© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Rückkehr nach Maastricht
Euro-Krise: Der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank will die Währungsunion erhalten – aber nur zu den ursprünglich versprochenen Bedingungen
Christoph Braunschweig

Die meisten Bücher zur Euro-Krise lassen sich schon nach den ersten Seiten einem Lager zuordnen – entweder dem der vehementen Befürworter der Einheitswährung oder dem der Kritiker. Daß das Buch über „Europas unvollendete Währung“ einen Mittelweg versucht, stellt Autor Thomas Mayer schon in der Einleitung klar: „Mein Herz als Europäer schlägt für die Wirtschafts- und Währungsunion von Europa; aber mein rationales volkswirtschaftliches Denken sträubt sich beharrlich gegen diese Projekt.“

Das Sowohl-Als-auch durchzieht auch Mayers Biographie: erst Wissenschaftler am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, dann beim Internationalen Währungsfonds in Washington. Danach der Wechsel in die Privatwirtschaft, zu Goldman Sachs in London, schließlich bis 2012 Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Frankfurt. Differenziert ist auch sein Fazit der vorangegangenen Währungsunionen: Die lateinische wie die skandinavische Münzunion scheiterten, ebenso die sowjetische Rubel-Zone. Die Währungsunionen der USA und der Schweiz sind aus seiner Sicht hingegen Erfolgsgeschichten.

Breiten Raum nehmen die detaillierte Entstehungsgeschichte des Euro sowie die Gründe für seine Krise ein. Mayer beschreibt, was beim Euro bisher alles schiefgegangen ist, und er erklärt anschaulich die von Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn ins Bewußtsein gerückte Problematik der Target-2-Salden. Mayer legt dabei gleichzeitig überzeugend dar, warum es in den kommenden Jahren zu einem Kollaps kommen wird, sollten die Euro-Probleme jetzt nicht überzeugend angegangen werden. Obwohl die wirtschaftlichen Vorteile der EU-Währungsunion für Deutschland eher gering seien und sich der Euro letztlich nur rein politisch rechtfertigen lasse, ist Mayer kein Euro-Gegner: „Ich glaube, daß der Euro funktionieren kann, aber nur wen wir seine von Anfang an fehlerhafte Konstruktion neu und richtig aufsetzen.“ Sein stärkstes Argument für den Euro ist die Größe des Währungsgebietes, die ein Gegengewicht zum US-Dollar ermögliche und somit einzelnen Staaten sogar zu mehr Entscheidungsspielräumen verhelfe, als sie durch den Euro verlören.

In einer Welt internationaler Kapitalmobilität seien die Einzelstaaten aufgrund geringerer Währungsreserven ständig damit befaßt, den Aufwärts- oder Abwärtsdruck auf ihre Wechselkurse gegenüber den Währungen größerer Schwellenländer, den jeweils anderen europäischen Währungen oder dem US-Dollar abzuwehren. Und eine Krise des US-zentrierten Währungssystems ist seiner Meinung nach durchaus zu erwarten. Mayer entwickelt daher Lösungsansätze für die Politik, den Euro zu erhalten.

Die einzig realistische Option ist demnach die Rückkehr zum ursprünglichen Entwurf der EU-Währungsunion, wonach jedes Land für seine Finanzen selbst verantwortlich ist. Die Europäische Zentralbank (EZB) müsse sich – wie einst die Bundesbank – ausschließlich um die Preisstabilität kümmern. Da ein politischer EU-Zusammenschluß à la USA unrealistisch sei, könne die Währungsunion daher nur überleben, wenn die bestehende Finanzarchitektur weiterentwickelt werde und im Euro-Raum in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik staatsähnliche Strukturen aufgebaut würden.

Mayer orientiert sich dabei am historischen Vorbild der USA Mitte des 19. Jahrhunderts, wo eine funktionierende Föderation souveräner Staaten entstand. Zu seinem Lösungsmodell gehören ein Euro-Finanzminister mit Durchgriffsrechten auf die nationalen Haushalte, dauerhafte – aber begrenzte – Transferzahlungen, eine EZB mit dem Recht, marode Banken abzuwickeln oder zu restrukturieren sowie der Einstieg in die Emission von Euro-Bonds.

Aber anders als bei linken Euro-Bonds-Befürwortern setzt Mayer die strikte Einhaltung der ursprünglichen Maastricht-Kriterien voraus: Kein Bail-out – auch nicht um den Preis eines Staatsbankrotts –, sondern notfalls Austritt aus der Währungsunion, nicht jedoch aus der EU als Ganzes. Mayer fordert eine unpolitische EZB, die keine Staatsfinanzierung betreibt, und ein starkes politisches Zentrum, aber keine europäische Regierung mit umfassender Macht und üppigen finanziellen Mitteln.

Erst recht nicht fordert er den Untergang des souveränen Nationalstaates. Sein Vorschlag beinhaltet, neben einer tatsächlich unabhängigen EZB, unter anderem einen europäischen Währungsfonds (EWF) als weiterentwickelten Rettungsfonds ESM. Der EWF überwacht dabei die jeweilige nationale Wirtschaftspolitik, bietet illiquiden Staaten Anpassungshilfen und führt eine geordnete Umschuldung insolventer Regierungen und Banken durch.

Ein effektives europäisches Finanzaufsichtssystem soll für die notwendige Finanzarchitektur sorgen und ein gemeinsames Einlagensicherungssystem verwalten. Diese Institutionen müßten eng miteinander kooperieren, die Zentralbank gewissermaßen ummanteln, damit diese nicht mehr unter Druck gerät, Staatsschulden zu monetarisieren bzw. die Notenpresse anzuwerfen. Durch eine solche Weiterentwicklung könne das Euro-Experiment doch noch gelingen.

Doch die Politik wird die Möglichkeit eines Staatsbankrotts im Euro-Raum kaum akzeptieren, sie will den Euro vor allem durch mehr Zentralplanwirtschaft und Ausschaltung des Marktes retten. Aber selbst im Falle einer „handwerklich“ vernünftigen Währungsunion à la Mayer droht wegen der enormen Staatsverschuldung jederzeit ein „sudden death“: Seit Beginn der Währungsunion haben sich die Staatsschulden auf 9,5 Billionen Euro verdoppelt; damit sind sie bald so hoch wie die gesamte Jahreswirtschaftsleistung.

Deshalb müßte zunächst über geeignete Verfahren zum Schuldenabbau befunden werden. Und das Beispiel Italien mit seinem wirtschaftlich starken Norden und dem schwachen Süden zeigt, daß selbst ein politischer Zusammenschluß keinen Erfolg verspricht, wenn die Unterschiede in Kultur und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit einfach zu groß sind. In einer Transferunion mit Euro-Bonds drohen italienische Verhältnisse für den ganzen Euro-Raum: Stagflation, Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und sinkender Wohlstand.

Da die Währungsunion grundsätzlich der wirtschaftlichen Vernunft widerspricht, großes soziales Leid verursacht und das friedvolle Zusammenleben Europas gefährdet, könnte ein geordneter Ausstieg aus der Währungsunion mit einer Rückkehr zu einem System anpassungsfähiger Wechselkurse im Endeffekt doch die grundsätzlich bessere Alternative sein. Auch Mayer hat zwei Alternativszenarien parat: Sollte die Euro-Zone zur „Weichwährungsunion“ mutieren, könnten sich die relativ soliden Euro-Länder für eine parallele „virtuelle Hartwährungsunion mit Deutschland als Mittelpunkt“ entscheiden. Der Euro bliebe dennoch als Bargeld weiter im Umlauf. Die zweite Variante wäre der Austritt aller Budgetsünder, also die Reduzierung der Euro-Zone auf eine Hartwährungsunion – aus politischen Gründen „vermutlich unter Einbeziehung Frankreichs“.

Christoph Braunschweig ist Professor der Staatlichen Wirtschaftsuniversität Jekaterinburg. Der Schüler von Friedrich A. von Hayek ist Autor zahlreicher Fachbücher.

Thomas Mayer: Europas unvollendete Währung: Wie geht es weiter mit dem Euro? Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2013, 240 Seiten, gebunden, 19,90 Euro

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