© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Extremisten der Ordnung und die linke Ästhetik
Arnold Gehlen und Hans Sedlmayr und ihr Kampf gegen den „bodenlosen" Geist von 1789: Abschreckendes zur „konservativen Ästhetik"
Jochen Schenzig

Einerlei wie es im westdeutschen Alltag aussah, Nierentisch hin, Jägerzaun her, in der Theorie triumphierte eine linke Ästhetik, die in die abstrakte Kunst oder das absurde Theater neomarxistisch-hedonistisch den Vorschein klassenlosen Glücks hineindeutete.

Dieses revolutionäre Versprechen moderner Kunst habe sich heute, nach dem Abschnurren immer gleicher „Provokationsspiralen“ im Kreislauf des Marktes definitiv erschöpft. Daher, so meinen Marcel Lepper und Stephan Schlak im Editorial des von ihnen herausgegebenen Themenheftes „Konservative Ästhetik“ der Zeitschrift für Ideengeschichte (3/2013), würde das kunstphilosophische „Minoritätenprogramm“, die Gegenentwürfe zur linken Ästhetik von wahrhaft „eigentümlichen Denkern“ wie Martin Heidegger, Arnold Gehlen und dem österreichischen Kunsthistoriker Hans Sedlmayr neuerdings ein „irritierendes Comeback“ feiern.

Ob diese These empirischer Überprüfung standhält, ist zu bezweifeln. In der publizistischen Kunstkritik, der kunsthistorischen Dogmatik, der Anschaffungspolitik der Museen oder der staatlichen Kunstförderung ist vom konservativen Wetterleuchten jedenfalls wenig zu spüren. Vielmehr scheint das Geraune von der Renaissance des Restaurativen der Prävention imaginärer Gefahren geschuldet. Darum laufen die von Lepper und Schlak präsentierten Essays eher auf die Empfehlung hinaus, von den bösen alten Männern der Nachkriegszeit lieber die Finger zu lassen.

In Karl Heinz Bohrers ungewohnt fahrigem Vergleich linker und rechter Ästhetik drängt sich eine Bevorzugung Heideggers, Gehlens und Sedlmayrs gegenüber Adorno zumindest nicht auf. Der Dresdner Soziologe Karl-Siegbert Rehberg, seit Jahrzehnten mit der Gehlen-Werkausgabe beschäftigt, gibt in seinem außerhalb des Themenschwerpunkts gedruckten Beitrag zwar ein scharfkantiges, aus dem Marbacher Brief-Nachlaß geschöpftes Porträt des Denkers, streift dessen ästhetische Theorie („Zeit-Bilder“, 1960) aber nicht einmal.

Gehlen, der unerbittlichste Antipode der aus der Geschichte ausgestiegenen Bundesrepublik, der melancholische Verächter ihrer im Vergleich mit dem Deutschen Reich deprimierenden „Unmaßgeblichkeit“, ihres abstoßenden „Gebrochenseins“, ihres „Grundgesetzes“, das nur die „Regeln für die Verfügbarkeit der Überstimmten“ fixierte, dieser knochenharte „Kommentator des Ruins“ (Hanno Kesting) und Analytiker des „Phraseninventars der Demokratie“, kommt als Ästhetiker lediglich mit brieflichen Verdikten zu Wort. Diese dokumentieren bis Mitte der fünfziger Jahre klar seine Ablehnung des „massenhaft minderwertigen Zeugs“ der abstrakten Malerei und Dichtung, und inmitten des „Durcheinanders von Schwindel, Bluff, Experiment, Genialiät usw.“ stutzte er den vergöttlichten Pablo Picasso zurecht auf das Format „Ganove Picasso“. In dieser Zeit zollte er auch der wuchtigen Moderne-Kritik Hans Sedlmayrs Beifall, obwohl er sie noch als zu zahm bemäkelte. Doch wenig später wandelten sich die Ansichten des eifrigen Galeriebesuchers Gehlen, der 1957 auf Distanz zu Sedlmayr ging. Was also ist gerade bei ihm im Rekurs auf „konservative Ästhetik“ zu holen?

Sedlmayrs „Verlust der Mitte“ wiederum, das mit Abstand erfolgreichste Erzeugnis des kunsthistorischen Kulturpessimismus nach 1945, wäre da beim ersten Zugriff ergiebiger. Doch auch der von Lepper und Schlak mit einer Werkinspektion beauftragte Willibald Sauerländer kompiliert über diesen „fundamentalistischen Jeremias“ nur Material, das vor einer Aktualisierung jenes anderen „Extremisten der Ordnung“ (Rehberg über Gehlen) warnt. Der Versuchung, selbständige Köpfe zu erledigen, indem man sie „als Nazis einstuft“ (Gehlen), widersteht daher auch Sauerländer nicht. Suggeriert er doch, daß das kunsthistorische Credo des Altösterreichers, dieses „neuen Spengler“, sich, ungeachtet der 1945 physisch wie moralisch erledigten Gegenbewegung gegen den „bodenlosen“ Geist von 1789, unbeirrbar orientiere am Heil und Ordnung verheißenden Großdeutschen Reich. Im Bann des Reiches sei Sedlmayr gefangen geblieben im „Traum vom Goldenen Zeitalter“ vor 1789, den Sauerländer als „Alptraum vom ‘Verlust der Mitte’“ denunziert. Auch dieses Porträt plädiert nicht gerade für ein „Comeback“ der „konservativen Ästhetik“.

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