© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Knapp daneben
Gut gemeint, macht aber arbeitslos
Karl Heinzen

Hartnäckig hält sich die Vorstellung, daß eine Erwerbstätigkeit mit einer Entlohnung einherzugehen hätte, die es wenigstens erlaubt, ohne weitere Zuschüsse den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Hier lebt erstaunlicherweise das alte marxistische Vorurteil fort, daß als natürliche Lohnuntergrenze die Kosten für die Reproduktion der Arbeitskraft anzusehen wären. Tatsächlich hat der Kapitalismus längst auch diese Fesseln gesprengt, wie ein Blick in die Arbeitsmarktstatistiken zeigt. Im Jahr 2012 bezogen in Deutschland 1,324 Millionen abhängig Beschäftigte und „Selbständige“ als sogenannte „Aufstocker“ Hartz-IV-Leistungen. Die öffentlichen Haushalte hat dies mit etwa zehn Milliarden Euro belastet.

Arbeit ist in einer Marktwirtschaft jedoch eine Ware wie jede andere auch. Ihr Preis ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Ein Unternehmen, das einen Arbeitnehmer einstellt, interessiert nicht, welchen Lebensstandard er sich mit seinem Lohn leisten kann. Es muß lediglich im Blick haben, ob die Beschäftigung den Ertrag steigert oder nicht.

Ein Mindestlohn als staatlich oktroyierte Preiserhöhung auf der Seite der Anbieter wird daher zwangsläufig dazu führen, daß die Nachfrage sinkt. Zahlreiche Betriebe werden von Neueinstellungen absehen, unrentabel gewordene Beschäftigte abbauen oder gar mit ihrem gesamten Geschäftsmodell scheitern.

Die Leidtragenden sind jene, denen man angeblich doch helfen möchte. Viele, die derzeit immerhin bloß „Aufstocker“ sind, werden in Zukunft Hartz-IV-Leistungen in vollem Umfang in Anspruch nehmen müssen. Die Bevölkerung insgesamt wird so manche vertraute Dienstleistung entbehren müssen, da sie zum Mindestlohn nicht mehr wirtschaftlich erbracht werden kann. Neidvoll werden sich die Blicke der in die Erwerbslosigkeit fallenden Geringstverdiener auf jene richten, die weiter arbeiten dürfen, obwohl sie dafür gar kein Entgelt erhalten: Wann, so werden sie sich fragen, wird endlich im Namen der Gerechtigkeit auch ein Mindestlohn für ehrenamtlich Tätige und für all die Hausfrauen und -männer eingeführt, die Familienarbeit zum Nulltarif leisten?

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