© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Frisch gepreßt

Anti-Relativismus. Der Verfall des Politischen, der vor allem in Europa erlahmende Wille zur Behauptung des Eigenen, ist auch das Resultat eines seit dem 19. Jahrhundert manifesten Wandels im Verständnis von „Wahrheit“, die nicht mehr „absolut“, sondern nur noch „relativ“, bedingt durch Zeit, Raum, Kultur, Gesellschaft oder Ökonomie, akzeptiert wird. Dieser Relativismus radikalisierte sich im „postmodernen Konstruktivismus“, der sich in den USA etwa auf Richard Rorty, in Frankreich auf Jacques Derrida stützt. Wendet man den „Konstruktivismus“ auf ihre Urheber an, wird jedoch klar, daß die Delegitimierung „absoluter Wahrheiten“ in den Gegensätzen der multiethnischen US-Einwanderergesellschaft wurzelt, in der, neben den nach Emanzipation verlangenden Frauen, eine Unzahl von Minderheiten ihre Wahrheiten als gleichberechtigt neben der „weißen, männlichen Wahrheit“ etablieren wollte. Der New Yorker Philosoph Paul Boghossian entzauberte diese Ideologie 2006 mit „Fear for Knowledge“, einer nun endlich ins Deutsche übersetzten Streitschrift, die der Bonner Philosoph Markus Gabriel, selbst ein Wortführer des „Neuen Realismus“, in seinem Nachwort als „Posaune zum Auftakt eines neuen Konzerts, das inzwischen in vollem Gange ist“, rühmt. Und dessen politische Konsequenzen wohl einer Zeitenwende gleichkämen. (dg)

Paul Boghossian: Angst vor der Wahrheit. Ein Plädoyer gegen Relativismus und Konstruktivismus. Suhrkamp TB Wissenschaft, Berlin 2013, broschiert, 164 Seiten, 14 Euro

 

Trolle. Der Siegeslauf der neuen Kommunikationstechnologien wurde als heilende Arznei gegen totalitäre Gesellschaftsformen gefeiert. Diesen Jubelarien spürt der Publizist Arno Frank in einer kleinen Polemik nach. Und kommt zu einem deutlich anderen Ergebnis. Statt potenzierter Intelligenz die Auflösung von Öffentlichkeit und Privatheit, die Nivellierung des Argumentes auf den Lärm der Meute. Die Meute, „die in ihrer verbalen Radikalität den Roten Garden oder der SA in nichts nachsteht“, ist aber nichts anderes als eine menschliche Masse in Bewegung. Und diese ist nichts anderes als der entindividualisierte und enthemmte Einzelne, der aus seiner Anonymität heraus mit anderen zu einer rüpelhaften Gruppe verschmilzt. Durchaus möglich ist es daher, wenn im Hinblick auf den Totalitarismus hier Arznei mit dem Gift verwechselt wird. (FA)

Arno Frank: Meute mit Meinung. Über die Schwarm-Dummheit. Kein & Aber Verlag, Zürich 2013, broschiert, 72 Seiten, 7,90 Euro

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