© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Alle anderen sind Opfer
Willkommenskultur: Der Streit um die Flüchtlingspolitik zeigt erneut, daß gute Deutsche Wert darauf legen, selbst Täter zu sein
Konrad Adam

Neulich waren Polizei und Notarztwagen wieder einmal im Großeinsatz rings um das Brandenburger Tor. Beim Flackern der vielen blauen Lichter und dem Schrillen der Martinshörner dachte ich zunächst an einen weiteren Aufzug aus dem bekannten Spektakel, das uns daran erinnert, daß die Straßenverkehrsordnung zwar für unsereinen, aber nicht für Minister, Präsidenten und andere Staatspfründner gilt. Aber diesmal war es anders. Diesmal ging es nicht um irgendwelche Potentaten, sondern um die Insassen eines Flüchtlingslagers, das mitten auf dem Pariser Platz errichtet worden war, um gegen die Zustände, ich weiß nicht wo, mit einem Hungerstreik zu protestieren. Einigen der Protestanten war dabei schwach geworden, so daß sie mit dem Notarztwagen ins nächste Krankenhaus gefahren werden mußten.

Das also waren die Opfer. Wer waren dann die Täter? Schwierige Frage. Waren es die Einpeitscher, die mit dem Megaphon in der Hand zum Durchhalten aufgefordert hatten? Oder die Claqueure, die mit einstudierten Sprechchören die verlangten Antworten skandierten? Oder die unbekannten Schleuser und Geschäftemacher, die den Flüchtlingen gegen gutes Geld dazu verholfen hatten, auf verschlungenen Wegen und unter menschenunwürdigen Bedingungen dorthin zu gelangen, wo sie sich jetzt befanden, auf dem Pariser Platz im Herzen von Berlin?

Hält man sich an die Medien, die sich des Vorgangs angenommen haben, kommt keiner von den Vorgenannten als Täter in Betracht. Wir leben ja in Deutschland, und gute Deutsche legen Wert darauf, selbst Täter zu sein. Sie betrachten diesen Titel als eine historisch erworbene Auszeichnung und denken gar nicht daran, ihn mit anderen Völkern zu teilen. Der logische Schluß funktioniert umgekehrt: Wenn alle Deutschen Täter sind, müssen alle anderen Opfer sein – auch solche, die ihre Landsleute dafür bezahlen lassen, mit lecken Booten das Mittelmeer zu überqueren und dabei zu ertrinken. Alle sind Opfer – wenn schon von sonst nichts, dann eben „der Verhältnisse“.

Was folgt daraus? Dasselbe wie immer: daß es höchste Zeit ist, den Anfängen zu wehren, mit denen es vor 60 oder 70 Jahren zu Ende gegangen war. Daß der Schoß immer noch fruchtbar ist, aus dem das kroch. Und daß wir, die Deutschen, dazu aufgerufen sind, das zu entwickeln, was die Betreiber von Mahnwachen, Lichterketten und Flüchtlingscamps eine Willkommenskultur nennen. Warum auch nicht? Die Zeit ist reif! Nachdem wir Thomas Middelhoff als Vorkämpfer der Unternehmenskultur und Guido Westerwelle als Verkörperung der Gesprächskultur kennengelernt haben, wollen wir Claudia Roth als die Grande Dame einer Willkommenskultur erleben. Die Frau muß doch beschäftigt werden, nachdem sie den Vorsitz bei den Grünen losgeworden ist.

 

Dr. Konrad Adam ist Sprecher der Alternative für Deutschland

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