© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Grüße aus Moskau
Im Fettnapf
Thomas Fasbender

Markenbewußtsein hat längst auch in Rußland Konjunktur: „Labels machen Leute“. Das Schöne an der beginnenden kalten Jahreszeit ist, daß sich die Zahl der Kleidungsstücke erhöht, ein jedes mit Brands und Etiketten geschmückt. Schnitt oder Farbe mögen Stilbewußtsein und Geschmack bezeugen – letztendlich ist die Marke wichtiger. Sie signalisiert auch das Wichtigste: Seht, was ich mir leisten kann!

Daß Marken allerdings politisch signifikant sein können, ist selbst für Russen Neuland. Da ist man in Deutschland weiter. Ein Beispiel aus dem Leben: Einmal im Jahr wandern wir, zwanzig alte Kommilitonen. Heuer ging es ins Zittauer Gebirge. Im Gepäck ein Pullover, den ich vor Jahren in Moskau gekauft hatte, mit einem Wikingerschiff und mit aufgestickten Runen, markig-nordisch, warm und gerade richtig für den russischen Winter.

Zum Abendessen nach der Wanderung streifte ich ihn über. Keine fünf Minuten später fragte einer der Wanderfreunde, ob ich wisse, was ich da am Leib trüge. Die Runen waren nämlich lesbar – was mir nie aufgefallen war –, und quer über meine Brust stand geschrieben: Thor Steinar. Als er die Worte aussprach, drehten sich alle Köpfe. Und dann ging’s los. Rechtsradikal ... ich könne doch nicht ... das sei ja unmöglich ... ich hätte keine Ahnung.

Ich hatte in der Tat keine Ahnung. Verdutzt hörte ich mir die Standpauke an. Ansätze zu meiner Verteidigung blieben wirkungslos; mit beiden Hinterbacken saß ich im Fettnäpfchen. Dabei waren meine Mitwanderer keine Ideologen der Antifa, sondern wohlbestellte Herren aus der Mitte der Gesellschaft, einige an sichtbarer Position im öffentlichen Dienst. Vom Sieg des Proletariats träumt keiner. Sie vertreten nur die „Generallinie“. Ein einziger war dabei, der etwas Positives bemerkte: „Du hast immerhin Mut“. Interessanterweise war es der einzige Ex-DDR-Bürger, ein ehemaliger Landesminister, der uns als Gast begleitete.

Ich war schon zu lange aus Deutschland fort. Man merkt dann doch die zwanzig Jahre. Ich hatte vergessen, in welchem Ausmaß meine Landsleute sich mit einem politischen System identifizieren, wenn sie nur erst richtig daran glauben. Heutzutage heißt das: gnadenlos demokratisch. Nicht umsonst erkläre ich Russen, wenn sie von unserer lupenreinen Demokratie schwärmen, daß Freiheit und Demokratie verschiedene Dinge sind. Jetzt habe ich ein schönes Beispiel aus der Praxis.

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