© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Heinrich der erste
Aussiedler: Erstmals ist einem Rußlanddeutschen und einem Siebenbürger Sachsen der Einzug in den Bundestag gelungen
Bodo Bost

Rußlanddeutsche sind für Deutschland in Afghanistan gefallen, haben im Sport Medaillen gewonnen, einer wurde sogar mit dem Nobelpreis ausgezeichnet: Doch in der Politik spielen Rußlanddeutsche, die immerhin fünf Prozent der Wahlberechtigten stellen, keine Rolle. Bislang.

Denn mit dem Rußlanddeutschen Heinrich Zertik ist es jetzt erstmals einem Vertreter der größten deutschen Migrantengruppe gelungen, in den Bundestag einzuziehen. Der 56 Jahre alte Zertik wurde über die Landesliste der CDU in Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt. Seine Wahl war nicht nur für ihn eine Überraschung. Kaum jemand hatte damit gerechnet, daß so vielen Kandidaten der Landesliste der Einzug in den Bundestag gelingen würde. Zertik, der 1989 aus Kasachstan in die Bundesrepublik gekommen war, stand immerhin auf Platz 48 und galt bis zum Wahlabend als Zählkandidat.

Im Bundestag will er sich nun auch für die Belange der Rußlanddeutschen einsetzen und Kontakt mit dem Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU), aufnehmen. Dieser hatte in der Vergangenheit mehrfach bedauert, daß es keinen Vertreter der Rußlanddeutschen im Bundestag gebe. Bergner hatte dabei auch seine eigene Partei kritisiert, die es versäumt habe, Vertreter dieser doch zu großen Teilen konservativ wählenden Bevölkerungsgruppe auf aussichtsreichen Listenplätzen zu plazieren.

Zertik, von Beruf Psychologe, ist seit 2004 Ratsmitglied seiner Partei in Schieder-Schwalenberg bei Lippe, seit 2002 ist er Mitglied des Vorstandes der Lippischen CDU und deren Beauftragter für Aussiedlerfragen; zudem gehört er dem Bundesarbeitskreises für Aussiedlerfragen der CDU an. In dem Verein Druschba in Lippe setzt er sich zudem seit 2010 für die Integration von Rußlanddeutschen ein. Bereits zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2012 hatte Zertik eine Kandidatur angestrebt, war aber in der parteiinternen Auswahl unterlegen.

Vor Zertiks Einzug in den Bundestag hatten lediglich zwei rußlanddeutsche Politiker den Sprung in die „große“ Politik geschafft. Nikolaus Haufler zog 2011 für die CDU in die Hamburger Bürgerschaft ein, und zwischen 2002 und 2004 saß Adolf Braun für die Union im sächsischen Landtag. Der CSU-Politiker Arthur Bechert aus Tomsk in Sibirien hatte bei der Bundestagswahl 2009 erfolglos auf Platz 55 der Landesliste seiner Partei für den Bundestag kandidiert.

Daß Zertik für die CDU in das Parlament einzog, ist kein Zufall. Bis in die neunziger Jahre waren die Aussiedler ein verläßliches Stimmenreservoir für die Unionsparteien. Allein zwischen 1987 und 1992 hatte die Regierung von Helmut Kohl weit über eine Million Aussiedler aus der Sowjetunion, aus Polen und Rumänien ins Land geholt. Prägend in dieser Zeit war der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Horst Waffenschmidt (CDU).

Seine Visitenkarte erreichte Deutschstämmige selbst in den abgelegensten Siedlungen in der russischen Taiga oder in Kirgisien. Die Folge war, daß Millionen von ihnen nach Deutschland ausgesiedelt sind und zum Dank ihr Kreuz jahrelang bei CDU und CSU machten. Doch Mitte der neunziger Jahre löste der Aussiedlerstrom aus Osteuropa auch bei vielen Unionspolitikern Unbehagen aus. Schließlich wurde der Zuzug durch bürokratische Hürden wie die Einführung von Sprachtests gebremst. Zerrissene Familien waren die Folgen. Viele Deutsche aus Rußland kehrten der Union den Rücken.

Angesichts der verschärften Aufnahmeregelungen gab es 1997 sogar den Versuch, eine rußlanddeutsche Partei in Deutschland zu gründen. Initiator war der Gründungsvorsitzende der 1989 ins Leben gerufenen sowjetischen „Wiedergeburt“, Heinrich Groth, der nach dem Zerfall der Sowjetunion in die Ukraine gezogen war und dort das Scheitern des Umsiedlungsprogrammes von Hunderttausenden von Rußlanddeutschen in die Ukraine erlebte. Er siedelte in die Bundesrepublik über und gründete als Ableger der „Wiedergeburt“ die Bundesvereinigung „Heimat“. Doch die Partei versank in der Bedeutungslosigkeit. weil die einflußreiche Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland die Unterstützung versagte. Ihr Bundesvorsitzender Alois Reiss warnte davor, „daß die Rußlanddeutschen durch eine eigene Partei zu einer Minderheit im ‘klassischen Sinne’ gemacht würden“.

Im Bundestag ist Zertik mit seinem „deutschen“ Migrationshintergrund übrigens nicht ganz alleine. Mit Bernd Fabritius (CSU) hat es erstmals auch ein Aussiedler aus Rumänien ins Parlament geschafft. Anders als Zertik ist der aus Agnetheln in Siebenbürgen stammende 48 Jahre alte Jurist nicht nur parteipolitisch, sondern auch auf Verbandsebene für seine Landsleute tätig. Seit 2007 war er Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e. V. und Präsident der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen. Auch seine Wahl in den Bundestag war eine Überraschung, denn er erreichte auf Platz 37 der Landesliste den Bundestag.

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