© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

Vom Dilemma zum Desaster
Einwanderungspolitik: Europa und Deutschland schotten sich nicht zuviel, sondern zuwenig ab
Michael Paulwitz

Die „Festung Europa“, die sich angeblich hermetisch gegen Einwanderung abschottet, gehört zum eisernen Bestand an Lieblingsfeindbildern der Asyl- und Einwanderungslobby. Bei Lichte betrachtet sind die Mauern dieser „Festung“ freilich nahezu sturmreif und voller Löcher. Während die Zahl derer, die an den Toren Einlaß begehren, rapide steigt, werkeln im Inneren die verschiedensten Interessengruppen daran, die Tore aufzustoßen und neue Breschen zu schlagen.

Deutschland steht als wirtschaftsstärkstes der EU-Länder, das zudem mit einem komfortablen Sozialsystem ausgestattet ist, im Brennpunkt der internationalen Wanderungsströme. Das schafft für jene Staaten, denen es nach geltender europäischer Vertragslage zukommt, die Außengrenzen der EU gegen illegale Einwanderung abzuschirmen, eine unwiderstehliche Versuchung: einfach die Probleme weiterzureichen, die ins Land gekommenen Illegalen, die sowieso nicht in Italien, Griechenland, Spanien oder Polen zu bleiben gedenken, nach Deutschland weiterziehen zu lassen. Entweder unter der Hand, wie es längst praktiziert wird, oder offiziell, indem man eine „gleichmäßige“ Verteilung der Flüchtlinge auf alle Mitgliedstaaten verlangt. Nicht ohne den Hinweis, wie er just wieder vom – deutschen – EU-Parlamentspräsidenten Schulz kam, daß Deutschland dabei eben einen besonders großen Anteil zu tragen hätte. Als ob es das nicht schon längst täte.

Die jüngsten Dramen um schiffbrüchige Einwanderer aus Nordafrika in italienischen Gewässern haben schonungslos offengelegt, wie brüchig die bisherigen europäischen Vereinbarungen zur Asylpolitik sind. Unter dem emotionalen und moralischen Druck, der mit den Schreckensbildern der geborgenen Toten aufgebaut wird, wird schon die nüchterne Feststellung, daß illegale Einwanderung Rechtsbruch ist und die Verantwortung für die Folgen bei dem liegt, der ihn begeht, und nicht bei dem, der ihn nicht zulassen will, als verwerflich abgestempelt.

Jedes neue Flüchtlingsdrama läßt das Dublin-II-Abkommen stärker wackeln, das die Verantwortung für Asylverfahren demjenigen Vertragsstaat zuweist, den der Asylbewerber als erstes betritt. Drittstaatenregelung und Dublin II haben Deutschland bislang davor bewahrt, ungefiltert zum Ziel sämtlicher Wanderungsströme zu werden. Trotzdem wird bei uns in diesem Jahr wieder die Hunderttausendermarke bei den Asylanträgen überschritten.

Die Herkunftsländer – Rußland und die Bal-kanstaaten belegen regelmäßig Spitzenplätze – und die geringen Anerkennungsquoten lassen erkennen, daß politische Verfolgung eine marginale Rolle spielt; der Mißbrauch des Asylrechts als Eintrittskarte für ökonomisch motivierte illegale Einwanderung ist der Regelfall. Die vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Anhebung der Geldleistungen für Asylbewerber hat den Anreiz dafür noch gesteigert. Zugleich unterminieren Behörden und Gerichte regelmäßig durch großzügig ausgelegte Abschiebeverbote die Anwendung selbst der bestehenden Möglichkeiten zur Eindämmung.

Das Dilemma der deutschen Einwanderungspolitik ist somit ein doppeltes: Deutschland hat wichtige Kompetenzen an europäische Instanzen delegiert und muß sich, oft genug vergeblich, darauf verlassen, daß andere Staaten die Verpflichtungen daraus auch korrekt erfüllen, während gleichzeitig die Grundlagen nicht nur aus Brüssel, sondern auch aus dem eigenen Land heraus laufend in Frage gestellt werden.

Noch augenfälliger wird das am Beispiel der Armutseinwanderung in die deutschen Sozialsysteme aus den ost- und südosteuropäischen EU-Staaten. Der Zuzug ganzer Sippenverbände vom Volk der Roma aus Rumänien und Bulgarien hat längst die kritische Grenze überschritten. In Ruhrgebiets-Großstädten sind in kürzester Zeit regelrechte Slums entstanden, in denen Zerstörung, Vermüllung und kriminelle Strukturen die öffentliche Ordnung sukzessive auflösen und die Sozialhilfeausgaben der betroffenen Kommunen explodieren lassen.

Von europäischer Seite bekommen die Stadtväter in „Studien“ und Verlautbarungen zu hören, ihr Problem sei nur ein eingebildetes, das gar nicht existiere; von Sozialgerichten flattern ihnen Urteile ins Haus wie die jüngste Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, daß arbeitslose EU-Ausländer gerade dann auch ein Anrecht auf Hartz-IV-Leistungen haben sollen, wenn sie sich schon lange in Deutschland aufhalten und keine Chance auf eine reguläre Arbeit haben. Die hilf- und folgenlosen Ankündigungen des Bundesinnenministers, den offensichtlichen Mißbrauch durch Zuzugsbeschränkungen, Ausweisungen und Wiedereinreiseverbote bekämpfen zu wollen, kontern notorische Lobbyisten wie der „Migrationsexperte“ Klaus Bade mit der Forderung, der Integrationsindustrie, also ihm und seinesgleichen, noch mehr Geld an die Hand zu geben, um die Clanchefs zu überreden, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

Deutschland steht in der Einwanderungspolitik vor einem Desaster mit Ansage, das geeignet ist, seine Sozialsysteme zu sprengen und den inneren Frieden im Land nachhaltig zu zerstören. Die bisher erfolgte Armutseinwanderung ist nur ein lauer Vorbote dessen, was ab Januar 2014 mit der vollen Personenfreizügigkeit für Rumänien und Bulgarien bevorsteht.

Die Wahrheit, die EU-Globalisierer und Multikulti-Ideologen vorsätzlich verschweigen, lautet: Wer Einwanderungsland, „Einwanderungskontinent“ gar, sein will, muß auf elaborierte Sozialsysteme ebenso verzichten wie auf den gewohnten Wohlstand. Wer das Desaster abwenden will, muß solche Wahrheiten aussprechen und bereit und fähig sein, sich mit Eurokratie und Sozialindustrie zugleich anzulegen.

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