© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013


Doping für das Gehirn
Fakten und Mythen zum Kaffee – Eine Einführung in die Geheimnisse der psychoaktiven Droge Koffein
Patrick Gerster

Pad, Kapsel oder besser gleich einen Kaffeevollautomaten, der die Bohnen frisch mahlt? Reicht es nicht, den Kaffee wie Oma einfach mit dem Melittafilter in die Kanne zu brühen? Sind die kleinen Kaffeeportionen für 30 Cent das Stück nicht Geldschneiderei? Kommt der Preisaufschlag per Fairtrade wirklich direkt den armen Kaffeebauern in Lateinamerika zugute?

Auf diese Fragen hat die Leipziger Pharmakologin Karin Nieber in ihrem Buch „Schwarz und stark“ keine Antworten parat. Doch die alle anderen Genußmittel weit in den Schatten stellende Beliebtheit des Kaffees ist ihr der Ausgangspunkt, um einem Laienpublikum naturwissenschaftlich-medizinisches Basiswissen über die „Primadonna unter den Kulturpflanzen“ zu vermitteln.

Dabei handelt sie die äußerst komplexe, 800 bis 1.000 Substanzen umfassende chemische Zusammensetzung der Kaffeebohne in gebotener Kürze ab, zumal eine vollständige Aufklärung über alle Bestandteile erst von weiteren technischen Verfeinerungen der Analysemethoden zu erwarten ist. So lexikalisch knapp wie die Autorin über die wichtigsten Substanzen der Kaffeebohne (Kohlenhydrate, Wasser, Säuren, Fette, Proteine, Mineral- und Aromastoffe) informiert und dabei mit der Legende aufräumt, sie enthalte krebserregende Stoffe, so ausführlich widmet sie sich der pharmakologisch aktivsten Substanz, dem Koffein, das erst im 19. Jahrhundert entdeckt und in seiner chemischen Struktur erfaßt wurde. Bis heute sind jedoch viele Prozesse, die diese „psychoaktive Droge“ im Organismus auslöst, unzureichend erforscht.

Bekannt ist allerdings, wie die anregende Wirkung dieses stimulierenden Alkaloids im Zentralnervensystem zustande kommt. Dabei entfaltet Koffein selbst keine Wirkung, sondern fungiert als Antagonist des Adenosins. Das ist ein Nebenprodukt, das bei der elektrochemischen Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen anfällt. Adenosin moduliert die Informationsleitung und schützt das menschliche Gehirn, dessen Aktivitäten täglich 20 Prozent unserer Energie verbrauchen, vor Überanstrengung. Da das Koffein die gleichen Rezeptoren an den Synapsen der Nervenzellen besetzt wie Adenosin, mindert es dessen „bremsende“ Wirkung. Selbst bei steigender Adenosinkonzentration arbeitet das Hirn darum auf „Hochtouren“.

Wer daraus aber folgert, man erhöhe einfach seinen Kaffeekonsum, um die geistige Leistungsfähigkeit zu optimieren, sollte Niebers Kapitel über den Einfluß des Koffeins auf Psyche und Physis des Menschen gründlich lesen. Zwar hält die EU-Lebensmittelbehörde EFSA es für wissenschaftlich bewiesen, daß Kaffee zulässiges „Doping für das Gehirn“ sei, weil es die kognitiven Fähigkeiten verbessere, für Wachheit, Aufmerksamkeit und für ein quickes Gedächtnis sorge. Nieber verweist aber auf Studien, die belegen, daß bei vielen Menschen Koffein keine „aufweckenden“ Effekte zeitigt. Offenbar sei dies genetisch determiniert, aber vielleicht spielt auch die niedrige Qualität der meisten handelsüblichen Kaffeesorten, aus denen sich nur ein beinahe geruchs- und geschmackloser „Kaffeeersatz“ gewinnen läßt, eine Rolle, wenn Zweifel am Koffein als „Muntermacher“ aufkeimen.

Darum könne man von Koffein auch keine medizinischen Wunder gerade auf dem Gebiet neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson erwarten. Hier hallt bei der Autorin immer noch die Empörung über eine Focus-Schlagzeile vom Juli 2009 nach, der zufolge Koffein die für Morbus Alzheimer typischen Eiweißablagerungen im Gehirn reduziere.

Bislang lägen zu dieser Problematik zu wenige Untersuchungen mit widersprüchlichen Ergebnissen vor, die kaum mehr als „vage Hinweise“ auf die Heilwirkung von Koffein bei Alzheimer-Patienten liefern. Etwas günstiger sieht es bei Morbus Parkinson aus, wo Studien zeigen, daß Koffein gegen die Verlangsamung der Bewegung zu helfen scheine und auch die Muskelversteifung mindere, womit allerdings immer noch keine therapeutische Empfehlung verbunden ist. Ebensowenig eindeutig sei bewiesen, daß Koffein vor der Volkskrankheit Depression schütze.

Im breiten Spektrum organischer Krankheitsbilder destruiert Nieber eine Reihe von populären Mythen wie „Vom Kaffeetrinken bekommt man Bluthochdruck“, werde anfälliger für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Tatsächlich sei „die Studienlage sehr heterogen“. Sicher sei nur, daß „zuviel“ Kaffee, also mehr als vier Tassen pro Tag, den Gehalt von Cholesterin und den des Eiweißmoleküls Homocystein im Blut steigern, zwei Substanzen, die das Infarktrisiko erhöhen.

Nieber, die an der Leipziger Uni Naturwissenschaftler in die Grundlagen der Pharmakologie einführt, ist eine nicht nur didaktisch bestechende Darstellung der physiologisch-chemischen Geheimnisse des Kaffeekonsums geglückt, die gängige Übertreibungen über die gesundheitsschädlichen Wirkungen des Koffeins genauso überzeugend korrigiert wie sie übertriebene therapeutische Hoffnungen mit dem wissenschaftlich Verantwortbaren konfrontiert.

Zugleich beweist ihre informativ-dichte Arbeit über den Kaffee einmal mehr die Überlegenheit des Mediums Buch gegenüber dem Internet. Denn mit den Stichwörtern „Kaffee Wirkungen“, so warnt Nieber eingangs, liefere jede Suchmaschine zwar eine unübersehbare Zahl von Treffern, führe den Benutzer jedoch in einen Datendschungel, der wenig Orientierung zulasse. Die findet er allein in diesem, von Nieber bescheiden „Büchlein“ genannten Werk über einen vermeintlich selbstverständlichen Teil unserer Alltagskultur.

Karin Nieber: Schwarz und stark. Wie Kaffee die Gesundheit fördert. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2013, 144 Seiten, broschiert, 19,80 Euro

 

Weltweite Kaffeeproduktion

Kaffee ist der wichtigste Agrarhandelsrohstoff. Jeder Deutsche konsumiert statistisch 150 Tassen jährlich – das sind 6,4 Kilo pro Kopf. Das ist wenig im Vergleich mit den in Europa führenden Luxemburgern (25,6 Kilo) und Finnen (zwölf). Mit 26 Millionen Sack (à 60 Kilo) ist Brasilien der größte Rohkaffeeproduzent. Der Großteil des in Deutschland getrunkenen Kaffees stammt hingegen vom Vizeweltmeister Vietnam, der etwa 23 Millionen Sack exportiert. Daß die südvietnamiesische Hochlandprovinz Đắk Lắk mit der Hauptstadt Buôn Ma Thuột zum asiatischen Kaffeezentrum aufstieg, hat sie einem in den achtziger Jahren gestarteten Großprojekt der einstigen sozialistischen Verbündeten Sowjet­union, DDR, Tschechoslowakei und Bulgarien zu verdanken. Dank späterer deutscher Entwicklungshilfe wurde der angebaute Robusta-Kaffee weltmarktfähig. Sollte der großflächige Anbau des edlen Arabica-Kaffees in Nordvietnam gelingen, könnte nach Kolumbien sogar Brasilien vom Kaffeethron stürzen.

Deutscher Kaffeeverband: www.kaffeeverband.de

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