© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Pankraz,
das reiche Essen und die arme Literatur

Vielleicht ist es ein bißchen lächerlich, macht den Beteiligten aber offenbar Spaß: das vorkritische Miteinander-essen-Gehen von Buchautor und Buchkritiker, mittlerweile auch schon als Neologismus in den modernen Sprachschatz eingegangen. „Kulinarische Print-Ouvertüre“ heißt das neue Wort, und die damit gemeinte Sache breitet sich vehement aus.

Noch bevor Rezensionen vorliegen oder gar das Buch selbst im Handel ist, verabredet sich der Kritiker mit dem Autor zum Mittag- oder Abendessen in einem möglichst originellen Speiselokal, um mit ihm über das Werk zu sprechen. Anschließend veröffentlicht er in seiner Zeitung einen fulminanten Artikel über das Treffen. Erst danach folgen die Rezensionen, und oft wird auch das Buch erst danach für die Öffentlichkeit zugänglich, kann vom Normalverbraucher in den Buchhandlungen gekauft werden.

Die kulinarische Print-Ouvertüre bietet im Vergleich zur Rezension so manchen Vorteil, zumindest für den Kritiker. Dieser kann sich viel mehr ausbreiten als in einer simplen Textkritik und widerlegt damit gleichzeitig das Klischee vom gnadenlosen Oberlehrer und Besserwisser, welches Kritikern so oft anhaftet. Er erweist sich hier ohne Anstrengung als charmanter Weltmann und Gourmet, der auch mal alle fünfe gerade sein läßt, und nebenbei macht er kräftig Reklame für bestimmte Restaurants, was ihm ja weiß Gott auch nicht schaden kann.

Für den Buchautor sieht das neue literarische Genre freilich ziemlich zwielichtig aus. Sicherlich, auch für ihn wird Reklame gemacht, er kommt zusätzlich in die Medien und wird für Auguren auffällig, die Stipendien und Förderpreise vergeben. Andererseits muß er wieder einmal die Erfahrung machen, daß sein „Eigentliches“, eben das Buch, zunehmend in den Hintergrund gerät, im Literaturbetrieb regelrecht verdunstet. Das deprimiert ihn und raubt ihm schöpferische Kraft.

Voller Kummer hat er während der letzten Jahre schon zusehen müssen, wie er und sein Werk hoffnungslos in die „gläserne Manege“ (Martin Walser) gerieten, wo ehrgeizige Kritiker ihn zum hilflosen Objekt literaturferner Talkshowspiele machten. Was er ablieferte, war für die Kritiker neuen Stils kein Original mehr, sondern gewissermaßen Rohmaterial, das er, der Kritiker, erst einmal aufbereiten und für den Betrieb kompatibel machen mußte. Nicht mehr der Autor, sondern der Kritiker stand nun im Mittelpunkt.

Er war es, der dafür sorgte, daß aus der „bloßen“ Literatur eine echte Show wurde. Der Autor seinerseits, der ursprünglich ins Rennen gegangen war, weil er glaubte, etwas Wichtiges zu sagen zu haben, verwandelte sich willig-allzuwillig in eine gezähmte Bestie oder in ein Tausendtalerpferd mit Superkruppe, das Männchen macht, oder aber in ein Zirkusäffchen, das unterm Grölen der Menge der „E-O-Kultur“ (ebenfalls Walser) zugeführt wurde; E für Ejakulieren, O für Orgasmus.

Mit dem Aufkommen der Kulinarischen Print-Ouvertüre wird die Gläserne Manege scheinbar entspannt, die kritikale Arroganz scheinbar in freundliches Miteinander umgewandelt. In Wirklichkeit aber vertieft sich die Misere. Die Distanz zwischen Buch und Bücherfreund nimmt noch einmal kräftig zu, indem nun der Literaturbetrieb insgesamt seiner literarischen Restsubstanz beraubt wird, sich in einen reinen Restaurantbetrieb verwandelt, mit dem Kritiker als Oberkellner und dem Autor als halbbarbarischen Eßkunden, dessen persönliche Geschmacksmacken man mit mildem Lächeln registriert.

„Zeige mir, was du schreibst, und ich sage dir, wer du bist“, behauptete einst voller Stolz von sich der Berliner Aufklärer und Großkritiker der Goethezeit Friedrich Nicolai. Aber kaum jemand kennt heute noch Nicolai. An seine Stelle ist Jean Brillat-Savarin (1755–1826) getreten, der berühmte Feinschmecker, Gastrosoph und Zeitgenosse Nicolais, über dessen Standardwerk „Die Psychologie des Geschmacks“ die Parole prangt: „Sage mir, was du ißt, und ich sage dir, wer du bist.“

Man erkennt den Wechsel vom Schreiben zum Essen etwa daran, wie die Berliner Welt in ihrer Literaturbeilage zur Buchmesse die Autoren Marion Poschmann und Mirko Bonné einführte, die beide auf die „Shortlist“ des diesjährigen Deutschen Buchpreises geraten waren. Natürlich ging man jeweils mit ihnen essen. Über Poschmann hieß es dann: „Sie ist nicht besonders groß, nicht besonders laut, sie kleidet sich eher unauffällig. Im Prenzlauer Berg, wo sie wohnt, ginge sie locker als eine ökobewußte Latte-macchiato-Mutter durch, wie sie zum Medienklischee geworden ist. Im ‘Kaffeeraum’, wo wir uns treffen, trinkt sie Tee.“

Über Bonné schrieb Tilman Krause: „Mittlerweile sind wir uns auch darüber klar, was wir im ‘Beira Rio’ essen wollen. Die Einrichtung hier ist zwar wohltuend unfolkloristisch, aber auf dem Teller und im Glas soll es nun doch zünftig portugiesisch zugehen. Ich finde zwar, daß die von Mirko Bonné bestellte vegetarische Paella eher spanisch anmutet, und kann auch bei meinen Hähnchenkeulen im Tontopf wenig Lusitanisches erkennen, aber der Dichter sieht das anders.“

Ob er auch andere Dinge anders sieht als sein potentieller Kritiker, ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Es kommt auch gar nicht mehr darauf an. Ein Autor, der nicht in der Lage ist, portugiesische Küche von spanischer zu unterscheiden, gibt von vornherein eine dubiose Figur ab. Armer Mirko Bonné! Er hätte wohl mehr auf Seneca hören sollen, bei dem sich einst das junge Dichtergenie Lucanus erkundigte, wie er sich beim Essen eines reichen Mäzens, zu dem er eingeladen war, erfolgsorientiert verhalten solle. Seneca erwiderte: „Eher mußt du darauf achten, mit wem du ißt, als was du ißt. Sonst fällst du schnell unter die Löwen und Wölfe.“

Aber Seneca ist ja bereits seit 2000 Jahren tot. Wer mag denn heute noch auf so einen hören, wo man doch schon die Berühmtheiten der „Shortlist“ vom letzten Jahr vollkommen vergessen hat!

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