© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Fragwürdige Geschäfte
Sexualaufklärung für Kinder: Ihre Unterstützung für höchst umstrittene Projekte rückt die Beratungsgesellschaft Pro Familia in kein gutes Licht
Hinrich Rohbohm

Ist die Pädophilie-Debatte bei den Grünen nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs? Während die Republik über die Untaten prominenter Öko-Politiker wie Daniel Cohn-Bendit, Volker Beck oder Jürgen Trittin diskutiert, gelangen immer neue Details über die bis in die Gegenwart andauernde menschenverachtende Sexualideologie der 68er-Bewegung an das Licht der Öffentlichkeit.

Seit langem sorgt ein sogenanntes Aufklärungsbuch für Kinder ab fünf Jahren unter teilweise geschockten Eltern für Diskussionsstoff. Denn ob die in dem Buch „Wo kommst du her?“ enthaltenen Illustrationen noch kindgerecht sind oder bereits die Grenze zur Pornographie überschritten haben, gilt als umstritten. Ein erigierter Penis, über den „Lisa“ ihrem Partner „Lars“ ein Kondom streift. Detailgenaue Beschreibung und Bebilderung des Geschlechtsakts inklusive Orgasmus. Nicht wenigen Eltern geht das entschieden zu weit, kommt für ihre Kleinen als Aufklärungsmaßnahme entschieden zu früh.

„Ab fünf Jahren?“ ist die ungläubige Frage, die Eltern sich auch bei Diskussionen im Internet darüber stellen. „Meine Tochter ist sechs Jahre alt, ich würde ihr aber das Buch weder zeigen noch vorlesen. Und das, obwohl ich mich nicht zu den konservativen Menschen“ zähle, schreibt ein Vater über das Werk auf der Online-Plattform Amazon.

An einer Grundschule in Berlin-Kreuzberg, an der das Buch bereits angeschafft, aber noch nicht zum Einsatz gekommen war, hatte es zu Schulbeginn Proteste gegen diese Form der „Aufklärung“ gegeben.

Dabei ist das Buch nicht neu. Bereits 2002 herausgegeben, ist es offenbar auch für die Kleinen in Kindergärten zugänglich. „Unsere Tochter (5) hat das Buch über die Kita aus der Bibliothek ausgeliehen. Es hat ihr etliche Fragen beantwortet, die sie sich bis dahin noch nicht gestellt hatte. Monatelang danach meinte sie, sie möchte später keine Kinder, das tue ja weh“, schrieb sich eine Amazon-„Kundin“ bereits im Dezember 2010 ihren Unmut darüber von der Seele. „Muß eine Fünfjährige so detailliert Bescheid wissen, wie es in diesem Buch beschrieben wird? Wir sind wahrlich nicht prüde und für frühzeitige Aufklärung, aber dieses Buch hat unsere Tochter komplett überfordert“, empört sie sich.

Empfohlen wird „Wo kommst du her?“ von Pro Familia (siehe Infokasten) „Dieses Buch kannte ich bisher noch nicht“, erklärt Klaus Günter Annen. Annen, ein Lebensrecht-Aktivist, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit einer ganzen Reihe äußerst fragwürdiger Buchempfehlungen durch die von Bund, Ländern und Kommunen mit reichlich Zuschüssen versehene Gesellschaft. Seine über Jahre zusammengetragenen Dokumente über Pro Familia hat er mit akribischer Ordnung in Klarsichthüllen gepackt und in Aktenordnern geheftet.

„Das Zeigen eines erigierten Penis an Fünfjährige könnte rechtlich auch als Verbreitung von Pornographie bewertet werden“, meint er beim Durchblättern des Buches. Aber die Staatsanwälte ließen so etwas regelmäßig mit der Begründung durchgehen, daß dies der Aufklärung diene. „Die Staatsanwaltschaften lassen sich von den Jugendämtern beraten“, erklärt Annen. Die wiederum würden sich an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wenden. „Die Prüfstelle kann eine Schrift indizieren. Tut sie das nicht, gibt es auch kein Strafverfahren“, schildert Annen seine Erfahrungen.

„Wer arbeitet in den Jugendämtern, was sind das für Leute? Wer sitzt in der Prüfstelle?“ fragt er sich und fordert mehr Wachsamkeit der Politik bezüglich der personellen Besetzung dieser Institutionen. Rechtsgrundlage für jugendgefährdende Medien ist Paragraph 18, Absatz 1, Satz 1 des Jugendschutzgesetzes, wonach jugendgefährdendes Material auf einer Liste, den sogenannten indizierten Medien, zu führen ist. Doch die Auslegung des Paragraphen erfolge nach der ständigen Spruchpraxis der Prüfstelle.

„Aufklärungsbücher“ wie „Wo kommst du her?“, die in Schulen und Kindergärten Einzug halten, kennt Klaus Günter Annen reichlich. Viele davon seien von Pro Familia empfohlen worden. Unter anderem „Lieben, kuscheln, schmusen – Hilfen für den Umgang mit kindlicher Sexualität“, das von Pro Familia beworben und zum Verkauf angeboten wurde. In ihm werden Erzieher sogar dazu aufgefordert, alle Kinder des Kindergartens nackt auszuziehen und mit ihnen sogenannte Po-Spiele durchzuführen. Dabei sollen Oberkörper und Köpfe mit Bettlaken abgedeckt werden, während ein Kind erraten muß, welcher Po zu welchem Kind gehört. Zudem sind Anleitungen zum gegenseitigen Beriechen der Genitalien enthalten sowie die Aufforderung an die Kinder, Nacktbilder von zu Hause mitzubringen, um daraus Memory-Spiele anzufertigen.

In „Lieben, kuscheln, schmusen“ ist auch eine Empfehlung des 1974 erstmals erschienenen Buches „Zeig mal!“ enthalten. „Die Erstausgabe von ‘Zeig mal!’ ist heute in pädophilen Kreisen sehr begehrt“, sagt Annen. Preise zwischen 300 und 400 Euro würden in der Pädo-Szene dafür aufgerufen. Nachdem Vorwürfe des sexuellen Mißbrauchs und der Kinderpornographie laut geworden waren, sei das Buch später umgeschrieben und entschärft worden.

Mehrere Indizierungsanträge gegen „Zeig mal!“, das ebenfalls von Pro Familia als Aufklärungsbuch empfohlen worden war, wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften abgelehnt. Erst als die Junge Union Wuppertal sowie das Jugendamt Frankfurt 1996 erneut Indizierungsanträge stellten und auch Medien das Buch zu thematisieren begannen, wurde es vom Markt genommen.

Das Vorwort dazu stammt von dem 2008 verstorbenen Psychologen Helmut Kentler, der 20 Jahre lang als Professor für Sozialpädagogik an der Universität Hannover wirkte. In den siebziger Jahren galt der bekennende Homosexuelle als „Guru der sexuellen Revolution“ (Die Zeit) und als „Papst der Sexualpädagogik“ (taz).

Erst vor drei Wochen hatte die taz berichtet, daß die West-Berliner Senatsverwaltung für Jugend Ende der sechziger Jahre minderjährige Heimausreißer an pädophile Männer vermittelt hatte. Sex zwischen Schutzbefohlenen und Betreuern habe zum pädagogischen Konzept gehört und die Jugendlichen stabilisieren sollen. Dieser „Feldversuch“ sei von Kentler angeleitet und der SPD-geführten Behörde „stillschweigend genehmigt“ worden. Der derzeit die Pädophilie-Verstrickungen der Grünen aufarbeitende Politikwissenschaftler Franz Walter bezeichne Kentler als „Schlüsselfigur“ der damaligen Debatte über die „sexuelle Gleichberechtigung von Homosexuellen und Pädophilen“, schreibt das Blatt, das noch fünf Jahre zuvor Kentler in einem Nachruf als „verdienstvollen Streiter für eine erlaubende Sexualmoral“ feierte.

Der Wissenschaftler war von 1979 bis 1982 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, gehörte darüber hinaus dem Beirat der Humanistischen Union an, die ihn nach seinem Tod als „Vorbild für öffentliche Wissenschaft“ und „Leuchtturm unseres Beirats“ pries.

Klaus Günter Annen hatte Ende der neunziger Jahre das Bundesfamilienministerium auf das Buch „Lieben, kuscheln, schmusen“ aufmerksam gemacht. Im Februar 1998 erhielt er ein Antwortschreiben.

„Mit Ihnen bin ich der Auffassung, daß die zitierten Textbeispiele und aufgeführten Spielvorschläge geschmacklos sind und absolut ungeeignet für die Sexualaufklärung im Kindergarten“, hatte ihm das Ministerium mitgeteilt. Da aber nicht der vom Bund bezuschußte Bundesverband von Pro Familia der Herausgeber sei, sondern ein untergliederter Landesverband, sei man dafür nicht zuständig, hatte es in dem Schreiben geheißen. Mitautorin des Buches ist Beate Martin von Pro Familia in Münster, die darüber hinaus als Mitarbeiterin und Ausbilderin am Institut für Sexualpädagogik Dortmund (ISP) wirkt.

Übrigens – das Buch „Wo kommst du her?“ enthält ein Vorwort des ehemaligen Pro-Familia-Mitarbeiters Martin Kessel. Der Sexualpädagoge war Geschäftsführer der Pro Familia Vertriebs GmbH & Co KG, die vom Bundesverband, den Landesverbänden sowie dem hessischen Förderverein von Pro Familia ins Leben gerufen worden war. Pro-Familia-Mitglieder und Sympathisanten stiegen als Kommanditisten ins Unternehmen ein, das Kessel später übernehmen und in Kessel Marketing & Vertriebs GmbH umbenennen sollte. Die Firma verkauft Sexartikel, Kondome, Spiralen, Gleitmittel. Auch sogenannte Aufklärungsmedien wie Plakate, Videos, Bücher und Verhütungsmittelkoffer bietet die Gesellschaft zum Verkauf an.

Ein lohnendes Geschäft. Die Produkte finden in Beratungsstellen, Drogerien, Apotheken, bei Ärzten, Schulen und Hochschulen, Jugendeinrichtungen, Automatenaufstellern sowie Privatpersonen ihre Abnehmer.

Zudem gründete Kessel die inzwischen wieder aufgelöste Firma Contragest GmbH, über die er die Vertriebsrechte an der Abtreibungspille Mifegyne erworben hatte. Kurze Zeit später sollte sich der Vergütungssatz für die Pille erhöhen. Daß Ärzte dadurch eher gewillt seien, sie einzusetzen, davon ist Annen ebenso überzeugt wie davon, daß Kessels langjährige Kontakte zu Pro Familia sich bei der Vergütungssatz-Erhöhung als äußerst nützlich erwiesen haben dürften.

Sonja Härdin: Wo kommst du her? Loewe-Verlag, 2. Auflage, Bindlach 2007, gebunden, 36 Seiten, 7,90 Euro

 

Pro Familia

Pro Familia ist ein gemeinnütziger Verein, der mit Mitteln des Bundes, der Länder und Kommunen öffentlich gefördert wird. Der Verein wurde im Jahr 1952 gegründet. Dessen Gründungsvorsitzender, Hans Harmsen, war nicht nur ein Schüler des sozialdemokratischen Eugenikers Al-fred Grotjahn, sondern auch in Eugenik-Projekte des Nationalsozialismus involviert. Ebenfalls zu den Mitbegründern zählte Anne-Marie Durand-Wever, die als Vizepräsidentin fungierte. Unter anderem war Durand-Wever Ende der vierziger Jahre Bundesvorsitzende des aus antifaschistischen Frauenausschüssen hervorgegangenen Demokratischen Frauenbunds Deutschlands (DFD), der sich später zur Massenorganisation der SED entwickeln sollte. Pro Familia ist zudem eng mit dem linken Spektrum der SPD verbunden. Politisch linksaußen beheimatet ist zum Beispiel Gisela Notz, die von 2004 bis 2010 dem Verein vorstand. Fast 30 Jahre lang war Notz als wissenschaftliche Referentin im Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung angestellt. Als Redakteurin war sie in den Jahren von 1985 bis 1997 für die Zeitschrift Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis tätig, seit 2008 als Redakteurin für die linksradikale Zeitschrift Lunapark21. Überhaupt sieht sich Pro Familia als Vorkämpfer einer sexuellen Kultur, in der die „Irrationalität von Sexualität anerkannt und auch als kulturelle Bereicherung“ gesehen wird und in der „sexuelle Selbstbestimmung und damit auch Bestimmung über die eigene Fruchtbarkeit als wesentliches Merkmal sozialer Kompetenz“ gelten. Vor diesem Hintergrund bietet die Gesellschaft Beratungen zur Familienplanung und Schwangerschaft an. In einigen ihrer 160 Zentren werden zudem ambulante Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen.

 

Pädo-Vorwürfe gegen Pro Familia

Die Pädophilie-Debatte hat Pro Familia erreicht. Nach einem Bericht des Tagesspiegels finden sich im Pro-Familia-Magazin der achtziger und neunziger Jahre pädophilenfreundliche Texte. So habe der Soziologe Rüdiger Lautmann geschrieben, daß der „echte Pädophile“ mit den Kindern „außerordentlich vorsichtig“ umgehe, weshalb eine Schädigung des Kindes „sehr fraglich“ sei. Zudem forderte der Jurist Norbert Lammertz 1985 die Neuordnung des Sexualstrafrechts. Kontakte, die „mit dem Willen“ des Kindes zustande kämen und „gewaltfrei“ seien, sollten demnach nicht unter Strafe gestellt werden. In einer Stellungnahme teilte der Verein mit, daß eine „eindeutige Verurteilung des sexuellen Mißbrauchs“ an keiner Stelle in Frage gestellt worden sei.

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