© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

Vorspiel zum Machtkampf
Regierungsbildung: Die ausgedehnten Sondierungsgespräche zwischen den Parteien zeigen die vielfältigen Optionen der Kanzlerin
Paul Rosen

Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. An diesen Grundsatz des „Beamten-Mikados“ erinnert der Verlauf der Berliner Sondierungen zwischen Union auf der einen und der SPD und den Grünen auf der anderen Seite. Die Sondierungen sind nur als Vorstufe der eigentlichen Koalitionsverhandlungen anzusehen. Auch bald vier Wochen nach der Bundestagswahl ist relativ sicher bisher nur davon auszugehen, daß die Unionsfraktion in der ersten Sitzung des Bundestages am kommenden Dienstag Norbert Lammert als Präsidenten zur Wiederwahl vorschlagen und daß die 18. Legislaturperiode unter Führung des aus Bochum stammenden CDU-Politikers beginnen wird.

Die meisten politischen Beobachter in Berlin sind sich indes sicher, daß am Ende die große Koalition stehen wird. Dennoch mußte die geplante schwarz-rote Wiedervereinigung zu Beginn der Woche einen Rückschlag hinnehmen, was wieder viele Blicke auf ein schwarz-grünes Bündnis richtete.

Der öffentliche Druck auf die Grünen, erstmals auf Bundesebene eine Regierung mit der Union zu bilden, war jedenfalls vor dem Ende der zweiten schwarz-grünen Sondierungsgespräche am Dienstag, die bei Redaktionsschluß noch andauerten, mächtig gewachsen. Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler tauchte aus der Versenkung auf und zitierte Oscar Wilde: „Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, wann sie wiederkommen.“ Laut Geißler wäre die schwarz-grüne Option für die CDU auch in mehreren Bundesländern hilfreich, weil die CDU dort mit Hilfe der Grünen der SPD die Länderregierungen abnehmen könnte. taz-Mitbegründer Erwin Jurtschitsch forderte die Durchsetzung der zentralen grünen Themen Energiewende und Klimaschutz. Das seien keine linken Projekte: „Dafür braucht ihr alle, wirklich alle als Partner: die Wirtschaft, die Gewerkschaften und eben auch die Konservativen.“

Der baden-württembergische CDU-Chef Thomas Strobl, der im Ländle auf eine Ablösung der grün-roten Landesregierung durch ein schwarz-grünes Bündnis spekuliert, bezeichnete eine große Koalition als „riesigen Elefanten im Planarsaal“. Er spielte damit auf die 4/5-Mehrheit von Union und SPD im Bundestag an, wo die Opposition dann nicht einmal mehr die Möglichkeit hätte, aus eigener Kraft die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu erreichen. Solche Bedenken hat Strobl bei Schwarz-Grün nicht: „Da hätten wir eine starke Regierung und eine starke Opposition.“ In der CDU spielt Finanzminister Wolfgang Schäuble die grüne Karte am häufigsten. Sie würde ihm den Verbleib im strategisch wichtigen Finanzministerium sichern, auf das er bei einer SPD-Regierungsbeteiligung geringere Chancen hätte. SPD-Chef Sigmar Gabriel will unbedingt dieses Schlüsselressort, und mit dem früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier und selbst SPD-Nachwuchspolitikern wie dem EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen stehen sozialdemokratische Bewerber Schlange.

Von den Grünen hieß es nach der ersten Sondierungsrunde zunächst, man wolle die doch noch angesetzte zweite Sondierung nutzen, um danach das Scheitern der Gespräche zu erklären. Buhmänner waren auch schon gefunden: Die Schuld am Scheitern der Gespräche sollte dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und seinem Generalsekretär Alexander Dobrindt in die Schuhe geschoben werden. Die grüne Parteiführung war sich angeblich einig in der Analyse, daß alles auf eine große Koalition hinauslaufe. Allerdings überraschte Parteichef Cem Özdemir dann mit dem Hinweis, die Grünen seien „natürlich offen für mögliche Überraschungen“, und die nordrhein-westfälische Kultusministerin Sylvia Löhrmann erklärte, die Grünen wollten die Gespräche mit der Union „sehr ernsthaft und gewissenhaft“ führen.

Parallel gab es Gerüchte über sachpolitische Einigungen zwischen Union und SPD. Angeblich war die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes von 8,50 Euro pro Stunde kein großes Problem mehr. Damit wäre eine besonders wichtige Forderung der SPD bedient, die ohne einen Erfolg beim Mindestlohn wenig Chancen sieht, für den Koalitionsvertrag die Zustimmung ihrer Mitglieder bei der Urabstimmung zu erhalten. Außerdem soll man sich bei der Erhöhung des Spitzensteuersatzes und einer höheren Besteuerung der Sparer und Anleger nähergekommen sein.

Dann war es ausgerechnet Dobrindt, der die Sondierung mit der SPD fast zum Scheitern gebracht hätte. Der CSU-Mann legte sich heftig mit der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft an, die ohnehin eine Gegnerin des Bündnisses mit den Schwarzen ist.

Die SPD hat das Problem, daß Gabriel die Meßlatte fast schon zu hoch gelegt und gleiche Augenhöhe für beide Partner gefordert hat, obwohl die Union beim Wahlergebnis vom 22. September weit vor der SPD lag. Darauf gab offenbar Kanzlerin Angela Merkel die Devise aus, intensiver mit den Grünen zu reden, um das Wackeln des roten Schwanzes mit dem schwarzen Hund zu unterbinden.

Foto: Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD am Montag: Die Bewerber für das Finanzministerium stehen Schlange

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