© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Der Eremit und der Tausendsassa
Denken, als ginge es um Leben und Tod: Eine intellektuelle Beziehungsgeschichte zwischen Hans Blumenberg und Jacob Taubes
Gregor Craemer

In seiner Unrast, die ihn zwischen New York, Paris, Jerusalem und Berlin pendeln ließ, entsprach der quirlige Rabbinersohn und Religionsphilosoph Jacob Taubes durchaus der mythischen Figur des Ahasver, des ortlosen „ewigen Juden“. Wer als Intellektueller aber unentwegt auf Achse ist, sich überdies eifrig in der Damenwelt umtut und Beziehungsstreß am Hals hat, wer der hochschulpolitischen Strippenzieherei und des Intrigenspiels frönt, öffentliche Auftritte nicht verschmäht, sich als Gschaftlhuber und levantinischer Ideenhändler profilieren möchte, und dies bei defekter Physis und poröser Psyche, der bleibt, bestenfalls, der „Mann des einen Buches“ – wie Taubes, der monographisch außer seiner Basler Dissertation von 1947 nichts aufzuweisen hatte, als man ihn, den New Yorker Professor, 1961 auf einen Lehrstuhl an der FU Berlin berief. Und schriftlich Nennenswertes ist bis zu seinem Tod 1987 auch nicht mehr hinzugekommen.

Ganz anders sein Kollege Hans Blumenberg. Nach NS-Diktion „Halbjude“, war dem Lübecker Abiturienten seit 1940 das Studium nur in der Verborgenheit der katholischen Hochschulen in Paderborn und Frankfurt möglich. Im gestreckten Galopp machte er diese verlorenen Jahre jedoch wett, promovierte 1947 in Kiel, habilitierte sich dort 1950, wurde 1958 Extraordinarius in Hamburg, 1960 ordentlicher Professor in Gießen. Dort lebte er, wie später in Bochum und Münster, an der Peripherie, auf dem Land, um ungestört vom „Betrieb“ zu lesen und zu schreiben.

Seit den späten Siebzigern gewöhnte er sich an, abgeschirmt in der Stille der Nacht zu produzieren. Reisen reizten ihn nicht, die familiären Verhältnisse galten ihm als erfreulich „konsolidiert“, keine Ablenkung gefährdete die rigoros durchgesetzte „Unabhängigkeit von allen Termingeschäften“. So entstand zwischen der seinen Ruhm begründenden „Legitimität der Neuzeit“ (1966) und dem Schlußstein der „Höhlenausgänge“ (1989) das große Œuvre, das er seit 1979 in rascher Folge publizierte: „Die Genesis der kopernikanischen Welt“, „Lesbarkeit der Welt“ (beide 1981), „Arbeit am Mythos“, „Lebenszeit und Weltzeit“ (beide 1986), umrankt von einem Kranz essayistischer Schriften mit einprägsamen Titeln wie „Schiffbruch mit Zuschauer“ (1979), „Das Lachen der Thrakerin“ (1987) oder „Die Sorge geht über den Fluß“ (1987).

Der extrovertierte Taubes und der introvertierte Blumenberg – der sich im Dialog versprühende Kritiker und Projektemacher hier, da der monologische Originaldenker und Schöpfer eines erratischen Monumentalwerks – zwei Gelehrtentypen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Hätte der Menschenfischer Taubes den Kontakt nicht gesucht, sich nicht der von Blumenberg mitbegründeten Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik“, einer geisteswissenschaftlichen Artus-Runde der Bonner Republik, nahezu aufgedrängt – der nachmalige „Eremit von Altenberge“, der im März 1996 in seiner Klause einem Herzinfarkt erlag, wäre kaum von sich aus auf den Pendler mit der „US-Hermeneutikfrische“ zugegangen.

Bereut hat er die Begegnung dann allerdings nicht, da der Mann, dem er zubilligte, „das Gras auf den Schreibtischen wachsen zu hören“, als Berater Siegfried Unselds ihm die Tür zur „suhrkamp culture“ öffnete. Dann wäre freilich auch nichts aus der Korrespondenz geworden, die Herbert Kopp-Oberstebrink, dem schon die Herausgabe des Taubes-Briefwechsels mit Carl Schmitt zu danken ist (JF 12/12), nun in einer mitunter allzu sparsam kommentierenden Edition präsentieren kann. Der Gedankenaustausch in 58 in ihrer Mehrzahl aus Taubes’ Feder stammenden Briefen erstreckt sich über zwanzig Jahre, vom August 1961 bis zum Oktober 1981. Mitsamt der Materialien, die Oberstebrink in einem Anhang beifügt, soll er Einblicke in die intellektuelle Geschichte der „frühen und mittleren Bundesrepublik“ eröffnen.

Hauptertrag vor allem für jüngere Leser ist gewiß die Bekanntschaft mit einem Universitätsmilieu, das ausweislich der Lebensdaten von zwei seiner prominenten Protagonisten fast noch in die Gegenwart reicht, und dessen „Einsamkeit und Freiheit“ in Lehre und Forschung trotzdem dank der „Bologna-Reform“ schon Lichtjahre hinter uns zu liegen scheint. Blumenberg dürfte heute nächtens nicht Bücher, sondern müßte Anträge schreiben, um Drittmittel einzuwerben. Taubes’ Karriere würde aufgrund seiner kurzen Publikationsliste unter dem herrschenden „Publish or perish“-Diktat ohnehin nie Fahrt aufnehmen.

Ihr solchen Sparversionen akademischer Bildung diametral entgegengesetztes Verständnis von Wissenschaft weist beide Briefpartner als souveräne Erben Humboldts aus, obwohl der zeitweise der „Frankfurter Schule“ heftig verfallene Taubes während der heißen Phase der Berliner „Studentenrebellion“ zu peinlichen Zugeständnissen bei der „Zerschlagung der Ordinarien-Herrschaft“ bereit war.

Doch wichtiger ist, daß beide Denker aus der abgeklärten Perspektive heutiger ökonomisierter Modul-Verwalter eine sonderbar antiquierte Auffassung von „Wissenschaft als Beruf“ (Max Weber) pflegten. Vor dem zeithistorischen Hintergrund des Kalten Krieges und des „Wandels durch Annäherung“, vom Mauerbau bis zur Nato-Nachrüstung, verhandeln hier zwei Philosophen über scheinbare Spezialprobleme der Geistesgeschichte, über Gnosis und Säkularisation, Heils- und Weltgeschichte, Theodizee und Theologie, als ginge es um Leben und Tod, als hinge von einer hermeneutisch tragfähigen Mythologiekritik das Schicksal der Menschheit ab.

Diese existentialistische Aufladung des vermeintlich „zweckfreien“ Denkens schlägt sich kräftiger als bei dem agnostischen, ganz im Sinne der Schule Joachim Ritters für die Mäßigung politisch-religiöser Sinnerwartungen plädierenden Blumenberg in den Briefen des politisch ambitionierten Apokalyptikers Taubes nieder. Letzterer neigte in den letzten zehn Lebensjahren zunehmend nach rechts, fuhr als der Studienfreund Armin Mohlers zu Carl Schmitt nach Plettenberg und besorgte Hans-Dietrich Sander einen Lehrauftrag an der FU Berlin. Diese Präferenz deutete sich schon 1966 an, als er Blumenberg bekannte, lieber „Rechtsintellektuelle von Rang“ zu suchen, weil sie wirkliche Gegner seien, während er die Linke nur noch als „schal und oberflächlich“ empfinde.

An diesem Punkt rücken die Briefpartner dann nochmals näher zueinander, als zu erwarten war. Denn angesichts der nach 1968 durch diverse Emanzipationsphilosophien revitalisierten „großen Erzählung“ vom Fortschritt zu Freiheit und Gleichheit stehen Blumenberg, der „Zuchtmeister aller Sinnhuber“ (Eckhard Nordhofen) totalitären Schlages, und Taubes, der ewige Kritiker, in erfreulich deutlicher Abseitsposition. Natürlich verbeamtet und pensionsberechtigt, wie es sich für eine pluralistische Kultur ziemt, die diesen Namen verdient.

Herbert Kopp-Oberstebrink u. a. (Hrsg.): Hans Blumenberg – Jacob Taubes. Briefwechsel. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, gebunden, 349 Seiten, 39,95 Euro

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