© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Unser Reichtum wird verfeuert
Braunkohle soll Atomkraft ersetzen / Sorben, Grüne und Umweltaktivisten gegen neue Tagebaue in der Lausitz
Paul Leonhard

Vor zwei Jahren beschloß der Bundestag mit überwältigender Mehrheit von Union, SPD, FDP und Grüne den beschleunigten Atomausstieg: Die sieben ältesten AKW, die nach der Atomkatastrophe von Fuku­shima vorläufig abgeschaltet wurden, sowie der Pannenreaktor Krümmel durften nicht mehr ans Netz zurück. Die neun verbleibenden Kernkraftwerke sollen bis 2022 schrittweise folgen. Doch woher soll Strom statt dessen kommen?

Aus den Erneuerbaren Energien, heißt die teure (Stichwort: EEG-Umlage, JF 39/13) politische Antwort. Doch weder Wind- noch Solarstrom sind grundlastfähig, sondern von Wetterkapriolen abhängig. Die praktische Antwort lautet: Kohleverstromung. Und da der subventionierte Steinkohlenbergbau in Deutschland 2018 beendet werden soll, bleibt nur der Kohleimport – oder der Ausbau der Braunkohleförderung. Voriges Jahr wurden 185,4 Millionen Tonnen in Deutschland abgebaut. Daraus wurden etwa 40 Prozent der deutschen Primärenergie gewonnen– trotz aller Diskussion um das sogenannte Klimagas CO2, das dabei entsteht.

Immerhin 62,5 Millionen Tonnen der Rohbraunkohle stammten aus dem Lausitzer Revier – und das wird zum Problem. Denn neben Greenpeace & Co. kämpfen auch die in Brandenburg und Sachsen lebenden Sorben (Wenden) gegen eine Erweiterung der Tagebaue in der Lausitz. Um das Abbaggern weiterer Dörfer in ihrem Siedlungsgebiet zu verhindern, will die slawische Minderheit alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen: „Es sollte nicht vergessen werden, daß hier bereits 16 Ortschaften dem Braunkohlegigantismus zum Opfer gefallen sind, ein gesellschaftlich unwiederbringlicher Reichtum ist verfeuert worden“, heißt es in der von Měto Nowak unterzeichneten Stellungnahme des Domowina-Verbandes Niederlausitz zum Entwurf des Braunkohleplanes. Der Bundesvorstand der Minderheitenvertretung Domowina hat sich dem Protest erstmals angeschlossen und sich damit klar gegen die Braunkohlepläne der brandenburgischen und sächsischen Landesregierungen positioniert. Eine Weiterführung der Tagebaue Welzow-Süd und Nochten wird abgelehnt.

Weil die Landespolitiker die zuvor schwammigen Formulierungen der Sorben uminterpretierten, gibt es jetzt klare Worte: Es sei falsch, wenn im Braunkohleplan geschrieben werde, daß die Domowina eine Umsiedlung befürworte und sich der Verband vorrangig mit den Rahmenbedingungen für eine Umsiedlung beschäftige, stellte Nowak klar.

Besonders empört ihn, daß auf Seite 58 suggeriert werde, daß „aus sorbisch/wendischer Sicht eine Umsiedlung wünschenswert wäre, weil dies den Proschimern helfen würde, ihre sorbisch/wendischen Wurzeln zu stärken“. Dabei lasse sich gerade am Beispiel der Ortschaft Proschim (Prožym) nachweisen, daß hier gegen das von der Verfassung garantierte „Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhalt und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebieten“ verstoßen werde und allein die Effizienz der Braunkohlegewinnung im Vordergrund stehe.

Die Domowina hat sich ihre Entscheidung nicht einfach gemacht. Sorgfältig wurden die Argumente Betroffener als auch die der Braunkohle-Befürworter abgewogen. Um so eindeutiger ist der Beschluß, der den mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkohle im sorbischen Siedlungsgebiet fordert. Die Domowina verweist auf die Sozialstaatklausel, internationale Verpflichtungen des Minderheitenschutzes und den Schutz der Menschenwürde. Die Dörfer seien „unikate und irreparable Mosaiksteine im Gesamtensemble einer zu schützenden und zu fördernden autochthonen Minderheit in Brandenburg“.

Auch die Unverzichtbarkeit der Lausitzer Braunkohle für eine stabile Stromversorgung werde immer fraglicher, entgegnen die Sorben unter Verweis auf eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) über die „Abnehmende Bedeutung der Braunkohleverstromung“ (DIW Wochenbericht 48/12). „Die planerisch genehmigten Abbaumengen reichen in allen Braunkohlerevieren aus, um die bestehenden Kraftwerke bis ans Ende ihrer Lebensdauer zu versorgen“, heißt es darin. Zudem würden die Standorte „ungünstig liegen und neue Kraftwerke in diesen Regionen kaum zur künftigen Lastdeckung beitragen“, da diese vor allem in Süddeutschland benötigt würde.

„Die Behauptung im Planentwurf, daß eine Versorgungslücke bis zum Jahr 2030 entstehen könnte, ist gewagt und voller Risiken“, heißt es in der Domowina-Stellungnahme. Somit sei der Plan „eher ein Wunschtraum der Braunkohle­lobby und ihrer Profiteure“. Zu diesen zählen mehrere SPD-Politiker, die im Aufsichtsrat von Vattenfall Europe Mining sitzen, jenem Tochterunternehmen des schwedischen Staatskonzerns, das seit der „Privatisierung“ den nordostdeutschen Energiemarkt beherrscht.

Obwohl das DIW eine Anpassung des sächsischen Energiekonzepts nahelegt, hält Ministerpräsident Stanislaw Tillich, selbst ein Sorbe, unbeirrt an den geplanten Tagebauerweiterungen fest. „Wir brauchen die Braunkohle als stabilen Partner der erneuerbaren Energien noch langfristig, wenn die Kernkraftwerke bis 2022 vom Netz gehen“, sagte der Christdemokrat der Freien Presse.

Sollte der Regionale Planungsverband Oberlausitz-Niederschlesien dieser Argumentation folgen und für die von Vattenfall geforderte Erweiterung des Tagebaus Nochten II stimmen, dann wollen die Sorben mit ihrem heimatlichen Anliegen notfalls bis zur Uno gehen.

Doch wie bei der Anti-Atom-Bewegung springen inzwischen auch weniger geduldsame Berufsaktivisten auf das konservative Umweltthema auf: Während in Dresden Mitte September einige hundert Menschen friedlich gegen eine Erweiterung des Tagebaus Nochten II demonstrierten, konnten Proteste vor dem brandenburgischen Kraftwerk Schwarze Pumpe erst durch die Polizei beendet werden. Dort hatten sich Greenpeace-Aktivisten an Eisenbahngleise gekettet und so stundenlang die Kohlebelieferung verhindert.

Argumente für Braunkohle: www.braunkohle.de

Argumente gegen Braunkohle: www.braunkohle.info

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