© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Auch wenn man zugibt, daß eine Stellungnahme Christian Lindners zur Wiederkehr seiner Schopfesfülle in der Mediengesellschaft unvermeidlich war, bleibt die Intensität überraschend, mit der diese Haarfrage diskutiert wird. Es scheint doch eine politische Dimension zu geben, oder vielleicht sogar eine historische, zurück bis zu jenen Zeiten, als die Kraft Samsons davon abhing, daß er sein Haar ungeschnitten ließ, während der letzte Merowinger geschoren wurde, um seine Entmachtung anzuzeigen, man den Ottonen symbolisch das Haar kämmte bei der Inthronisation, der Kampf der Kavaliere gegen Puritaner auch einer von Langhaarigen gegen „Rundköpfe“ war und die Achtundsechziger ihren Protest ankündigten, indem sie sich eine „Mähne“ wachsen ließen.

Im September dieses Jahres wäre die Schauspielerin Romy Schneider fünfundsiebzig Jahre alt geworden. Aber man kann sie sich schwer als betagte Frau vorstellen. Das hat natürlich mit dem frühen Tod zu tun und der Menge der bekannten Fotografien, auf denen sie als Mädchen, junge und reifere Frau erscheint, aber auch mit der tiefen Traurigkeit, die sie zuletzt ausstrahlte und die in Bild und Ton festgehalten wurde, der umflorte Blick, der schleppende, immer vorwurfsvolle Duktus ihrer Sprache. Sie erweckte den Eindruck, als habe sie längst mit allem abgeschlossen, was wenigstens zum Teil die Bereitschaft erklärt, sich einer Welt hinzugeben, die nicht zu ihr paßte. Dabei konnte kein Dementi verdecken, daß das, was sie so forciert bejahte, zerstörerischer auf sie wirkte als die Last des frühen Erfolgs.

Im Vorfeld der Bundestagswahl hat sich die Zeitschrift Psychologie heute Gedanken über die Seelen- und Charakteranlagen von Linken und Rechten gemacht. Das meiste, was man da liest, ist erwartbar, etwa daß Linke unordentlicher sind und Rechte gewissenhafter, daß Linke eher zu Spontaneität neigen und Rechte nicht. Eine Behauptung erscheint dagegen wenig plausibel: Sollte es stimmen, daß Linke intelligenter sind als Rechte, was sich etwa an unkonventionellen Meinungsäußerungen und Unangepaßtheit zeige, dann müßten die Parameter neu geeicht werden, denn wenn heutzutage etwas unkonventionell und unangepaßt ist, dann das Vertreten rechter Positionen.

Bildungsbericht in loser Folge XXXXIV: Ute Frevert ist Historikerin, und zwar eine erfolgreiche, sie gehört zu jener Kohorte weiblicher Geisteswissenschaftler, die seit dem Ende der 1980er Jahre die Lehrstühle zu besetzen anfing, und sie hat eine Menge publiziert, immer im Mainstream – anfangs eher sozialgeschichtlich, dann frauengeschichtlich oder mentalitätsgeschichtlich. Aus irgendwelchen Gründen ist die Historikerin Frevert 2008 zur Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ernannt worden – Bereich „Geschichte der Gefühle“ –, womit sie automatisch zur „Bildungsforscherin“ mutierte, jedenfalls nach Meinung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die uns dann auch gleich im Wirtschaftsteil mit der Haupteinsicht der Expertin erfreut: „Wir brauchen das Gymnasium für alle“.

Wenn man in den Reihen der Unionsführung angesichts der verfahrenen Lage nervöser wird und davon spricht, es dürfe keine demokratisch legitimierte Partei rechts der Union geben, dann hat das Wiederholen dieses Mantras doch schon deshalb keinen Zweck, weil es von Strauß selig stammt und der immerhin noch wußte, wie man den Eindruck erweckte, als ob CDU und CSU die Konservativen mit verträten.

Verschwörungstheorien sind keine rechte Spezialität. Verschwörungstheorien sind Ausdruck einer Paranoia, die ihre guten Gründe haben kann, aber vor allem Machtlose befällt.

„In einer Welt, die immer mehr in die Weite strebt, bedarf ein freies Volk eines gesunden nationalen Selbstbewußtseins. Nur wer sicher in sich selbst ruht und um seine Wurzeln weiß, wird diesen Weg gehen können, ohne sich zu verlieren. Wir haben die Schuld, die während jener tragischen zwölf Jahre der Gewaltherrschaft im Namen Deutschlands allen Deutschen aufgebürdet wurde, schonungslos offenbart. Wir werden diese Schuld vollends abtragen, soweit Menschen dazu in der Lage sind. Darum betrachten wir die Wiedergutmachung als eine bindende Verpflichtung. Wir wissen es zu würdigen, wenn Menschen aus ihrem eigenen Erleben heraus noch nicht bereit sind, sich mit dem neuen Deutschland zu versöhnen. Aber wir haben keinen Sinn für jene Bestrebungen, die aus vergangener Barbarei für alle Zeit eine deutsche Erbsünde herleiten und als politisches Mittel konservieren möchten.“ (Ludwig Erhard: Wohlstand für alle, Düsseldorf 1957)

Menschheitsrätsel: Warum sind eigentlich die Feststellvorrichtungen an den Zapfsäulen aller Tankstellen außerhalb Deutschlands defekt?

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 25. Oktober in der JF-Ausgabe 44/13.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen