© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Probleme mit dem Anglerverein
Die Suche nach dem „poetischen Wahrheitskonzept“: Der Philosoph Kurt Flasch und seine tiefgreifenden Zweifel an der christlichen Lehre
Gernot Facius

Wer bei diesem Titel an Bertrand Russell denkt, liegt nicht falsch. Der britische Philosoph ätzte 1927 in seinem berühmten Vortrag „Warum ich kein Christ bin“ gegen alle Formen von Religion; er betrachtete sie als Krankheit, als „Quelle unnennbaren Elends für die menschliche Rasse“. Das gleichnamige Buch von Kurt Flasch greift Russells Thema wieder auf, doch solch harsche Verdikte fließen dem Philosophiehistoriker aus Mainz nicht aus der Feder.

Hier rächt sich keine durch Amtsträger der Kirche verwundete Seele. Der Sohn einer gut katholischen, gleichwohl liberalen Mainzer Familie prüft aus den Quellen heraus die Varianten der christlichen Lehre, die „Christentümer“. Philosophisch kritisiert er metaphysische Vorstellungen, wie die Existenz Gottes, historisch die Gewaltgeschichten des Alten und die Wundererzählungen des Neuen Testaments, sprachlich den theologischen Jargon. Daß es, wie von Benedikt XVI. insinuiert, im Christentum eine Einheit von Religion und Philosophie geben könne, wird von Flasch auf das heftigste bestritten, der Gott der antiken Philosophen sei ein gänzlich anderer als der des Christentums, er sei nicht zornig und auch „blutlos“.

Immer wieder verweist er auf den „archaisch grausamen“ alttestamentlichen Gott: „Die geschichtlichen Berichte zeigen ihn nicht als Weisen; er fürchtet Konkurrenz; er bereut und vernichtet die Menschheit bis auf einen Liebling, von dem man nicht weiß, wie er alle Tierarten in seiner Arche unterbrachte. Gott verhängt die Todesstrafe für unverschuldetes Berühren der Bundeslade.“ Unverständlich erscheint dem Autor die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Bücher des Alten Testaments zeigten allen, wie der gerechte und barmherzige Gott sich zu den Menschen verhalte: „Mir ist unbegreiflich, wie jemand, der 1 Samuel 15 gelesen hat, solches Zeug schreiben kann. Eine Kirchenversammlung, die so inkompetent über ihre eigenen Urkunden herumsalbadert, die so offen sich und andere täuscht, hat mir nichts zu sagen.“ Daß Gott sich im Alten Testament nicht nur als der zürnende, strafende Gott zeigt, das kommt bei Flasch leider nicht vor.

Wen wundert es, daß er Widerspruch von Theologen und Religionswissenschaftlern erntet: Er übersehe neuere theologische Denkansätze, er gehe allzu selektiv mit der Bibel um und bevorzuge das philologisch gefaßte Einzelne vor dem theologischen Ganzen. So lasse sich die „Wahrheit“ der Bibel nicht erkennen, moniert etwa der Katholik Hans Maier, emeritierter Münchner Professor für christliche Weltanschauung, Kirche und Theologie als geschichtlich sich fortbewegende, sich unablässig verändernde Kräfte kämen kaum in den Blick. Daß das Erste Vaticanum als Objekt der Kritik in Flaschs Darstellung ein Übergewicht gegenüber dem Zweiten Vaticanum gewinnt, das nur an einer Stelle erwähnt wird, ist ein Faktum.

Gleichwohl, Kurt Flasch hat sich gehütet, den Kampfschriften gegen das Christentum, die auf den Büchertischen liegen, ein weiteres Pamphlet hinzuzufügen. Im Gegenteil, sein Buch ist ein Weckruf an laue postmoderne Kirchen-Christen, sich zu vergewissern, woran sie tatsächlich glauben: an die Unsterblichkeit der Seele, an die Auferstehung des Leibes, an Himmel und Hölle? Wer die Texte der Bibel nur metaphorisch, also im bildhaften Sinn verstehen und ihnen eine sanftere Deutung geben will, dem begegnet der große Historiker des Denkens in Antike und Mittelalter mit derbem Spott. Er vergleicht ihn mit einem freundlichen und sensiblen jungen Mann, der „aus Familiengründen in einen Anglerverein geraten ist, der dann aber seine Sympathie für die Fische entdeckt und vorschlägt, der Anglerverein solle sich in Zukunft mit dem Häkeln von Tischdecken statt mit dem Töten von Fischen beschäftigen“.

Christentum auf Nächstenliebe zu reduzieren und alles, was darüber hinausgeht, auf sich beruhen zu lassen, damit kann Flasch nichts anfangen, Er äußert auch seine Bedenken gegen die christliche Opfertheologie, wohl wissend, daß er damit nicht alleine ist. „Christus“, schreibt Flasch, „soll doch Gott sein. Wenn er aber Gott war, dann versöhnt er sich mit seinem Kreuzestod mit sich selbst. Die zweite Person der Trinität mit der ersten? Oder bot Christus sein Blut der ganzen Trinität, darunter sich selbst? Ein Abgrund tut sich hier auf. Allemal floß Blut.“ Starker Tobak für Christen, die am Wortlaut der Schrift kleben.

Ist Kurt Flasch ein Atheist? Nein, sagt er, selbst den Titel „Agnostiker“ akzeptiert er nur zur Not, „nur um nicht verwechselt zu werden mit Kompromißlern, von denen mir einer gestand, er glaube nicht, aber er versuche zu glauben“. Die jüdisch-christliche Tradition bleibt ihm „ein Bildersaal produktiver religiöser Empfindungen“, er sehnt sich nach einem „poetischen Wahrheitskonzept“. In die Ecke geifernder Religionsfeinde läßt sich dieser Autor jedoch nicht stellen. Eine ehrliche Standortbestimmung.

Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation. Verlag C.H. Beck, München 2013, gebunden, 280 Seiten, 19,95 Euro

Foto: Düstere Wolken um das Kreuz: Weckruf an laue postmoderne Kirchen-Christen, sich ihres tatsächlichen Glaubens zu vergewissern

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