© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Enteignung durch die kalte Küche
Der britische Historiker Frederick Taylor widmet sich der Hyperinflation im Deutschen Reich 1923 und macht ein bis heute wirkendes Trauma aus
Wolfgang Kaufmann

Im Finanzwesen der Moderne gab es keine dramatischere Geldentwertung als die Hyperinflation, welche 1923 in Deutschland stattfand. Allerdings wurde der Grundstein für den „Untergang des Geldes“ in der Weimarer Republik schon neun Jahre früher gelegt, wie der britische Historiker Frederick Taylor in seinem neuen Buch „Inflation“ nachweist.

Am Anfang der Katastrophe stand zweifellos die Aufhebung des Goldstandards der Mark im Sommer 1914. Damals beschloß die Reichsbank von dem Prinzip abzugehen, daß die deutsche Währung durch Edelmetall gedeckt sein müsse, was es dem Bürger ermöglichte, seine Banknoten jederzeit in Gold- oder Silbermünzen gleichen Nennwertes umzutauschen. Genau das nämlich taten unzählige durch die Kriegsgefahr beunruhigte Deutsche: Sie hoben massenhaft Münzgeld ab, so daß sich bald drei der fünf Milliarden ausgemünzter Goldmark in Privatbesitz befanden, was insofern problematisch war, als das Edelmetall für kriegswichtige Einkäufe im Ausland benötigt wurde.

Allerdings beendete das Darlehenskassengesetz vom 4. August 1914 nicht nur die Konvertierbarkeit von Mark und Goldmark, sondern ermächtigte die Reichsbank auch, immer mehr Papiergeld zu drucken. Wegen des internationalen Ansehens der Mark hatte dies aber zunächst noch keine Konsequenzen. Der Wechselkurs gegenüber der weltweiten Devisenleitwährung, dem Dollar, blieb bis März 1918 relativ stabil: für einen Dollar waren 5,11 Mark zu zahlen, nur 90 Pfennig mehr als vor Kriegsausbruch.

Als die Waffen dann schwiegen, erwies sich, daß das Deutsche Reich 154 Milliarden Mark Schulden bei seinen Bürgern hatte, verursacht durch die Kriegsanleihen. Und schon mußte man für einen Dollar 8,20 Mark hinlegen. Trotzdem sorgte sich die Führung der Weimarer Republik deutlich mehr um den Erhalt des sozialen Friedens als um die Stabilität der deutschen Währung – und warf zur Finanzierung der Wohltaten am Volke die Notenpresse an, so daß sich bald die 22fache Geldmenge wie 1913 in Umlauf befand. Die Quittung hierfür erteilte der Wechselkurs: zum 31. Dezember 1919 kostete ein Dollar bereits 49 Mark!

Zehn Tage später trat der Versailler Vertrag in Kraft, der umfangreiche Reparationszahlungen vorsah. Die Folge hiervon war ein weiterer Kurssturz bis Ende Januar 1920 auf 75 Mark pro Dollar. Für die deutsche Finanzelite stellte das allerdings immer noch keinen Anlaß zur Sorge dar, wurde doch so die Exportwirtschaft gestärkt und die Arbeitslosigkeit niedrig gehalten.

Die nächste Beschleunigung des Kursverfalls der Mark resultierte aus der Bekanntgabe der detaillierten Reparationsforderungen im Mai 1921. Nun stand fest, daß Deutschland 132 Milliarden Goldmark aufzubringen hatte. Daraufhin pegelte sich die Relation von Dollar zu Mark auf eins zu 217 ein.

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Aufgrund der politischen Instabilität der Weimarer Republik im Laufe des Jahres 1922 – so wurde Außenminister Rathenau am 24. Juni auf offener Straße erschossen – sank das internationale Vertrauen in Deutschland weiter, weswegen Ende Juli bereits 617 Mark für einen Dollar fällig waren. Und der Kurs erholte sich auch nicht wieder, was natürlich die Verbraucherpreise nach oben trieb. Ab Sommer 1922 zogen diese Monat für Monat um mindestens 50 Prozent an: die Hyperinflation war da. Dennoch freilich erfolgte weiterhin keine Kehrtwende hin zu einer antiinflationären Sparpolitik. Vielmehr wurde die Arbeiterschaft mit großzügigen Lohnerhöhungen ruhiggestellt, währenddessen die Sparer aus der Mittelschicht sukzessive ihr Vermögen verloren.

Der endgültige Absturz der Mark erfolgte dann als Konsequenz aus der französisch-belgischen Ruhrbesetzung am 11. Januar 1923, welche die deutsche Wirtschaft kalt traf. Sofort gab der Kurs der Mark gegenüber dem Dollar auf 10.250 zu eins nach; dem folgte ein schneller Rutsch bis auf 40.000 zu eins. Im Juni durchbrach die Inflation eine weitere Schallmauer, denn nun kostete ein Dollar bereits 114.250 Mark. Kurz darauf erfolgte der endgültige Dammbruch: Ende Juli/Anfang August 1923 fiel der Wechselkurs innerhalb einer Woche auf eins zu 3.300.000 Mark.

Damit war die Mark weitestgehend wertlos geworden, weswegen ein Übergang zur Tauschwirtschaft erfolgte, wo immer dies möglich war, während zugleich die Lebenshaltungskosten explodierten. Wer jetzt noch Devisen besaß, lebte hingegen fürstlich. So konnte sich beispielsweise ein Postbeamter, der 1.717 Dollar und 1.102 Schweizer Franken aus Briefen gestohlen hatte, dafür zwei Häuser kaufen und zusätzlich eine teure Geliebte leisten ...

In dieser Situation begann die Staatsführung nun endlich zu handeln, doch ihre halbherzigen Maßnahmen zum Stoppen der Inflation verpufften zunächst völlig wirkungslos, so daß am 1. September 1923 schon 10,5 Millionen Mark aufgewendet werden mußten, um einen Dollar zu erwerben. Daraufhin wurde der Ruf nach einer Diktatur immer lauter, und in Thüringen und Sachsen sowie Bayern fanden auch entsprechende Umsturzversuche von links und rechts statt.

Damit war klar, daß das Überleben der Republik von der Stabilisierung der Mark abhing – und plötzlich fand der Staat ganz schnell zu effektiven Lösungen wie der brachialen Einführung der wertbeständigen Rentenmark zum 16. November 1923. Ihr Kurs gegenüber der Papiermark belief sich auf eins zu einer Billion, während zugleich sagenhafte 2,522 Billionen Inflationsmark für einen Dollar zu berappen waren.

Die Einführung der Rentenmark bereitete allerdings nicht nur der Hyperinflation ein Ende, sondern erlaubte der Weimarer Republik auch, ihre Schulden gegenüber den Bürgern loszuwerden: So betrugen die Verbindlichkeiten aus den Kriegsanleihen nun nicht mehr 154 Milliarden Mark, sondern nur noch 15,4 Rentenpfennige! Der Staat hatte sich über Nacht saniert, wenn auch um den Preis eines tiefen Mißtrauens seitens der quasi enteigneten Deutschen. Allerdings ist zu bezweifeln, daß dieses Mißtrauen bis zum heutigen Tag handlungsleitend wirkt, wie Taylor meint. Dann hätten die Wähler am 22. September bei der Bundestagswahl nicht mit überwältigender Mehrheit für die Fortsetzung der Schuldenpolitik gestimmt.

Frederick Taylor: Inflation. Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas. Siedler Verlag, München 2013, gebunden, 400 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro

Foto: Kinder spielen mit Geldscheinen, 15. November 1923: Der Staat war über Nacht saniert

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