© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Schauprozeß gegen Briten-Boulevard
Bei dem Verfahren gegen Rebekah Brooks geht es um mehr als unkonventionelle Recherchemethoden
Robert Grözinger

Im Abhörskandal der britischen Presse kommt es in der nächsten Woche zum Showdown. Am 28. Oktober müssen sich Rebekah Brooks, ehemals Vorstandsvorsitzende von Rupert Murdochs Zeitungskonzern News International (NI), und Andy Coulson, ehemals Chefredakteur des jetzt nicht mehr existenten Boulevardblattes News of the World (NOTW) vor dem britischen Strafgericht Old Bailey verantworten.

Doch in Wirklichkeit wird eine ganze Pressekultur angeklagt, und manche hoffen, der Ausgang des Verfahrens werde dem angeschlagenen Konzern des australischen Medienzaren einen weiteren schweren Schlag versetzen. Andere bemängeln eine Einseitigkeit – es gibt nämlich Hinweise, daß fast der ganze britische Boulevard, von links bis rechts, und nicht nur Murdochs Zeitungen, massiv an illegalen Informationsbeschaffungspraktiken beteiligt war. Jedoch nur vom Murdoch-Konzern wurde bisher auch Führungspersonal belangt.

Brooks und Coulson wird das Abhören von Handys und Anrufbeantwortern vorgeworfen, im Fall Brooks zusätzlich auch Justizbehinderung. Zu den Opfern ihrer Zeitungen zählen prominente Fußballer, Filmstars und Politiker. Aber auch ganz normale Zeitgenossen, die für die Medien interessant waren. In manchen Fällen hat der Konzern Fehlverhalten zugegeben und bereits Entschädigungen gezahlt. Beteiligte Reporter wurden angezeigt und bestraft. Nun aber trifft es auch die Großen.

Konkrete diesbezügliche Vorwürfe gegen das Sonntagsblatt NOTW wurden ab November 2005 laut, als sich der Buckingham-Palast beschwerte, daß Geschichten über eine Knieverletzung Prinz Williams nur durch das Belauschen von Mailbox-Nachrichten nach draußen gedrungen sein könnten. Im Laufe der folgenden Monate und Jahre meldeten sich immer mehr Prominente, bis hin zu David Beckham und Paul McCartney, die darlegten, daß ihre Privatgespräche belauscht worden sein müssen. Oft aber führten Anklagen vor Gericht ins Leere, erbrachten Untersuchungsausschüsse keine Ergebnisse.

Vorwürfe wurden laut, daß Politik und Gereichtsbarkeit Murdoch aus Angst nur mit Samthandschuhen anfaßen. Schon 2003 hatte Brooks vor dem Kulturausschuß zugegeben, die NOTW bezahle die Polizei für Informationen. Coulson hatte schnell eingeworfen: „Natürlich nur legale Zahlungen.“ Was darunter zu verstehen sei, wurde nie in Erfahrung gebracht, denn es hakte niemand nach.

Es soll auch zu Beamtenbestechungen gekommen sein. Verdächtig erschien vielen Beobachtern außerdem die Nähe von Brooks und Coulson zu den Mächtigsten im Lande. Coulson wechselte 2007 in die Politik und wurde PR-Chef der Konservativen Partei. Nach ihrem Wahlsieg im Mai 2010 ernannte ihn David Cameron zu seinem Kommunikationschef und stattete ihn mit einem Jahresgehalt von 140.000 Pfund aus. Auf Brooks Hochzeit – sie heiratete 2009 den Gesellschaftslöwen und Rennpferdtrainer Charlie Brooks – erschienen sowohl der damalige Labour-Premierminister Gordon Brown als auch sein konservativer Nachfolger.

Anfang Juli 2011 kam jedoch Bewegung in die Sache. Das Murdoch-Imperium geriet in die Defensive, als nachgewiesen wurde, daß NOTW das Handy der verschleppten und später ermordeten 13jährigen Milly Dowler abgehört hatte. Als die Anwälte der Dowlers auch noch den Vorwurf erhoben, Journalisten hätten bestehende Nachrichten auf der Mailbox gelöscht, um Platz für neue Meldungen zu machen, war der Sturm der Entrüstung so groß, daß NOTW innerhalb einer Woche dichtmachte –168 Jahre nach der Gründung. Coulson wurde festgenommen, neun Stunden lang verhört und auf Kaution freigelassen. Murdoch sah sich gezwungen, von seinem Plan Abstand zu nehmen, neben seinem Anteil von 39,1 Prozent den Rest von BSkyB, dem größten Bezahlfernsehen-Anbieter Großbritannien, zu kaufen.

Erleichtert darüber war die BBC, enttäuscht waren jene, die auf ein konservativeres Gegengewicht zum öffentlich-rechtlichen Sender gehofft hatten. Brooks trat von ihrem Posten als Vorstandsvorsitzende der Muttergesellschaft NI zurück, den sie zwei Jahre zuvor übernommen hatte. NI wurde umbenannt und heißt jetzt News UK.

Neben diesem Schaden für Murdoch brachte der Abhörskandal aber noch eine weitere, für die gesamte Medienlandschaft der Insel schwerwiegende Konsequenz: die Leveson Inquiry. Nur eine Woche nach den Dowler-Enthüllungen rief Cameron diese Untersuchungskommission ins Leben. Ziel: die „Kultur, Praxis und Ethik“ der Presse zu untersuchen sowie die Frage, ob ihre Selbstregulierung gescheitert sei. Die Empfehlung dieser Kommission – eine neue „unabhängige“ Beschwerdestelle, die hohe Geldstrafen für Presseorgane verordnen kann – wird von den meisten konservativen Medien, nicht nur des Murdoch-Imperiums, als Angriff auf die 300jährige Pressefreiheit verstanden. Die Wochenzeitschrift Spectator hat einen Boykott angekündigt. Die BBC sowie die eher linken Zeitungen Daily Mirror, Guardian und Independent sehen dagegen in dieser Empfehlung kein Problem.

Monate später wurden entlastende Details bekannt, was die angeblichen Mailbox-Löschungen angeht. Zu spät jedoch. Da waren NOTW und das BSkyB-Angebot schon erledigt und der Leveson-Zug längst in Richtung Pressekontrolle abgefahren.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen