© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Der nächste logische Schritt
Gezeitenwechsel: Warum ein Bündnis von CDU/CSU und Grünen nur aufgeschoben ist
Thorsten Hinz

Die Trauerphase, welche die Union sich nach dem Hinscheiden ihres Koalitionspartners FDP gönnte, währte gerade mal von zwölf bis Mittag. Flugs schlug Kanzlerin Merkel eine Brücke zu den Grünen und eröffnete für die CDU/CSU eine neue Machtoption. Auch die Grünen wurden aktiv und musterten im Eiltempo ihre alten Schlacht- und Walrösser aus: ein deutliches Signal, daß sie lieber morgen als übermorgen für eine schwarz-grüne Koalition bereitstehen.

Die lange als unüberbrückbar dargestellten Differenzen in den Politik- und Gesellschaftsentwürfen haben sich als Oberflächenphänomene und Marketing-Ideen herausgestellt. So zügig, so unsentimental verläuft das politische Geschäft. Was aber bedeutet die Machtrochade jenseits von Parteientaktik und -arithmetik?

Es gibt mehre Interpretationen: Die eine lautet, damit sei endlich jene innenpolitische Normalität hergestellt, in der alle Demokraten untereinander koalitionsfähig sind. Doch was heißt es im postdemokratischen Zeitalter, ein „Demokrat“ zu sein? Das Wort ist ein Kampfbegriff, mit dem die Etablierten versuchen, neu auftauchende Konkurrenten als „Nichtdemokraten“ niederzuhalten.

Ein zweites Interpretationsmuster erklärt die gegenseitige Annäherung zum Beleg für die „Verbürgerlichung“ der Grünen und die „Modernisierung“ der CDU/CSU. Die Wahrheit ist spröder. Die Grünen tummeln sich vorzugsweise im öffentlichen Dienst und arbeiten daran, ihn weiter aufzublähen und die Reglementierung aller Lebensbereiche zu forcieren, was gewiß keine bürgerlichen Anliegen sind! Und die Modernisierung der Union besteht vor allem in ihrem Verzicht, sich als erhaltende, konservative Gegenkraft einzubringen und wenigstens den gröbsten Zeitgeist-Unfug abzuwehren und zu verzögern.

Eine dritte Deutung behauptet, daß die schwarz-grüne Schnittmenge eine Folge der Entideologisierung von Staat und Gesellschaft sei. Das ist völliger Unsinn, denn wir sind heute von ideologischen Entwürfen geradezu umstellt. Genannt seien nur die von Brüssel okkupierte und verhunzte Europa-Idee, die Eine Welt beziehungsweise Neue Weltordnung, der Genderismus sowie die quasireligiöse Lehre vom menschengemachten Klimawandel. Von der Rolle der Deutschen als universellem Bösewicht der Weltgeschichte gar nicht zu reden.

Aus den Ideologien folgen unmittelbare Handlungsanweisungen, die unsere Zahlungs- und Aufnahmebereitschaft betreffen, die zu Quotenregelungen, zu formellen Vorschriften und informellen Regelungen führen und den Deutschen die Entscheidung darüber, wie sie ihr Land gestalten wollen, aus der Hand nehmen. Unter diesen Umständen bezieht die vielbeschworene demokratische Partizipation sich lediglich auf die Modalitäten der Umsetzung, nicht auf die Handlungsanweisungen selbst.

Dieses Konzept haben die Grünen von Anfang an und mit Verve vertreten, und sie geben es trotz ihrer gegenwärtigen Schwäche nicht auf, im Gegenteil. Der Auftritt von Lampedusa-Flüchtlingen auf ihrem Parteitag in Berlin, der von den Medien zum Zweck der emotionalen Überwältigung ausgiebig verbreitet wurde, spricht Bände. Indem die Union, die bisher als Widerpart der Grünen auftrat, diese als bündniswürdig anerkennt, tritt ein politischer Gezeitenwechsel, der sich in den letzten Jahren vollzogen hat, voll ans Licht.

Er betrifft nicht nur die Parteien, sondern den gesamten politisch-medialen Komplex. Die schwarz-grünen Sondierungen wurden von der taz über die linksliberale Zeit bis nur nominell konservativen Welt nachgerade begleitet. Trotz ihres Scheiterns hielt die Welt hoffnungsfroh fest: „In einer EU, in der rechtspopulistische Parteien vielerorts Zulauf haben, bleibt Deutschland auf Mitte-Kurs. Der große Konsens über die Grundziele deutscher Politik reicht nun von der CSU bis zu den Grünen.“

Welches sind die Grundziele? Das wohl wichtigste läßt sich den langatmigen Artikeln des Stellvertretenden Chefredakteurs der Zeit entnehmen, der ein bekennender Grünen-Anhänger ist. Er kritisiert den Abbruch der Sondierungen und fordert, die „Internationalisierung des Landes“ fortzusetzen. Das Wort „Integration“, welches das Einfügen in eine bestehende Ordnung impliziert, soll gestrichen werden. Von Qualitätsmerkmalen, die Zuwanderer aufweisen müssen, ist keine Rede. „Deutschland durchgehend geöffnet“, ist der Aufsatz überschrieben. Illustriert wurde er mit einem Foto, das Kanzlerin Merkel am Wahlabend zeigt. Mit verkniffenem Gesicht hat sie ihrem Generalsekretär die Deutschlandfahne entwunden und versucht sie zu verbergen.

Es geht also darum, die Dekomposition des deutschen Nationalstaats fortzusetzen und zu vollenden. Je weiter die Dekomposition voranschreitet, um so weniger sind die Deutschen in der Lage, ihre eigenen Interessen zu formulieren und zu vertreten. Desto mehr wird ihnen von außen auferlegt, wie und mit wem sie zu leben haben. Der politisch-mediale Komplex scheint fest entschlossen, Deutschland in den Zustand einer globalen Provinz beziehungsweise Filiale zu überführen, die durch übergeordnete Machtstrukturen bestimmt wird. Genau diese Richtung hatten die Grünen von Anfang an so zielstrebig wie unwissend eingeschlagen.

Die Grünen sind nämlich eine genuine Gründung der Bundesrepublik und verkörpern ihre historisch-genetischen Gebrechen in unverfälschter Form. Das Hauptgebrechen ist; die staatliche Existenz aus zweiter Hand erhalten zu haben und durch Bezug auf übergeordnete Größen immer wieder legitimieren zu müssen: durch den Bezug auf das Abendland, auf Europa, auf die westliche Werte- beziehungsweise die Eine-Welt-Gemeinschaft. Dadurch ist der Staat erpreß- und formbar durch die Machtstrukturen, die das vermeintlich Größere definieren. Die Grünen, die in ihrem hypermoralischen Furor den deutschen Staat stets als etwas Böses betrachtet haben, das eingehegt und überwunden werden muß, sind geborene Agenten dieser Strukturen.

Die Wurzeln der anderen Parteien reichen tiefer in die deutsche Geschichte. Daraus haben sich in der Vergangenheit Gegentendenzen gespeist, die jedoch erlahmt sind: Die SPD geriet in den Bann der Vergangenheitsbewältigung, die FDP definierte Deutschland nur noch als Standort. Die CDU/CSU brachten wenigstens die Wiedervereinigung unter Dach und Fach, um dann das deutsche Selbstinteresse den transatlantischen und EU-Visionen unterzuordnen. Jetzt stehen alle da, wo die Grünen schon immer waren. Eine Koalition zwischen ihnen und der Union ist daher der nächste logische Schritt.

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