© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Kreuzritter waren keine Barbaren
Der Religionssoziologe Rodney Stark wirft ein anderes Licht auf die mittelalterlichen Kreuzzüge
Karlheinz Weissmann

Das erste Buch, das ich als Heranwachsender über die Kreuzzüge las, stammte von dem französischen Historiker René Grousset. Es trug den Titel „Das Heldenlied der Kreuzzüge“. Groussets Arbeit war in der Nachkriegszeit relativ bekannt, seine Vorstellung, daß die Kreuzritter Helden waren, zwar nicht unbestritten, aber verbreitet. Das galt nicht nur für katholische Kreise, sondern auch für viele Briten, Franzosen, Belgier, die die Kreuzzüge als Teil ihrer nationalen Identität und Herrscher wie Richard Löwenherz, Ludwig IX. oder Gottfried von Bouillon als unbestrittene Vorbilder betrachteten; selbst in den USA war die Konnotation positiv, hatte Eisenhower den Kampf gegen NS-Deutschland einen „Kreuzzug für die Freiheit“ genannt.

Man sollte sich diesen Sachverhalt gelegentlich klarmachen, um zu begreifen, daß die Kulturrevolution der sechziger Jahre nicht nur die Zeitgeschichte in Mitleidenschaft gezogen hat, sondern auch das Verständnis weiter entfernter Epochen. Daß es unter dem Einfluß des Materialismus üblich wurde, den Kreuzrittern als einziges Motiv Beutegier zu unterstellen, bildete nur einen Aspekt der Umdeutung, den anderen jene einflußreicher werdende Islamophilie, die die arabische Sicht auf die Dinge eins zu eins übernahm und in den Kreuzzügen nur mehr eine unmotivierte Aggression und einen Vorläufer des westlichen Imperialismus sah.

Angesichts dieser bis heute ungebrochenen Tendenz ist es bemerkenswert, wenn Wissenschaftler wieder die ursprüngliche Interpretation aufgreifen. So jedenfalls der amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark mit seinem Buch „Gottes Krieger“. Der Untertitel „Die Kreuzzüge in neuem Licht“ verspricht allerdings mehr, als das Buch halten kann. Denn vieles von dem, was Stark zu sagen hat, gehörte zu den Selbstverständlichkeiten der traditionellen Auffassung. Das gilt für die notorische Bedrohung der christlichen Welt des Orients wie des Okzidents durch den Islam genauso wie für die neue Situation, die durch das Vordringen der Türken entstand, und die Rolle, die die Angriffe der Muslime auf Byzanz im 11. Jahrhundert spielten.

Die Tatsache, daß der Kreuzzugsaufruf Urbans II. von 1095 nicht unmotiviert war oder allein aus innerkirchlichen Gründen oder praktischen Erwägungen zustande kam, mußte ebenfalls nur wiederentdeckt werden. Die meisten Fakten, die Stark bietet, sind jedenfalls seit langem bekannt. Das gilt auch für die ganze weitere Entwicklung, die er schildert, von der Anwerbung der Kreuzfahrer über die Katastrophe des „Kreuzzugs der Armen“, den latenten Konflikt mit Ostrom, die militärischen Erfolge und Mißerfolge auf dem bis dahin unbekannten Terrain in „Übersee“, die Errichtung der „lateinischen“ Fürstentümer, die Rolle der neuen Ritterorden, den Versuch der Expansion und dessen Scheitern bis zur Unmöglichkeit, die gewonnene Position gegen den wachsenden islamischen Druck zu halten.

Deutlich über die älteren Positionen hinaus geht eigentlich nur Kapitel 3 des Buches. Denn das, was Stark hier unter der Überschrift „Abendländische ‘Ignoranz’ versus morgenländische ‘Kultur’“ schildert, dürfte die meisten Illusionen über die Märchenwelt von al-Andalus oder die Bedeutung der arabischen Tradition des antiken Erbes in Frage stellen. Stark gesteht zwar zu, daß die Überlieferung von Literatur und Philosophie, astronomischer oder medizinischer Kenntnisse bemerkenswert war, verweist aber darauf, daß Ägypten, der Maghreb und Spanien nach der muslimischen Eroberung drastische Rückschläge auf dem Gebiet der Technik erlitten, daß aus diesen Gebieten zum Beispiel das Rad verschwand, obwohl es vorher sehr wohl bekannt und gebräuchlich war, daß den Arabern weder die fortgeschrittenen landwirtschaftlichen Anbaumethoden (Dreifelderwirtschaft, schollenbrechender Pflug) noch die Nutzung schwerer Pferde bekannt war, daß sie sowohl in bezug auf die Militär- wie die nautische Technik den Europäern unterlegen blieben. Ein Sachverhalt, der auch beachtet werden muß, um jenen „Untergang des Morgenlandes“ (Bernard Lewis) zu verstehen, der den Verfall der arabischen und osmanischen Welt seit dem 17. Jahrhundert bestimmte.

Die Korrektur verbreiteter Irrtümer ist aus Starks Sicht aber nur ein Nebenaspekt, in der Hauptsache geht es ihm darum, das Feindbild zu bekämpfen, das die islamische Welt unter dem Begriff „Kreuzritter“ entworfen hat und das die nichtislamische Welt aus schlechten Gründen akzeptiert. Dagegen stellt der Verfasser bündig fest: „Die Kreuzzüge fanden nicht ohne vorhergehende Provokationen statt. Sie wurden nicht wegen Land, Beute oder aus Bekehrungsabsichten geführt. Die Kreuzritter waren keine Barbaren, die die kultivierten Muslime schlecht behandelten. Sie glaubten ernsthaft, daß sie Gottes Bataillonen dienten.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Rodney Stark: Gottes Krieger. Die Kreuzzüge in neuem Licht. Verlag Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2013, gebunden, 400 Seiten, 22,95 Euro

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