann: Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete erinnert sich an den Skandal um seine Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2003, die ihn um seine politische Karriere gebracht hat
Marcus Schmidt

Wenn Martin Hohmann zurückblickt, wird er grundsätzlich. „Der damalige Skandal ist ein Teil meiner persönlichen Geschichte. Ich sehe die Vorgänge als Fügung“, sagt der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete mit Blick auf seinen Rauswurf aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und aus der Partei im Jahr 2003. Als Christ sei es subjektiv einfach: „Für äußere Mißerfolge, die man mit Seiner Hilfe durchgestanden hat, ist man auch dankbar“, sagt Hohmann. „Objektiv, von den politischen Zielen und den Inhalten her, ist seit geraumer Zeit der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen der CDU und Hohmann erschöpft. Ein Spagat wäre nicht mehr möglich. Insofern war der Skandal nur eine zeitliche, etwas theatralisch ausgefallene Vorwegnahme einer unvermeidlichen Trennung.“

Anlaß für die Debatte, die wochenlang Politik und Medien beschäftigte, war eine Rede Hohmanns zum Tag der Deutschen Einheit, in der es unter anderem um die Klassifizierung der Deutschen als „Tätervolk“ ging. „Es war die Rede eines Patrioten, der Gerechtigkeit für sein Land einfordert, eines Patrioten, der von der Selbstdiffamierung unseres Volkes als ‘Tätervolk’ genervt war“, erläutert Hohmann die Vorgeschichte. Auch heute noch hält er die Rede für richtig. Zum Stolperstein wurde sie für ihn, weil er zur Veranschaulichung seiner These „die überproportionale jüdische Beteiligung“ an kommunistischen Massenverbrechen ansprach. Daß er zu dem Fazit kam „Weder die Juden noch die Deutschen sind ein Tätervolk“, spielte in der Debatte dann keine Rolle mehr (siehe Chronik).

„Sprengsatz und Auslöser des Skandals war überhaupt nicht die Rede, sondern die Berichterstattung der ARD, genauer die Schlagzeile vom 30. Oktober 2003: ‘CDU-Abgeordneter nennt Juden Tätervolk’“, sagt Hohmann rückblickend. Diese Überschrift sei der Paukenschlag gewesen, mit dieser verfälschenden Schlagzeile sei die Treibjagd eröffnet worden, an der sich neben Bild auch die sogenannten Qualitätsmedien rege beteiligt hätten. „Im Kern ging es nicht um die Rede, sondern um Deutungshoheit und publizistische und politische Machtpositionen.“ Nach der „ARD-Totschlagzeile“ sei alles vorhersehbar und wie nach einem Drehbuch abgelaufen, besonders nachdem viele große Medien diese Schlagzeile unhinterfragt übernommen hatten, erinnert sich der frühere CDU-Politiker.

„Die Empörungsrituale und öffentlichen Vorwürfe wurden nochmals gesteigert, als der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, folgende Bewertungen veröffentlichte: ‘Schlimmster Fall von Antisemitismus seit Jahrzehnten’ und ‘Griff in die allerunterste Kiste des widerlichen Antisemitismus’.“ Damit habe die Kampagne eine neue Qualität und Brisanz gewonnen. „Jedem wurde klargemacht: Hohmann ist vogelfrei, zum Abschuß nicht nur freigegeben, sein Abschuß wird auch erwartet. Das hieß zugleich, auf Sympathiebekundungen für Hohmann steht die Höchststrafe, sie können mit der öffentlichen Hinrichtung enden.“ Von da an sei nach seinem Eindruck bei Politikern und Journalisten die nackte Angst, Existenzangst, umgegangen.

Für Hohmann schien die Affäre dabei zunächst eher glimpflich auszugehen. „Mich hatte die CDU verwarnt und zur Strafe vom Innen- in den Entwicklungshilfeausschuß versetzt. Ich hatte das akzeptiert und mich dreimal öffentlich entschuldigt.“ Doch das habe der CDU angesichts des Medienhypes und des gesteigerten öffentlichen Drucks dann nicht mehr gereicht. Ziel sei jetzt gewesen: Hohmann muß raus. „Dazu verlangte die CDU von mir die totale Rücknahme der Rede.“ Für ihn undenkbar, empört sich Hohmann noch heute. „Dem konnte ich nur ein klares Nein entgegensetzen. Wer Fakten referiert, die Realität abbildet, also die Wahrheit sagt, braucht nichts zurückzunehmen, er darf nichts zurücknehmen. Wäre ich eingeknickt, hätte ich mich unterworfen und selbst geknechtet. So aber hat mich die Wahrheit frei gemacht.“

Doch der Weg dorthin war für Hohmann nicht frei von Enttäuschungen. „Von zwei Personen weiß ich aus sicherer Quelle, daß sie die Rede nicht gelesen, aber gleichwohl mit dem medialen Vorschlaghammer auf mich eingedroschen haben. Der damalige CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber (‘Hohmann steht außerhalb des Verfassungsbogens’) und der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber (‘Fortsetzung antisemitischer Denkweise schlimmster Sorte’).“

Am schlimmsten sei aber die Aktion von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) gegen Brigadegeneral Reinhard Günzel gewesen. „Aus Strucks Buch ‘So läuft das’ wird deutlich, daß auch er die Rede nicht gelesen hat. Die ARD-Schlagzeile hat ihm als Information ausgereicht, einen verdienten General wie einen Hund vom Hof zu jagen und diesen Rausschmiß als politisches Druckmittel auf Frau Merkel einzusetzen. Nach dem Motto: Die SPD weiß, was zu tun ist, sie handelt schnell, Frau Merkel hingegen zögert mit Hohmanns Rausschmiß“, sagt Hohmann.

„Nach Erscheinen seines Buches im Jahr 2010 bin ich gegen Struck juristisch vorgegangen, und er hat sich in einer Unterlassungserklärung mir gegenüber verpflichtet, weder wörtlich noch sinngemäß zu behaupten, ‘Hohmann habe die Juden als Tätervolk bezeichnet.’ Meines Wissens hat sich der inzwischen verstorbene, ehemalige Verteidigungsminister bei General Günzel nie entschuldigt. Anstand und Fürsorge wurden politischem Zweckdenken gnadenlos untergeordnet.“

Doch Hohmann erinnert sich auch an viele positive Reaktionen. „Die Verdammung durch den politisch-medialen Komplex wurde durch eine Woge der Sympathie mehr als ausgeglichen“, sagt er. „Ich bekam viele tausend unterstützende Zuschriften und Anrufe von mir unbekannten Menschen. Ungezählte positive Leserbriefe wurden geschrieben. Fritz Schenk, der langjährige ZDF-Redakteur, hatte die Aktion ‘Kritische Solidarität mit Martin Hohmann’ gestartet – sie fand mehrere tausend Unterstützer aus der CDU – und hat sich den Frust über die ungerechte Behandlung Hohmanns in dem Buch ‘Der Fall Hohmann’ von der Seele geschrieben; der Verleger Herbert Fleissner hat es in zwei Auflagen auf den Markt geworfen.“

Auch einige Journalisten hätten ihn unterstützt. „Helmut Matthies und Felizitas Küble haben unablässig gegen den Mainstream angeschrieben und dabei Einbußen riskiert. Die JUNGE FREIHEIT mit Dieter Stein und die Preußische Allgemeine Zeitung haben sich mutig gegen die allgemeine Verurteilung gestemmt.“

Selbst im Bundestag stand Hohmann nicht alleine. Er nennt seine Fraktionskollegen Vera Lengsfeld, Peter Gauweiler und besonders Norbert Geis. „Letzterer hat sich damals geradezu todesmutig geäußert: ‘Hohmann ist kein Antisemit, er hat auch nichts Antisemitisches gesagt.’“ Viele Menschen, die er wegen ihrer tadellosen Haltung, wegen ihrer Prinzipientreue und ihres Mutes sehr schätze, hätten ihn unterstützt und so Mut gemacht.

Heute glaubt Hohmann, daß Deutschland sich durch den Skandal verändert hat. „Die Herrschaftsmechanismen des politisch-medialen Komplexes sind geschwächt“, ist er überzeugt. „Man konnte beobachten, wie Hohmann weggelogen wurde.“ Politikern und Medien werde seitdem noch mehr mißtraut.

 

Martin Hohmann war von 1998 bis 2005 Bundestagsabgeordneter. Bei der Wahl 2005 trat er als parteiloser Kandidat im Wahlkreis Fulda an und erreichte 21,5 Prozent.

 

Chronik

3. Oktober 2003

Der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann (CDU) hält in seinem Wahlkreis bei Fulda eine Rede zum Tag der Deutschen Einheit und veröffentlicht sie im Internet.

30. Oktober 2003

Tagesschau und Tagesthemen berichten über die Rede. In den Medien wird daraufhin fälschlicherweise behauptet, er habe darin die Juden als Tätervolk bezeichnet. Tatsächlich hatte Hohmann festgestellt: „Weder ‘die Deutschen’ noch ‘die Juden’ sind ein Tätervolk.“ Ungeachtet dessen wird dem Politiker „Antisemitismus“, „Hetze“ und „Braungeist“ attestiert.

3. November 2003

Präsidium und Bundesvorstand der CDU beraten über den „Fall Hohmann“ und verurteilen sein Verhalten „einmütig“ mit einer „förmlichen Rüge“.

6. November 2003

Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) entläßt den Chef der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK, Brigadegeneral Reinhard Günzel, weil dieser in einem Brief Hohmanns Mut zur Wahrheit gelobt hatte. Struck bezeichnet Günzel öffentlich als „verwirrten General“.

11. November 2003

In der Sitzung der CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion wird der Antrag auf Ausschluß Hohmanns gestellt. Zu Hohmanns prominenten Fürsprechern zählen die Abgeordneten Vera Lengsfeld und Norbert Geis. Bei der Union gehen unzählige Protestschreiben ein, die das Vorgehen der Parteispitze kritisieren. Merkel wendet sich einen Tag später schriftlich an die Amtsträger der CDU.

14. November 2003

In einer persönlichen Eklärung bittet Hohmann seine Fraktion um „eine zweite Chance“. Dennoch stimmt eine Mehrheit für seinen Ausschluß. Hohmann ist fortan fraktionsloser Abgeordneter. Parallel läuft ein Parteiausschlußverfahren.

4. November 2004

Das Bundesparteigericht der CDU bestätigt den Parteiausschluß Hohmanns. Einzig der Parteirichter Friedrich-Wilhelm Siebeke gibt eine abweichende Meinung zu Protokoll.

5. Februar 2005

Bis zu diesem Tag haben über 9.000 Mitglieder und Funktionsträger der CDU den Appell „Kritische Solidarität mit Martin Hohmann“ unterzeichnet.

16. Juni 2008

Das Bundesverfassungsgericht läßt die Verfassungsbeschwerde Hohmanns gegen seinen Ausschluß aus der CDU nicht zu.

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