© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Die Angst der Linkspartei vor der AfD
Bundestagswahl: Im Karl-Liebknecht-Haus wächst die Sorge über die Wählerwanderung zur Euro-kritischen „Alternative für Deutschland"
Paul Leonhard

Bei der Linkspartei geht ein Gespenst um, das Gespenst der Alternative für Deutschland (AfD). In der Parteizentrale und bei der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung wird das Abschneiden der AfD genau analysiert. Immerhin haben zwei Millionen Deutsche die neue politische Kraft gewählt, und 360.000 dieser Stimmen sind der Linken verlorengegangen. In der Berliner Linken-Hochburg Marzahn-Hellerdorf erreichte die Partei um Bernd Lucke 10,6 Prozent der Stimmen.

Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, treibt die Angst „vor einem Durchmarsch“ der AfD im Mai bei der Europawahl um. Die AfD habe sich bisher geschickt verhalten und „in Sachen Euro-Rettung bei der Linken abgeschrieben“. Wer die AfD dort angreife, wo sie Argumente der Linken übernimmt, werde keinen Erfolg haben, erfolgversprechender seien Themen wie Sozialabbau oder Demokratie.

Ähnlich wie Thilo Sarrazin fehle der AfD ein Gespür dafür, wie alltägliche Sorgen und Nöte wirksam politisch aufzugreifen sind, hat der Politologe Alban Werner im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgearbeitet. Ohne volksnahe Ansprache und ohne Unterstützung der Bild-Zeitung, die als populistisches Leitmedien die Lücke zwischen elitärem Politstil und Alltagsbewußtsein der Regierten hätte überbrücken können, sei ein Erfolg der AfD unwahrscheinlich.

Geichzeitig wird über die Einordnung der AfD bei den Linken heftig gestritten. Während der Wiener Politikwissenschafter Sebastian Reinfeld im Neuen Deutschland die Partei als „rechtspopulistische Gruppierung“ wertet und ihr als „wahrscheinlichste Entwicklungslinie“ Rassismus und Anti-Islamismus prophezeit, kann Gerd Wiegel in seiner Analyse „Die AfD und die Bundestagswahl 2013“ keine „klassisch rechtspopulistische Strategie“ erkennen. Die AfD besetze mit ihrer Kritik an sich verselbständigenden europäischen Institutionen einen Platz, den alle anderen Parteien außer der Linken längst geräumt haben.

Der geforderte Schutz der Steuerzahler und die Ablehnung einer Bankenrettung mit Steuergeldern, wie sie auch von den Linken propagiert wurde, komme gut an. „Und welcher Linke wolle Bernd Lucke widersprechen, wenn dieser das Demokratiedefizit der EU kritisiert und Volksentscheide fordert“, fragt Werner. Überdies grenzt sich die Partei mit ihrem Leitbild eines Europas der Nationen vom völkischen Nationalismus der extremen Rechten ab. Auch mit der Zustimmung zur Zuwanderung qualifizierter und integrationswilliger Fachkräfte und der Ablehnung einer „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ bewege sich die AfD im Rahmen der Unionspolitik. „Die von der AfD vertretene Forderung, daß Asylbewerber in Deutschland arbeiten dürfen, wäre für die NPD unvorstellbar“, so Gerd Wiegel, Referent für Rechtsextremismus der linken Bundestagsfraktion. Angesichts der überdurchschnittlich hohen Zustimmung für die AfD in den neuen Bundesländern analysiert er, daß dort in der AfD ein Schutz vor den finanziellen Zumutungen der Euro-Krise und vor einem immer anonymer und undurschaubarer agierenden Kapitalismus gesehen werde.

Für die Linke sei es wichtig, die soziale Herkunft der AfD als Partei der Professoren und der Besserverdienenden sowie ihre finanzielle Verankerung im Großbürgertum und in den Familienunternehmern herauszustellen, rät Wiegel. Gleichzeitig müsse die Linke aufmerksam verfolgen, welche Positionen bei der AfD Einfluß gewinnen und wie die Partei mit der neuen und extremen Rechten umgehe. Auch wenn die AfD eine rechtskonservative, aber demokratische Partei bleibe, vertrete sie soziale Interessen, die konträr zu denen der Linken liegen. Nachdrücklich warnte er vor einer Ettiketierung der AfD als „Nazipartei“, weil diese das erstens nicht sei und das zweitens langfristig den Effekt habe, das Tabu der extremen Rechten zu schleifen. Stattdessen sei immer wieder offensiv die Frage zu stellen, in welche Richtung sich die AfD entwickelt. Und dabei könne doch darauf hingewiesen werden, „daß hier eine weitere Rechtsentwicklung nicht auszuschließen ist“.

Aus Sicht Werners ist die AfD als „neue oppositionelle Partei hochinteressant“, aber es fehle ihr außerhalb unzufriedener liberal-konservativer Eliten der für einen Wahlerfolg wichtige Resonanzboden.

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