© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Kredite für Zahlungsunfähige
Euro-Rettungsfonds: Wie die Veruntreuung des Vermögens der Steuerzahler vonstatten geht
Wolfgang Philipp

Wenn ein Unternehmer immer neue Schulden macht, um damit eine Zahlungsfähigkeit vorzutäuschen, die es längst nicht mehr gibt, dann nennt man das im realen Leben Konkursverschleppung. Wer einen Konkurs verschleppt, der macht sich strafbar“, sagte Sahra Wagenknecht in der Bundestagsdebatte zum zweiten Griechenlandpaket. „Jeder weiß, daß Griechenland zahlungsunfähig ist und den riesigen Schuldenberg unmöglich aus eigener Kraft bedienen kann“, so die Linken-Vizechefin. „Deshalb weiß auch jeder, daß es am Ende einen Schuldenschnitt geben wird und daß dieser Schuldenschnitt für Deutschland sehr teuer sein wird.“

Aus den Reihen der Regierungsparteien gab es während der Rede nur hämische Zwischenrufe, dabei hatte Sahra Wagenknecht eher noch untertrieben. Denn Konkursverschleppung prägt das gesamte System der Euro-Rettungsfonds. Ein Geldgeber gibt Darlehen in der Erwartung, daß der Schuldner sie verzinst und bei Fälligkeit zurückzahlt. Banken vergeben Kredit gegen Sicherheitsleistung. Wird der Schuldner zahlungsunfähig, wird der Gläubiger ihm nicht neues Geld geben, sondern ihn verklagen und die Sicherheiten verwerten. Handelt es sich um eine juristische Person, muß diese Insolvenz anmelden.

Zahlungsunfähig ist, wer fällige Zahlungen nicht erfüllen kann. Gewährt ein Bankvorstand einem solchen Schuldner zusätzliche Kredite und riskiert deren Ausfall, wird er wegen Untreue zum Nachteil der eigenen Bank strafrechtlich verfolgt. Auch kann die Bank anderen Gläubigern, die weiterhin etwa Lieferantenkredite gewähren, schadensersatzpflichtig werden. Die Euro-Politiker stellen diese Grundsätze auf den Kopf, wobei sie nie selbst haften (JF 20/13).

Während im Wirtschaftsleben die Kreditwürdigkeit eines Schuldners sinkt, je schlechter seine wirtschaftliche Lage wird, gilt innerhalb der Euro-Zone das Gegenteil: Je schlechter es läuft, desto kreditwürdiger wird er von den übrigen Staaten beurteilt. Mit der Folge, daß diese ihm über die Rettungsschirme EFSF und ESM Milliardenkredite gewähren. Diese Euro-Rettungsfonds verlangen keine Sicherheiten, selbst dann nicht, wenn solche zur Verfügung stünden: So ist Griechenland und Spanien Geld zur Rekapitalisierung von Banken zugeflossen. Die daraus entstehenden Aktien hätten diese Staaten an die Rettungsschirme verpfänden können, doch wurde dies nicht einmal verlangt (JF 36/13).

Ist eine Forderung gefährdet, muß der Gläubiger entsprechend abschreiben, damit er nicht in seinen Bilanzen Vermögen ausweist, das nicht mehr vorhanden ist. Das internationale Bilanzrecht verlangt einen „Impairment Test“, wenn Forderungen bewertet werden müssen. EFSF und ESM müßten also Darlehen ganz oder teilweise abschreiben. Soweit noch griechische Staatsanleihen im Markt umlaufen, werden sie nur noch mit 44 Prozent ihres Wertes gehandelt.

In den Abschlüssen per 31. Dezember 2012 und 30. Juni 2013 erfolgten aber keine entsprechenden Abschreibungen. Die Fonds und das Bundesfinanzministerium argumentieren, Abschreibungsbedarf bestehe nicht, weil man diese Forderungen bis zur Endfälligkeit halten werde – obwohl Forderungen gegen Griechenland ausweislich des eigenen Jahresabschlußberichts der EFSF von Ratingagenturen als voraussichtlich nicht eintreibbar bewertet werden. Der erste Rettungsfonds EFSF ist zudem nur eine kleine luxemburgische Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 38 Millionen. Schon geringe Abschreibungen würden deren Eigenkapital aufzehren und die Insolvenz auslösen (JF 29/13).

Gleichwohl halten die Euro-Retter an ihrer These fest: Sie lassen die „Endfälligkeit“ einfach nicht eintreten, indem sie solche Forderungen immer weiter verlängern: Die Laufzeit von Forderungen gegen Griechenland ist inzwischen um 15 Jahre bis 2042 aufgestockt worden. Die „Verlängerung“ ist aber gerade der Beweis dafür, daß das Empfängerland gegenwärtig zahlungsunfähig ist. Es ist ein Gangsterstück, die Abschreibung uneintreibbarer Forderungen auf diese Weise zu vermeiden und dadurch die eigene Bilanz zu fälschen mit entsprechenden Folgen auch für die Landeshaushalte. Griechenland wurden außerdem Zinsen für EFSF-Kredite auf zehn Jahre gestundet. Das ist ebenfalls ein Beweis dafür, daß Griechenland insolvent ist.

Auch die Refinanzierung der Rettungsfonds widerspricht allen Bankregeln. Ihre kurze Laufzeit widerspricht der langen Laufzeit der herausgegebenen Kredite, was zur plötzlichen Zahlungsunfähigkeit von EFSF und ESM führen kann, wenn sie keine Anschlußfinanzierung finden. Solche Situationen waren die Mitursache der jüngsten Weltfinanzkrise. Weil sie schon jetzt nicht mehr ausreichend Kreditgeber finden, sind die Fonds dazu übergegangen, den Pleitestaaten nicht Euro zu überweisen, sondern ihnen selbstgeschaffene „Schuldverschreibungen“ als „Darlehen“ zur Verfügung zu stellen, aus denen sie dann aber schließlich selbst haften.

Es kommt aber noch schlimmer: Die Rettungsfonds verschieben nicht nur die Fälligkeit gewährter Darlehen, sondern sie gewähren weiter zusätzliche Darlehen. Das dürfte sich niemand, der fremdes Geld verwaltet, erlauben. Griechenland wurde von der EFSF sogar das Geld geliehen, um dessen Beiträge zum ESM-Rettungsfonds zu finanzieren.

Die Euro-Rettungspolitik besteht daher vor allem darin, alle für Kredite geltenden Grundsätze auf den Kopf zu stellen und so absolut unvertretbare Risiken einzugehen, wobei das Ganze auch noch einen Bruch des Lissabon-Vertrages darstellt. Der Wahlsieg von Angela Merkel ist deshalb nur dadurch zu erklären, daß diese von ihr betriebene Politik aus dem Wahlkampf herausgehalten wurde. Es ist ihr buchstäblich gelungen, Millionen von Wählern davon zu „überzeugen“, daß zwei mal zwei fünf ist. In den kommenden Monaten wird sich allerdings herausstellen, daß diese Art „demokratischen Mathematikunterrichts“ verheerende Folgen haben wird.

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