© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Der Stärkere erntet die Anerkennung
Besuch in Kairo: Revolution und Konterrevolution haben die Ägypter zermürbt / Hoffen auf Ruhe und Geld
Billy Six

Manches überdauerte den Wirbel der vergangenen zweieinhalb Jahre in Ägyptens Hauptstadt Kairo: die ausgebrannte Parteizentrale von Husni Mubaraks aufgelöster Nationaldemokratischen Partei NDP zum Beispiel. Wie im Januar 2011, als die aufgebrachten Demonstranten das Gebäude in Brand setzten, nimmt die Armee auch heute einzig den ummauerten Vorplatz der eindrucksvollen Ruine für ihre Panzer in Beschlag.

Auf der Baustelle an der Nordwest-seite des weltberühmten Tahrir-Platzes, bei den Massenprotesten vielfach als Toilette genutzt, hat sich nichts getan. Und selbst die in „Schohada“ (Märtyrer) umbenannte Metrostation trägt auf Stadtplänen und im Volksmund noch ihren alten Namen: „Mubarak“.

„Er war eigentlich gar nicht schlecht“, so Straßenverkäufer Mohammed über den gestürzten Staatschef. „Aber seine Frau und die beiden Söhne – sie haben ihn in den letzten Amtsjahren zu Mißwirtschaft und Selbstbereicherung verführt.“ Einschüchternd donnern sieben Kampfflieger im Tiefflug über die Innenstadt hinweg.

Während Mohammeds Meinung von vielen auf den Straßen vertreten wird, gibt es in anderen arabischen Ländern nicht wenige, die hinter vorgehaltener Hand den Ägyptern vorwerfen, stets zur Seite der Mächtigen zu halten.

Von den Muslimbrüdern, die in ihrem Protestlager an der Moschee Rabia al-Adawija gegenüber dem Verteidigungsministerium wochenlang mit Kind und Kegel kampierten, läßt sich dies nicht behaupten: Hunderte sollen bei der gewaltsamen Räumung durch die Armee am 14. August 2013 ums Leben gekommen sein.

Zwei Monate später ist die Nasser-Straße immer noch weiträumig von Armee und Geheimdienstmitarbeitern abgesperrt. Das ausgebrannte Gebetshaus jedoch wurde bereits restauriert – diese emotionale Wunde galt es schnell zu übertünchen.

Fotografieren an den Brennpunkten der Nilmetropole sorgt wie im Februar 2011 (JF 9/11) für erheblichen Ärger: Zweimal werde ich verhaftet. Doch anders als vor zweieinhalb Jahren wirken die Offiziere der ägyptischen Geheimpolizei im Verhör diesmal weitaus entspannter. Es gibt Tee und einen Happen zu essen. Selbst die Digitalfotos werden trotz sechsstündiger Ermittlungen nicht gelöscht.

Jenseits der Kontrollposten berichtet eine unverschleierte junge Frau aus dem Auto heraus über ihre Erfahrungen bei den erneuten Massendemonstrationen im Juni/Juli 2013: „Es waren genauso viele Protestierer gegen Mursi auf dem Tahrir wie im Anti-Mubarak-Aufstand – weil das Militär Schutz versprach.“

Wer dabei war, weiß: Das war 2011 nicht anders. Zwei interessante Ergebnisse haben sich herauskristallisiert: Der ungediente Präsidentensohn Gamal Mubarak, der mit einer Privatisierung von Staatsbetrieben in Armee-Eigentum liebäugelte, wurde als Nachfolger seines Vaters verhindert. Zum anderen hat eine jüngere Generation Generale das Ruder übernommen, seit Mohammed Mursi höchstselbst den greisen Oberbefehlshaber Mohammed Hussein Tantawi im August 2012 in den Ruhestand geschickt hatte.

Auch die US-Regierung, die sich rhetorisch auf die Seite der Muslimbrüder stellte, profitiert: Die politische Macht der verbündeten Streitkräfte ist nun stärker, als es in den letzten Mubarak-Jahren der Fall war. Im „Krieg gegen den Terror“, unterstützt durch scheinbar gleichgeschaltete Medien, sind sie nun selbst überzeugte Vorreiter – ganz ohne Anreize aus Washington. Die Rechnung, bisher rund anderthalb Milliarden im Jahr, wird über kurz oder lang Saudi-Arabien – zumindest teilweise – übernehmen.

Der Aufbau der salafistischen „Partei des Lichts“ ging bereits mit Geldern aus Riad über die Bühne – und nicht umsonst unterstützten die Wortführer der bärtigen Frömmler den Putsch gegen die „zu gemäßigten“ Muslimbrüder. Der politische Islam bleibt vorerst desillusioniert und zum Teil zerstritten zurück.

Sollte Armeechef Abd al-Fattah as-Sisi, offiziell zur Zeit nur Verteidigungsminister, am Ende tatsächlich als Sieger neu anberaumter Präsidentschaftswahlen hervorgehen, wäre die Ironie des „Arabischen Frühlings“ perfekt. Sein Konterfei prangt schon jetzt in vielen Straßenzügen – und dieser Bilderkult übersteigt, was die Ägypter aus Mubaraks Zeiten kannten.

Für den in Deutschland arbeitenden Bauarbeiter Jasser, nun zu Besuch in der Heimat, ist das kein Zufall: „Die eigenen Leute haben gegen Mursi gearbeitet“, beklagt er. Stromabschaltungen, Arbeitsverweigerung durch die Polizei sowie nicht angewiesene Geldtransfers hätten das Ansehen des Präsidenten in der Bevölkerung ramponiert, so Jasser. „Inschallah“ werde die Besinnung auf „den wahren Islam“ sein Vaterland aber wieder auf Kurs bringen. Dann könne er auf eine dauerhafte Rückkehr nach Ägypten hoffen. Dort wünschen sich auf den Straßen im Moment viele vor allem eines: Ruhe und Geld.

Foto: Armeeposten an der Kairoer Qasr-al-Nile-Brücke / Personenkult um den „löwengleichen“ Armeechef Abd al-Fattah as-Sisi: Auch nach dem Sturz Mubaraks blieb das Militär die Macht im Staate

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