© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Traue keinem Bild!
Hans Becker von Sothen über Fälschungen von historischen Fotografien
Hans-Joachim von Leesen

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ – die alte Floskel sagt im ersten Augenblick etwas Selbstverständliches, doch beantwortet sie nicht die viel wichtigere Frage: Sagt es auch die Wahrheit?

Von 1995 bis 1999 zeigte eine durch Deutschland ziehende Wanderausstellung auf 1.432 Fotografien mit Darstellungen vor allem aus dem deutsch-sowjetischen Krieg Szenen, von denen die allermeisten ohne wortreiche Erklärungen überhaupt nichts besagten. Was soll ein Foto darlegen, in dessen Vordergrund ein deutscher Soldat zu sehen ist, während in weiter Entfernung hinter ihm Häuser brennen? Wann und wo wurde die Aufnahme gemacht? Hat der Soldat das Dorf angezündet? Hat es hier Kämpfe gegeben, in deren Verlauf das Dorf in Brand geraten ist? Hat die Gegenseite – etwa im Verlauf ihrer Strategie der verbrannten Erde – den Brand gelegt? Fotos dieser Art bildeten die große Mehrheit in der Ausstellung, die suggerierte, daß die Verantwortlichen Jan Philipp Reemtsma und Hannes Heer beabsichtigten, die Wehrmacht zu einer Mordorganisation zu erklären.

Zwar traten sehr bald bei fachkundigen Besuchern in Deutschland Zweifel auf, doch wurden sie von den Medien nicht aufgegriffen. Die reagierten erst, als zwei ausländische Historiker, ein Pole und ein Ungar, nach fast vier Jahren aufdeckten, daß die Mehrheit der Bilder in Wahrheit etwas ganz anderes zeigten, als die Ausstellungsmacher verkündeten. So waren Berge von Toten keineswegs von deutschen Soldaten ermordet worden, sondern von Mitgliedern des sowjetischen Geheimdienstes.

Hans Becker von Sothen hat die Fleißarbeit auf sich genommen, den Mißbrauch von Bildern als vermeintliche Beweisstücke von historischen Ereignissen zu untersuchen; eine Praxis, die mindestens so alt ist wie die Fotografie. Tatsächlich haben durch Verfälschungen viele Aufnahmen den Betrachter getäuscht. Welche Täuschungsmethoden angewendet wurden und auch heute noch werden, listet der Autor anhand von mehr als 200 gefälschten Fotos akribisch auf.

Im Ersten Weltkrieg begann die systematische Verwendung von verfälschten Fotografien, wobei der britischen Regierung der zweifelhafte Ruhm zufiel, gefälschte Fotografien im Rahmen der psychologischen Kriegführung zuerst systematisch eingesetzt zu haben. Dabei nahm die Greuelpropaganda einen großen Platz ein. Die angeblich von deutschen Soldaten abgehackten Kinderhände in Belgien, von denen übrigens nach dem Krieg nicht ein einziger Fall nachgewiesen werden konnte, ist da nur die Spitze des Eisbergs

Die Bolschewiki erkannten den Wert der Fotografie für ihre Agitation und Propaganda. Fotos vom Sturm auf den Winterpalast des Zaren waren in Wirklichkeit Szenen aus Spielfilmen. Ein offizielles, weit verbreitetes Foto der kommunistischen Führer um Stalin wies im Laufe der Jahre immer weniger Personen auf; die jeweils in Ungnade gefallenen und liquidierten wurden herausretuschiert. Aus der Weimarer Republik stammte das angeblich authentische Foto des rechtsradikalen vermummten Femegerichts, auf dem aber in Wahrheit Beamte der preußischen politischen Polizei gezeigt wurden, deren Gesichter durch Kapuzen verhüllt waten.

In der ganzen Welt ist das Foto des Fotografen von Robert Capa bekannt, das einen angeblich beim Sturm tödlich getroffenen und gerade zusammenbrechenden republikanischen Soldaten des Spanischen Bürgerkriegs zeigen soll. Der Autor weist nach, daß es sich keineswegs um eine authentische Szene handelt, sondern daß es vom Fotografen inszeniert worden ist. Auch ein gerade in der DDR gern reproduziertes Foto von der brennenden Berliner Synagoge, die in der „Reichskristallnacht“ in Brand gesteckt worden ist, wurde manipuliert. Die Synagoge konnte nämlich 1938 durch den beherzten Einsatz der Feuerwehr vor der Zerstörung gerettet werden. Die aus den Fenstern schlagenden Flammen sind nachträglich in das Bild einer weitgehend unversehrten Synagoge aus dem Jahre 1948 retuschiert worden.

Häufig findet man in Filmen Bilder eines auf einem Bein herumhopsenden Hitler. Tatsächlich stammt das zugrunde liegende Bild aus einer Filmsequenz, auf der Hitler zu sehen ist, der einmal kräftig auf den Boden stampft und so 1940 seine Freude über den Sieg der Wehrmacht über Frankreich ausdrückt. In diesem Moment drückte der Kriegsberichter Walter Frentz auf den Auslöser seiner Kamera. Nach dem Kriege machte dann der Chef der kanadischen Propaganda durch mehrmalige Wiederholung der Sequenz aus der Bewegung Hitlers einen Freudentanz, um so eine lächerlich wirkende Tanzszene zu konstruieren.

Wohl jeder kennt die zu allen möglichen Zwecken verwendete Aufnahme, die einen angeblich deutschen Soldaten zeigt, der mit einem Karabiner auf eine offenbar flüchtende Frau schießt, die ein Kind im Arm trägt. Man findet es in fast allen Bildbänden über den deutsch-sowjetischen Krieg, in Schulbüchern, in Zeitungsartikeln über die Greueltaten der Wehrmacht. Wie von Sothen nachweist, wird fast immer nur ein Ausschnitt dieser Aufnahme verwendet. Der renommierte Fotofachmann Otto Croy wies zudem bereits nach, daß das Foto manipuliert wurde und daß der abgebildete Soldat keine Wehrmachtsuniform trägt. Bemerkensweret ist es auch, daß das Originalfoto bisher kaum an die Öffentlichkeit gelangt ist.

Es ist inzwischen allgemein geläufig, daß das nicht nur im Ostblock immer wieder verwendete Foto vom Hissen der sowjetischen Flagge auf den Zinnen des Reichstagsgebäudes in Berlin 1945 durch Rotarmisten nach den Kampfhandlungen gestellt worden ist. Amüsiert weist von Sothen darauf hin, daß auf dem zuerst veröffentlichten Foto am unteren Teil der Aufnahme ein sowjetischer Offizier zu sehen ist, der offenbar einem auf dem Dachvorsprung balancierenden Soldaten mit erhobenen Armen Hilfestellung leistet. Die dabei zurückgerutschten Ärmel seiner Uniform offenbaren, daß der Offizier an jedem Handgelenk Armbanduhren trägt. Bei späteren Veröffentlichungen sind diese kompromittierenden, auf Diebstahl deutenden Details dann entfernt worden.

Der Autor reiht seine Beispiele von gefälschten Fotodokumenten bis in die Gegenwart fort. Wie das Bild einer angeblichen Bloggerin namens Angina Abdallah, die wegen ihrer lesbischen Neigungen in Syrien verhaftet worden sein soll. Das Bild hat das deutsche Auswärtige Amt veranlaßt, bei Präsident Assad zu intervenieren, er möge die Frau unverzüglich freilassen. Tatsächlich gab es die Dame gar nicht. Sie war die Erfindung eines in Großbritannien lebenden US- Amerikaners.

Die Fülle des Materials beeindruckt und wird hoffentlich den Leser veranlassen, sich fürderhin angeblich dokumentarischen Fotos kritisch zu nähern und lieber seinen gesunden Menschenverstand bei der Beurteilung der Bilder einzuschalten.

Hans Becker von Sothen: Bild-Legenden. Fälschungen – Fakes – Manipulationen. Ares Verlag, Graz 2013, gebunden, 272 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

Fotos: Schützen und flüchtende Zivilisten: Das Foto wird oft ohne die Gewehrläufe links und die Personen rechts präsentiert (wie 1997 in „France Soir“, oben). In der Bilderklärung wird dann oft suggeriert, ein Wehrmachtssoldat erschieße gerade eine flüchtende Frau mit ihrem Kind. Die genaue Herkunft der Fotografie ist unbekannt.; Robert Capas weltberühmtes Foto eines fallenden republikanischen Soldaten im Spanischen Bürger-krieg von 1936, darüber ein weiteres Gefallenenfoto an derselben Stelle: Im Jahr 2007 wiesen spanische Dokumentarfilmer nach, daß der vermeintlich abgebildete Soldat Federico Borrell woanders fiel. Am Ort des Fotos fanden zu dieser Zeit keine Kampfhandlungen statt. Capa, der „als größter Kriegsfotograf der Welt“ („Picture Post“, London 1938) gefeiert wurde, hatte seine Aufnahme nur gestellt.; „Bild“-Zeitung (29. Januar 2001) über Jürgen Trittin bei Göttinger Demonstration von Linksextremisten 1994: „Schlagstock“ war ein Absperrseil, „Bolzenschneider“ ein Teil eines Dachgepäckträgers; Aufnahmen vom Hamburger Hauptbahnhof 1946, rechte Version mit retuschiertem Zug: „Dokument“ mit drei verschiedenen Bildunterschriften (Evakuierung von Bombenkriegsflüchtlingen; Vertriebene aus deutschen Ostprovinzen; Transporte in Ghettos und Vernichtungslager)

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