© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Antwort auf die säkulare Option: Religiöse Gemütsbewegungen
Die Erfahrung des Heiligen organisieren
(mv)

Kairos tanzende Derwische animierten 1895 den Göttinger Theologiestudenten Rudolf Otto (1869–1937), Emotion und Bewegung als angemessene Reaktionen auf das Göttliche anzuerkennen. Damit begannen lebenslange Reflexionen über das interreligiöse „Gottesgefühl“, die sich 1917 zum Versuch über „Das Heilige“ verdichteten, dem, wie der Soziologe Hans Joas kolportiert, „meistverkauften theologischen bzw. religionswissenschaftlichen Buch der Neuzeit überhaupt“. Joas, der Ottos Hauptwerk in den Kontext der „säkularen Option“ um 1900 stellt, als der christliche Glaube in weiten Kreisen seine Selbstverständlichkeit verlor (Sinn und Form, 4/2013), attestiert der bald einhundert Jahre alten Studie „klassischen Rang und bleibende Aktualität“. Denn Otto habe fern von konfessionellen Verengungen Religionen als Systeme verstanden, „die die Erfahrung des Heiligen organisieren“. Religiöse Emotion definiere er als „eigenständige elementare Gemütsbewegung“, als Begegnung mit einer Kraft, die den Menschen über die Grenzen seines Selbst ziehe. Da es derartige Erfahrungen der Selbsttranszendenz auch außerhalb der Religionen gebe, biete Ottos „Heiligkeitsdiskurs“ gerade heute eine Gesprächsbasis zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen sowie zwischen Gläubigen verschiedener religiöser Traditionen.

www.sinn-und-form.de

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